Weihnachten als Aufforderung, unsere Intoleranz abzulegen
Für Bruder Richard, Mitglied der ökumenischen Gemeinschaft des Dorfs Taizé im Burgund, vermittelt Weihnachten eine Botschaft der Hoffnung, und sie fordert uns auf, "unsere Intoleranz abzulegen".
Die Gemeinschaft von Taizé, in der religiöse Offenheit gelebt wird, organisiert vom 28. Dezember bis zum 1. Januar in Genf das 30. Europäische Jugendtreffen.
Im Jahr 1940, während des Zweiten Weltkriegs, verliess der spätere Gründer Bruder Roger mit dem Fahrrad die Schweiz Richtung Frankreich.
Er liess sich im kleinen Dorf Taizé im Burgund nieder. Dort begann er bald darauf, Kriegsflüchtlinge, vor allem Juden, Waisen und Arme, aufzunehmen und zu versorgen.
In den folgenden Jahren kamen Ordensbrüder aus verschiedenen christlichen Konfessionen nach Taizé und die erste ökumenische, offene Gemeinschaft entstand.
Heute leben hier rund hundert Ordensbrüder, die jedes Jahr ungefähr 100’000 Leute verschiedener Konfessionen bei sich aufnehmen.
Dieses Jahr organisiert die Gemeinschaft von Taizé in Genf ihr 30. Europäisches Jugendtreffen. Vom 28. Dezember bis zum 1. Januar 2008 werden in der Rhonestadt rund 40’000 junge Leute erwartet.
Unter den Organisatoren ist auch der aus dem Kanton Bern stammende Bruder Richard. swissinfo hat sich mit ihm unterhalten.
swissinfo: Bruder Richard, wie sind Sie vor dreissig Jahren Mitglied der Gemeinschaft von Taizé geworden?
Bruder Richard: Ich bin von der Schweiz weggegangen, weil ich einen Monat als Freiwilliger in Taizé verbringen wollte.
Doch aus dem Monat wurde ein Jahr, und nach einem Jahr habe ich gemerkt, dass dies mein zukünftiger Weg sein wird. So blieb ich in Taizé und durch Arbeit, Gebet und Alltagsleben erwarb ich mir eine theologische und seelsorgerische Ausbildung.
Nach fünf Jahren habe ich mich für ein Leben als Mönch entschieden, ein Akt, den wir als «Verpflichtung für das Leben» definieren.
swissinfo: Was haben Sie in Taizé gesucht?
B.R.: Ich hatte schon von diesem Begegnungsort gehört, wo der eigene Glaube auf verschiedene Arten gelebt werden kann.
Als ich dort ankam, war ich in der Tat sehr beeindruckt von den jungen Menschen. Studenten und Arbeiter, Katholiken und Protestanten, Gläubige aus anderen Kirchen und sogar Atheisten aus allen Herren Ländern pflegten einen offenen Umgang miteinander.
Eine Aufrichtigkeit war zu spüren und gleichzeitig auch ein tiefes Engagement, das ich so in der Schweiz noch nicht angetroffen hatte.
Es wurde mir klar, dass der Glaube niemanden ausgrenzt, sondern ein Aufruf zur Freundschaft und zur Versöhnung darstellt und die Menschen verbindet.
swissinfo: Dieser ökumenische Geist, charakteristisch für Taizé, scheint sich jedoch in der heutigen Welt nicht durchzusetzen. Im Gegenteil, das Unverständnis innerhalb der christlichen Kirchen wie auch gegenüber den andern Religionen wächst.
B.R.: Leider werden wir oft von unserer Geschichte eingeholt. Es gibt eine sehr starke Verbindung mit den eigenen Wurzeln, was eigentlich etwas Gutes, aber für eine Beziehung auch etwas Belastendes sein kann.
Auch heute noch haben wir ein grosses Bedürfnis nach Kontakten zu Menschen aus verschiedenen Religionen, denn nur so können wir ein grösseres Vertrauen entwickeln.
Erst diese Basis ermöglicht es uns, heikle Themen zu besprechen, ohne gleich in übertriebene Leidenschaft oder gegenseitige Angstmacherei zu verfallen. Das würde nur den Blick fürs Wesentliche verstellen.
Religion darf nicht zur Ideologie verkommen, sondern muss ihren Sinn aus dem Leben schöpfen. Nur so gelingt es, sich Andern zu öffnen und Intoleranz zu vermeiden.
swissinfo: Ist dies auch eines der Ziele des 30. Jugendtreffens, das in Genf durchgeführt wird?
B.R.: Das Treffen bietet Gelegenheit, sich auszutauschen, ganz im Bewusstsein, dass die Gesellschaften in Europa immer multireligiöser werden.
Wir müssen nicht alle gleicher Meinung sein, aber wir sollten lernen, die Begegnung mit andern Menschen als Bereicherung wahrzunehmen statt als Bedrohung, und als ein echtes Zeichen der Hoffnung vorzuleben.
swissinfo: Gerade heute sind die Jungen auf religiöse Themen nicht sonderlich ansprechbar. Wie schaffen sie es trotzdem, jährlich 100’000 junge Leute nach Taizé zu holen? Was ist das Geheimnis dieses Erfolgs?
B.R.: Ich glaube, die Kirche von Taizé ist in erster Linie ein sehr gastfreundlicher Ort.
Jeder kann so zu uns kommen, wie er ist – mit seinen Zweifeln, Unsicherheiten und Ängsten. Wir respektieren alle, und jeder kann bei uns seiner Religion treu bleiben.
Die Gebete und die Momente der Stille sind für die Jugendlichen ein grosses gemeinsames Erlebnis und eine Möglichkeit, aus dem hektischen Alltag auszubrechen und ganz für sich zu sein.
Alle helfen einander und kleinere alltägliche Arbeiten wie etwa das Vorbereiten der Mahlzeiten werden von den Jugendlichen erledigt. So können sie auch einen aktiven Beitrag leisten.
swissinfo: Zum Schluss noch zwei, drei Worte zu Weihnachten. Hat dieses Fest, so wie es in der heutigen Welt gelebt wird, überhaupt noch einen Sinn?
B.R.: Es ist richtig, dass Weihnachten zu einem grossen Teil ein kommerzielles Ereignis geworden ist.
Vor einigen Tagen habe ich in diesem Zusammenhang folgende Zeilen gelesen: «Das Christentum wird vielleicht verschwinden, aber Weihnachten wird bestimmt bleiben».
Ich glaube trotzdem, dass in vielen Familien die Nächstenliebe an Weihnachten immer noch eine grosse Rolle spielt, oft jedoch ohne direkten Bezug zur Religion.
In den Kirchen und in den Gebeten versuchen wir dazu beizutragen, dass diese Flamme nicht erlischt.
swissinfo: Was bedeutet Weihnachten für Sie?
B.R.: An Weihnachten empfinde ich die Nähe Gottes besonders stark, es ist, als käme er zu Besuch. Als Jesus den Menschen in einem Stall geboren wurde, war nichts bereit, ihn zu empfangen.
An Weihnachten ist Gott mit uns, und er fragt nicht, ob wir bereit sind, ihn aufzunehmen. Er akzeptiert uns mit all unseren Stärken und Schwächen, ohne uns zu verurteilen.
Wir empfangen an Weihnachten eine Botschaft der Hoffnung und des Friedens, mit der Aufforderung, unsere Intoleranz abzulegen und die anderen so anzunehmen wie sie sind.
swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Christine Fuhrer)
Bruder Richard wurde 1959 in Bargen, im Kanton Bern, geboren und wuchs in der Gegend von Langenthal auf.
Nachdem er 1978 das Gymnasium abgeschlossen hatte, ging der junge gläubige Protestant nach Taizé, um dort ein Volontariat zu absolvieren.
Im Jahr 1979 wurde er Mitglied der Gemeinschaft von Taizé und 1983 folgte er definitiv der Berufung zum Mönch.
Die Gemeinschaft von Taizé wurde 1940 vom Waadtländer Roger Schutz gegründet, dem späteren Bruder Roger.
Heute besteht die Gemeinschaft aus rund hundert Ordensbrüdern, die aus dreissig verschiedenen Ländern und unterschiedlichen christlichen Konfessionen stammen.
Die Mitglieder von Taizé leben von ihrer Arbeit, sie verzichten auf Spenden und nach dem Tod wird ihr Hab und Gut an Bedürftige weitergegeben.
Jedes Jahr empfängt die Bruderschaft rund 100’000 Menschen, vor allem junge Leute, die sich hier zu stiller Einkehr und zum Gebet treffen.
Unter den Besuchern waren auch schon bekannte Persönlichkeiten wie Vaclav Havel, Nelson Mandela, Mutter Teresa, Johannes Paul II..
Auf Einladung der evangelischen und katholischen Kirche organisiert die Gemeinschaft von Taizé in Genf vom 28. Dezember bis zum 1. Januar 2008 ihr 30. europäisches Jugendtreffen.
Es werden rund 40’000 Jugendliche aus aller Welt erwartet.
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