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Wallfahrt für Kritische

Symbolisches Wallfahrtslogo: Ein Rosenkranz, geformt zu einem Boxhandschuh. zvg

Mit einer Wallfahrt unter dem Motto "Mit der Kirche im Clinch" möchte das Kloster Einsiedeln seine frühere Bedeutung als Wallfahrtsort wieder erlangen.

Mit professionellem Zielgruppenmarketing versucht die Kirche, in den letzten Jahrzehnten verlorenen Boden wieder gut zu machen.

«Wer sich auf eine Wallfahrt einlässt, entrinnt der Oberflächlichkeit des Alltags und lässt sich auf das Geheimnis des Lebens ein», verkündete der Abt des Klosters Einsiedeln, Martin Werlen, anlässlich einer Medienorientierung.

Viele Menschen suchen nach Spiritualität, nach dem Sinn des Lebens, auch jene, die nicht oder nicht mehr der «offiziellen» katholischen Kirche angehören. «Das Kloster Einsiedeln ist ein Kraftort», weiss Abt Martin. Er möchte diesen Ort auch jenen Menschen zur Verfügung stellen, die der Kirche sehr kritisch gegenüber stehen oder die sich von ihr entfernt haben.

Ob man Menschen, die «mit der Kirche im Clinch» stehen, mit einer Wallfahrt ansprechen kann, sei dahingestellt. Das Kernangebot der Wallfahrt gliedert sich in die drei Bereiche «Kirche und Spiritualität», «Kirche und Körper» sowie «Kirche und meine Meinung». Wie diese Themen konkret behandelt werden, wurde bisher nicht bekannt gegeben.

Zusatzangebote für jeden Geschmack

Neben dem Kernangebot werden persönliche Gespräche mit Mönchen angeboten, das Leben im Kloster und dessen Einrichtungen sollen den Wallfahrenden näher gebracht werden. Wanderungen auf den Spuren des heiligen Meinrad, Biketouren zu umliegenden Kapellen oder ein Besuch im klösterlichen Weinkeller inklusive Degustation stehen auf dem Programm.

Für diejenigen, die «mit der Kirche im Clinch» sind, weil sie die Institution als zu fortschrittlich, zu progressiv, zu modern betrachten, ist wohl die Ausstellung über Einsiedler Votivgaben gedacht. Votivgaben wurden und werden als Bitte um oder Dank für Hilfe in einer Notlage einem Heiligen dargebracht, zum Beispiel eine beschriftete, verzierte Silber-Tafel.

Antworten garantiert

Die Wallfahrt ruft zum Dialog auf. «Dazu», unterstreicht Abt Martin, «müssen wir alle bereit sein, unsere Positionen auch hinterfragen zu lassen.» Er findet weiter: «Die Kirche soll die Fragen der Menschen, die mit ihr im Clinch sind, besser verstehen.» Der Abt verspricht: «Die Kirche wird Antworten geben! (…) Umgekehrt erwarte ich, dass die Haltung der Kirche besser verstanden wird.»

«Priester und Sexualität» oder «Wo bleiben die Frauen?» sind mögliche Diskussionsthemen. «Es gibt auf jeden Fall keine brave Veranstaltung,» meint Detta Kälin, Kunsthistorikerin und OK-Mitglied.

Breites Rahmenprogramm

Ein theologisches Streitgespräch, ein grosses Kirchenkonzert mit einem bekannten englischen Chor sowie Esther Vilars «Antrittsrede der amerikanischen Päpstin» sollen als begleitende Kulturangebote nicht nur die Wallfahrenden ansprechen, sondern zusätzlich Interessierte nach Einsiedeln locken.

An weiteren Gästen hätte nicht nur das Kloster Freude. Auch das Einsiedler (Gast-)Gewerbe ist auf eine gut besuchte Veranstaltung angewiesen. Wegen der schlechten Geschäfte stehen dem Vernehmen nach im Dorf mehrere Hotels zum Verkauf.

Gemeinsame Anstrengung

Das Organisationskomitee setzt sich aus Vertretern des Klosters sowie Einwohnern von Einsiedeln zusammen. Wallfahrts-OK-Präsident Gerhard Oswald: «Die traditionellen Gruppenwallfahrten nach Einsiedeln leiden an Schwindsucht.»

Wegen der ausbleibenden Wallfahrer muss die Region auch finanzielle Konsequenzen tragen. «Es sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, dass sich zu den spirituell-religiös motivierten Grundabsichten auch volkswirtschaftliche Überlegungen gesellen», meint Oswald weiter.

Zielgruppenorientiert

Die themenbezogene Wallfahrt «Mit der Kirche im Clinch» ist ein Versuchsballon. Sollte sie erfolgreich sein, kann sich das OK auch vorstellen, Wallfahrten für Allein Erziehende oder Krebskranke zu veranstalten.

Dies könnte dem Ansehen Einsiedelns als grösstem Wallfahrtsort der Schweiz nur gut tun. OK-Präsident Oswald: «In der Wallfahrtskirche Maria Plain nahe Salzburg fand sich im letzten Sommer am Schriftenstand ein Werbeblatt für Fahrten zu den bekanntesten Wallfahrtsorten Europas. Einsiedeln war nicht dabei.»

Das OK präsentiert ein Budget von 150’000 Franken. Mindestens 300 Wallfahrende müssten teilnehmen, damit keine roten Zahlen entstehen. «Wir führen die Veranstaltung aber auch durch, wenn sich bloss drei Teilnehmer anmelden», verspricht Oswald.

Die Wallfahrt ist auf drei Tage angelegt. Das Programm ist so gestaltet, dass man einzelne Tage buchen kann. Sie dauert vom 9. bis 12. Juli 2003.

swissinfo, Etienne Strebel

«Mit der Kirche im Clinch» findet vom 9. bis 12. Juli 2003 statt.
Ganze Wallfahrt inkl. Übernachtungskosten: 500 Fr.
Tageskarte 75 Fr.
Die Kulturveranstaltungen sind gratis

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