Wie ein Zürcher die kleinste Oper der Welt schuf
Eine Ausstellung in Zürich zeigt die kleinste Oper der Welt. Sie holt das fast vergessene Werk des 1995 verstorbenen Dekorateurs und Mini-Impressarios Bernhard Vogelsanger aus dem Archiv.
Für einen Impresario war er ungewöhnlich gekleidet. Er trug Jeans, schrille Shirts von Rockbands, eine ACDC-Lederjacke und dicke Ringe an den Händen. Aber Bernhard Vogelsanger war ja auch nicht irgendwer: Er leitete die kleinste Oper der Welt im Alleingang. Er war Dirigent und Orchester, Bühnenbildner und Regisseur, Schneider und Schauspieler in Personalunion.
Für mehr Personal hätte der Platz kaum gereicht: Seine Opernbühne in Zürich Schwamendingen hatte die Grösse einer Schuhschachtel. Genauer: Viele Bühnen waren tatsächlich aus Schuhschachteln gefertigt. Im Publikumssaal standen gerade mal acht Stühle — mehr Platz gab es im engen Zimmer im zweiten Stock eines Wohnhauses nicht.
Ein Kreis Eingeweihter wurde regelmässig eingeladen, wenn Vogelsanger hier die grossen Opern spielte: Mit sorgfältig gefertigten Figuren aus Pappe, zu Musik aus dem Grammophon. Manchmal sang er auch selbst, um die Pausen beim Auflegen neuer Platten zu übertönen.
Vogelsanger, 1920 als Sohn eines Handwerkers geboren, sah als Jugendlicher Giuseppe Verdis «Simone Boccanegra» — von da an war es um ihn geschehen: Er wollte zur Oper, als Bühnengestalter. Doch daraus wurde nichts — man lehnte ihn ab. So wandte er sich den Bühnen des Konsums zu und wurde Dekorateur im Warenhaus «Globus».
Doch privat blieb er der Oper verfallen. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg begann er, zunächst verstohlen, Figuren zu basteln, die er an Drähten bewegte und denen er Kleider schneiderte. Auch gestaltete er opulente Bühnenbilder en Miniature. An den Wochenenden lud er Freunde ein, und spielte vor ihnen. Der Eintritt war umsonst.
Mitte der 1990er-Jahre verstarb Vogelsanger und die Schwamendinger Oper verschwand mit ihm. Doch nun zeigt eine Ausstellung des Musée Visionnaire ZürichExterner Link, das sich auf Outsider-Art spezialisiert hat, einige seiner sechzig Bühnen, zusammen mit den Exponaten andere «schräger Vögel», viele davon ebenfalls Zürcher Stadtoriginale.
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