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Wellness für die Seele in klösterlicher Stille

Kloster Einsiedeln: Gäste auf Zeit sind hier willkommen. Schweiz Tourismus

Bereits früher suchten Manager Entspannung und Sammlung in der Klosterzelle. In einer hektischen Welt liegt heute die Suche nach Stille und innerer Einkehr im Trend.

Viele Klöster erkennen ihr touristisches Potential und beherbergen Gäste auf Zeit.

«Kloster auf Zeit ist eine Möglichkeit, fernab von Stress und Hektik ein paar ruhige und besinnliche Tage zu verbringen. Dabei kann das Klosterleben aktiv miterlebt und mitgestaltet werden.» So präsentieren sich über 30 Klöster in der Schweiz und Liechtenstein auf der Internet-Site «Kloster auf Zeit».

Diese beinahe touristisch-marktwirtschaftliche Ausrichtung erstaunt nicht ganz: Viele Klöster leiden an Mitgliederschwund und Mangel an Nachwuchs. Dadurch reichen die vor allem durch Eigenleistungen der Mönche und Nonnen erbrachten Einnahmen – Seelsorge, Pfarr- und Schulämter, soziale Tätigkeiten – nicht mehr. Auch eine autarke Versorgung aus der eigenen Landwirtschaft gibt es für die Klöster heute nicht mehr.

Batterien aufladen

«Ich bin für drei Tage hier im Kloster Einsiedeln, um die Batterien wieder aufzuladen», sagt einer der Gäste auf Zeit gegenüber swissinfo. Der Mann ist Chef des Betreibungsamtes in einer grossen Schweizer Stadt. Wegen seiner Position will er anonym bleiben.

Sein Beruf sei heute derart stressig und manchmal sogar gefährlich, dass er jetzt gerade wieder einmal «ausgebrannt» sei. Da seien Austage im Kloster für ihn wie «Wellness für die Seele», erklärt der praktizierende Protestant, der die katholischen Rituale im Kloster ohne Probleme mitmacht.

Er sei vorher schon einmal hier gewesen, sagt der Gast. «Die Erfahrungen waren so gut für mich, dass ich jetzt wieder gekommen bin. Und vielleicht ist es nicht das letzte Mal.»

Viele «ausgebrannte» Berufsleute

«Die Gäste auf Zeit kommen aus allen möglichen Berufsgruppen und allen sozialen Schichten», sagt Pater Johannes, der für deren Betreuung verantwortlich ist. Dabei habe es viele «ausgebrannte» Berufsleute, präzisiert er gegenüber swissinfo, «und zwar nicht nur Manager».

Viele der Gäste auf Zeit kommen aus dem Ausland. Vor allem aus Italien, aber auch aus Deutschland und sogar den USA, so Pater Johannes. «Davon profitiere ich, weil ich jeweils meine Fremdsprachen-Kenntnisse wieder beleben kann.»

Gästepater Johannes ist übrigens auch für die Kloster eigene Weinproduktion und den Verkauf der edlen weissen und roten Tropfen verantwortlich. Das Ganze bezeichnet er als «Profit Center» des Klosters.

Weniger Pilger- und Wallfahrts-Tourismus

Im Schweizer Vorzeigebetrieb Kloster Einsiedeln im Kanton Schwyz, das einst für 200 Mönche gebaut wurde, leben derzeit nur noch deren 84, wie Pater Basil gegenüber swissinfo sagt. Er ist Dekan im Kloster, also Stellvertreter des Abtes, und Ansprechperson für seine Mitbrüder in der Benediktinerabtei.

Seit Jahrhunderten habe es schon Menschen gegeben, die nach Einsiedeln gepilgert seien. In den letzten Jahrzehnten sei der Wallfahrts-Tourismus aber zurückgegangen.

«Heute sind Menschen wieder mehr persönlich, individuell am Suchen», so Pater Basil. «Kloster auf Zeit» biete dazu eine Möglichkeit. Es sei aber bestimmt kein Projekt, das dem Kloster Geld bringe. «Geld ist auch nicht die Idee dahinter», betont er und wehrt sich gegen den Ausdruck «Pilger- und Kloster-Tourismus».

Gäste ein gutes Zeichen

Nach den Regeln des Heiligen Benedikt sollte ein Kloster immer Gäste haben, sagt Pater Basil. Gepflegte Gastfreundschaft bedeute, dass ein Kloster in gutem Zustand sei. «Gäste sind eine Bereicherung, jeder Mensch ist eine Bereicherung.»

Das Kloster Einsiedeln organisiert den Bereich «Kloster auf Zeit» in eigener Regie, also ohne Mithilfe oder Zusammenarbeit mit dem örtlichen Verkehrsverein. Mit diesem gibt es lediglich eine Absprache im Falle von grösseren Pilger- oder Wallfahrts-Gruppen, die in Hotels untergebracht werden – ein «Segen» für die sonst eher serbelnde Tourismus-Branche.

Strenger Tagesablauf

Das Kloster Einsiedeln lädt die «Gäste auf Zeit» ein, den normalen Tagesablauf der Mönche mitzumachen. Die Gäste können jedoch entscheiden, ob sie alle oder nur einzelne Rituale begleiten wollen. «Das ganze Tagesprogramm kann gewisse Menschen überfordern, weil sie sich an einen solchen Lebensrhythmus nicht gewöhnt sind», erklärt Pater Basil.

Das wird klar, wenn man einen Blick auf die Gottesdienstzeiten wirft: 07.15 Morgengebet, 09.30 Heilige Messe an Sonn- und Feiertagen (an Werktagen um 11.15), 11.15 Mittagsgebet, 16.30 Abendgebet, 20.00 Nachtgebet, danach auch im Gästetrakt Ruhe.

Kein Störfaktor

Stören lassen sich die Mönche in der Benediktinerabtei von den Gästen nicht. «Falls ein ‹Störefried› auftreten sollte, haben wir die Möglichkeit, das zu regeln», sagt Pater Basil. Für die Gäste gibt es einen eigenen Trakt mit 23 Zellen.

Für den Aufenthalt der Kloster-Gäste werden keine fixen Preise verlangt. Man sei aber für jeden Unkostenbeitrag sehr dankbar, sagt Pater Basil. Als Richtpreis könne man für einen Tag mit Vollpension 60 Franken annehmen.

Alle willkommen

«Willkommen sind bei uns alle Menschen, die ‹ehrliche Gott-Sucher› sind, wie wir das vielleicht nennen würden», erklärt Pater Basil. Man müsse also nicht katholisch sein. Als Gäste habe man auch schon Protestanten und Juden gehabt, aber auch Leute, die aus der Kirche ausgetreten seien, «die sich vielleicht sogar als Atheisten bezeichnen».

Nur eines muss man sein: Mann. «Wir sind in erster Linie ein Männer-Kloster», so Pater Basil.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

«Kloster auf Zeit»: Über 30 Schweizer Klöster sind beteiligt

Kloster Einsiedeln: Gebaut für 200 Mönche, heutige Besetzung: 84; Gästetrakt mit 23 Zellen

Richtpreis für Gäste auf Zeit: Vollpension 60 Fr. pro Tag

Wer für einige Tage oder Wochen der alltäglichen Hektik entfliehen möchte und Ruhe zum Durchatmen oder zur inneren Einkehr sucht, kann am Klosterleben teilnehmen.

Immer mehr Klöster in der Schweiz, aber auch in anderen Ländern wie Österreich, Italien, Frankreich oder Deutschland, erkennen ihr touristisches Potential und nehmen Gäste auf Zeit auf.

Die Klöster öffnen die einst undurchlässigen Pforten für Gäste, organisieren Konzerte und Kurse, bieten Gespräche oder auch die hohe Schule der Exerzitien an.

Vielen Klöstern kommt die fast marktwirtschaftliche Öffnung gelegen wegen der schwierigen finanziellen Situation. Mitglieder-Schwund und mangelnder Nachwuchs führen zu weniger Einnahmen aus Eigenleistungen.

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