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Zwischen Religionsfreiheit und Schulpflicht

Schwimmen obligatorisch, Ganzkörper-Bekleidung erlaubt. Visum

An öffentlichen Schulen gelten für alle die gleichen Rechte und Pflichten. Muslimische Schülerinnen und Schüler müssen grundsätzlich auch am obligatorischen Schwimmunterricht teilnehmen. Allerdings muss die Glaubensfreiheit respektiert werden.

Dürfen Kinder in der Schweiz dem Schwimmunterricht aus religiösen Gründen fernbleiben? Mit dieser Frage müssen sich die Schulen vermehrt auseinandersetzen.

Eine Patentlösung gibt es nicht, wie Beat W. Zemp, Zentralspräsident des Dachverbands Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH), gegenüber swissinfo sagte.

swissinfo: Ist es zwingend, dass muslimische Mädchen den Schwimmunterricht besuchen? Fällt Schwimmen überhaupt unter Bildung?

Beat W. Zemp: Das hängt von den kantonalen Lehrplänen ab. Sport ist heute überall ein obligatorisches Schulfach, dazu gehört auch Schwimmen.

Die Frage ist, ob der Schwimmunterricht als obligatorisches Lernziel genannt ist. Wenn ja, gehört Schwimmen zur Bildung und es gibt keinen Grund, generelle Dispensationen zu erteilen.

swissinfo: Soziale und integrative Bereiche sind kantonal geregelt. In Bern ist eine Dispensation vom Schwimmunterricht zum Beispiel eher möglich als in Basel. Würden Sie eine gemeinsame Strategie begrüssen?

B.W.Z.: Die Lehrpläne sind immer noch kantonal geregelt, deshalb ist die Dispensationspraxis unterschiedlich.

Das wird sich ändern, wenn wir einen Deutschschweizer Lehrplan und einen Lehrplan für die ganze Romandie haben. Dann macht es auch Sinn, in diesem Bereich eine gemeinsame Strategie anzuwenden.

swissinfo: Gestützt auf einen Bundesgerichts-Entscheid von 1993 wird Religionsfreiheit immer wieder über das Recht auf Bildung gestellt, beides sind Menschenrechte. Ist das richtig?

B.W.Z.: Dieser Katalog von Menschenrechten ist ja nie widerspruchsfrei. Auch in der Schule kommt es zu Zielkonflikten, mit denen wir umgehen müssen. So gilt etwa das Gebot der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Das verlangt ein erhebliches Mass an Toleranz.

Toleranz ist jedoch nicht gleichzusetzen mit dem Zulassen jeglicher privater Überzeugungen und Gelüste. Da gilt es Grenzen zu setzen, wenn der Lehrplan erheblich beeinträchtigt wird.

In all diesen Dilemma-Situationen muss die Schule eine Güterabwägung machen und sich an den gesetzlichen Grundlagen orientieren. Und hier gilt bis jetzt eben dieser Bundesgerichts-Entscheid von 1993.

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Bundesgericht

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Das Schweizerische Bundesgericht (BGer) in Lausanne wurde 1848 bei der Umwandlung der Schweiz in einen föderalistischen Bundesstaat errichtet. Bei der Totalrevision der Bundesverfassung 1874 wurde der Aufgabenkreis des Gerichts erweitert. Das Bundesgericht ist im Wesentlichen eine Rekursstelle, welche die Einhaltung des Bundesrechts überwachen muss. Das BGer prüft auch, ob die kantonalen Gesetzgebungen konform mit dem…

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swissinfo: Was ist in Ihren Augen wichtiger: Religionsfreiheit oder Schulpflicht und die Anforderungen der Integration?

B.W.Z.: Das lässt sich so nicht generell beantworten. Beide sind wichtige Güter.

Für mich persönlich ist klar, dass Schulpflicht und die Anforderungen der Integration Priorität haben. Allerdings muss der Religionsfrieden gewährt sein, wie das die Verfassung und die meisten Schulgesetze verlangen.

swissinfo: Oberste Priorität sollte das Wohl des Kindes haben. Führt eine liberale Haltung nicht zur Vernachlässigung der Integration? Zur Marginalisierung des Kindes innerhalb der Klasse?

B.W.Z.: Diese Gefahr besteht tatsächlich. Wir haben ein Positionspapier verabschiedet, wie man mit der Religionsfreiheit ganz allgemein und dem Schwimmunterricht im besonderen umgehen soll.

Wenn ein Kind vom Schwimmen dispensiert wird, muss man das in der Klasse thematisieren, damit es nicht ausgegrenzt wird. Die Klassenkameraden müssen verstehen können, warum diese Dispensation ausgesprochen wurde. Da sind die Lehrer, aber auch die Schulleitung gefragt.

swissinfo: Ein Kind kann leicht in einen Clinch zwischen Elternhaus und Schule geraten. Wie hilft die Schule der Schülerin, dem Schüler?

B.W.Z.: Wenn möglich sucht die Schule die Zusammenarbeit mit den Eltern, was nicht immer einfach ist.

Falls die Eltern die unverhandelbaren Grundsätze der öffentlichen Schule, wie die Gleichbehandlung der Geschlechter, nicht akzeptieren können, bleibt ihnen nur noch der Ausweg über eine private Schule übrig.

swissinfo: Was unternimmt der Dachverband, um die Situation zu verbessern?

B.W.Z.: Was wir machen konnten, haben wir getan, nämlich ein breit abgestütztes Papier verabschiedet, das für die Lehrpersonen eine Handlungshilfe ist.

Es liegt nun am Bundesgericht, die Praxis zu ändern, denn die Situation hat sich seit 1993 teils dramatisch verändert. Die Heterogenität in den Schulen hat massiv zugenommen, auch ethnisch gesehen. Daher ist die Integration viel wichtiger geworden, weil eben die Durchmischung als Ziel der Volksschule anerkannt ist.

Es ist gut möglich, dass sich das Bundesgericht nochmals mit dieser Thematik befassen muss, denn im Kanton Schaffhausen ist ein weiterer Fall hängig. Da geht es nicht um muslimische Mädchen, sondern um muslimische Knaben, die sich vom geschlechter-gemischten Schwimmunterricht dispensieren lassen wollten.

swissinfo-Interview: Gaby Ochsenbein

Der Schwimm- und Sportunterricht ist obligatorisch. Dispensationen können nur Schülerinnen und Schülern gewährt werden, welche die Geschlechtsreife erlangt haben (ab ca. 12 Jahren), sofern der Schwimmunterricht geschlechter-gemischt erteilt werden muss.

Für den Besuch von geschlechter-getrenntem Schwimmunterricht können keine Dispensationen gewährt werden.

Im Schwimm- und Sportunterricht soll es für die Schülerinnen und Schüler möglich sein, sich getrennt von der Klasse umzuziehen und zeitlich gestaffelt und/oder räumlich getrennt zu duschen.

Auch sollen sie besondere Bekleidung (Ganzkörper-Anzug) tragen dürfen.

Nach Möglichkeit führen gleichgeschlechtliche Lehrpersonen den Schwimmunterricht durch.

Um Ausgrenzungen vorzubeugen und Verständnis zu wecken, sollten die Besonderheiten im Unterricht thematisiert werden.

Das oberste Gericht der Schweiz kam in einem Urteil 1993 zum Schluss, dass im Spannungsfeld zwischen dem Anspruch der Bundes-Verfassung auf freie Religions-Ausübung und der Vorgabe des obligatorischen Volksschul-Unterrichts im Fall des obligatorischen Schwimm-Unterrichts die Glaubensfreiheit höher zu bewerten sei.

Ein Fehlen im Schwimm-Unterricht gefährde die Erreichung der Ziele der Volksschule nicht.

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