Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Emil Bührle: Die Kunst des Krieges

Der Schweizer Unternehmer Emil Bührle, rechts, und sein Gast, der indische General Kondanera Madappa Cariappa, links, besuchen eine Waffendemonstration in Walenstadt, aufgenommen 1950. Keystone / Str

Seine Kunstsammlung wird 2021 ihren Platz im Kunsthaus Zürich einnehmen. Aber seine Geschichte wird weiter debattiert. Wer war Emil Bührle? Und wie wurde aus dem Sohn des deutschen Bürgertums der reichste Mann der Schweiz und ein weltbekannter Sammler?

«1924 kommt Emil Georg Bührle mit einer Frau, zwei Gemälden und einem Beruf in die Schweiz», sagt Mathieu Leimgruber, Historiker an der Universität Zürich.  Bis 1940 umfasst seine Sammlung bereits mehr als 50 Gemälde und Statuen; während der Kriegsjahre kommen etwa 90 hinzu.

Dann, in den 1950er-Jahren, nehmen mit den Gewinnen als Waffenfabrikant auch die Kunstankäufe exponentiell zu: 1956, nach Bührles Tod umfasst die Sammlung 638 Werke. 200 davon werden ab nächstem Jahr im Zürcher Kunsthaus gezeigt werden.

Leimgruber betreute die von Stadt und Kanton Zürich in Auftrag gegebene Studie zur Aufklärung der umstrittenen Rolle der Figur des Mäzens und Waffenhändlers – denn die Geschichte seiner Sammlung ist eng verwoben mit dem Aufstieg des grössten Schweizer Waffenhändlers.

Aufgrund von Vorwürfen eines ehemaligen Mitarbeiters des Forschungsprojektes, über die auch in der Presse berichtet wurde, unterzog die Universität Zürich die Studie über Emil Bührle der Beurteilung durch zwei externe Historiker, Jakob Tanner und Esther Tisa Francini.

Die Vorwürfe betrafen insbesondere einige redaktionelle Änderungen, die auf Anregung von Mitgliedern des Leitungsausschusses der Studie vorgenommen wurden und sich auf Bührles Beteiligung am Freikorps und seinen Antisemitismus bezogen.

Die externen Evaluationen bestätigten die wissenschaftliche Qualität des Berichts, hielten aber die Interventionen unter dem Gesichtspunkt der «guten Praxis» in der historischen Forschung für problematisch.

Als Sohn eines Steuerbeamten wächst Bührle in Freiburg im Breisgau (D) auf, wo er auch Literatur und Kunstgeschichte studiert. Der Krieg reisst ihn jedoch von seinem Studium fort. Die Erfahrung der Front macht ihn – seine Worte dafür zeigen eine für seine Zeit typisch männlich-kriegerische Weltsicht – zu einem Mann, der «den rauen Tatsachen nüchtern ins Auge» schaut.

Bei Kriegsende kehrt er nicht sofort ins zivile Leben zurück, sondern wird Offizier in einem jener Freikorps, die in Deutschland die Kommunisten bekämpfen. Zu dieser Zeit lernt Bührle seine zukünftige Frau Charlotte Schalk kennen, die Tochter eines Bankiers aus Magdeburg. «Die Begegnung mit der Familie Schalk ist zentral», stellt Mathieu Leimgruber fest.

Für die Schweiz, für Deutschland – und für sich selbst

Denn sein Schwiegervater, der mit dem Schwiegersohn eine rechtskonservative Weltanschauung teilt, öffnet Bührle die Türen zur metallverarbeitenden Industrie. Bührle verzichtet auf eine Karriere in der Armee und tritt in die Magdeburger Werkzeug- und Maschinenfabrik ein. 1924 wird er in die Schweiz geschickt, wo die deutsche Firma gerade die Kontrolle über die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO) übernommen hat.

Dank eines Patents für eine automatische Kanone, das von einer anderen Firma erworben wurde, kann die WO innerhalb kurzer Zeit in eine Waffenfabrik umgewandelt werden. «In seiner neuen Funktion ist Bührle Teil eines Netzwerkes von transnationalen industriellen und militärischen Akteuren, darunter auch schweizerischen Rechten, die nach dem 1. Weltkrieg bei der heimlichen Aufrüstung Deutschlands mithelfen», bemerkt Leimgruber. Damit beginnt der Aufstieg des jungen Industriekapitäns.

Bührle findet sich in diesem Umfeld mühelos zurecht und erlangt ausgezeichnete Kontakte zur deutschen Militärführung. Aber mit dem ihm eigenen Opportunismus gelingt es ihm, ein Gleichgewicht zwischen seinen Beziehungen zu Deutschland und seinen persönlichen Ambitionen zu wahren. Er verkauft nicht nur Deutschland Waffen, sondern auch anderen Ländern, u. a. der Sowjetunion. Allmählich gelingt es ihm mit Hilfe des Kapitals seines Schwiegervaters, die Kontrolle über die WO zu übernehmen. Im Jahr 1938 wird er alleiniger Aktionär und wandelt die Firma in eine Kommanditgesellschaft um.

Uomini e cannone
Haile Selassie I., der letzte Kaiser von Äthiopien, besucht am 26. November 1954 während eines offiziellen Besuchs in der Schweiz die Waffenfabrik Oerlikon. Keystone / Ilse Guenther, Ilse Mayer-guenth

Ein Industrieller erweitert sein Netzwerk

Mit seinem Vermögen wächst auch sein soziales Prestige. In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre gründet er zwei Rüstungsunternehmen, Contraves und Pilatus, beide im Zeichen der Modernisierung der Luftwaffe geboren. Dadurch kommt der Unternehmer mit den politischen und industriellen Kreisen in Kontakt.

Seine Aufnahme in die wirtschaftliche Elite der Schweiz erfährt durch seine Einbürgerung 1937 einen weiteren Schub.  «Unter den Industriellen trifft Bührle manchmal noch auf eine gewisse Zurückhaltung, aber vor allem von 1939-1940 kann er auf das Interesse der Banken zählen, die vor allem Investitionsmöglichkeiten sehen», bemerkt Mathieu Leimgruber.

1939 wurde er Mitglied der Leitungsgremien des Arbeitgeberverbandes für die Metallindustrie. Seine bereits beachtliche Kunstsammlung öffnet ihm 1940 auch bei der Zürcher Kunstgesellschaft die Pforten.

Kriegsgewinne

Ist die WO bis Ende der 1930er-Jahre ein wachsendes, aber im Grunde immer noch marginales Unternehmen, so ändert sich mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges alles. Die ersten Aufträge im Wert von 60 Millionen Schweizer Franken kommen aus Frankreich und Grossbritannien. Doch schon bald beliefert die Firma fast ausschliesslich die Achsenmächte.

Die Geschichte Emil Bührles ist eng mit der des Kunstmuseums Zürich verbunden. 1943 präsentiert Bührle erstmals einen Teil seiner Sammlung im Kunsthaus. Im Jahr 1952 übernimmt er die Gesamtkosten für die erste Erweiterung des Museums. Der neue Flügel wird nach seinem Tod 1958 eingeweiht. Ab nächstem Jahr werden die rund 200 Werke der Bührle-Stiftung im neuen, vom britischen Architekten David Chipperfield entworfenen Kunsthausgebäude untergebracht sein.

Zwischen 1940 und 1944 verkauft Bührle Kriegsmaterial im Wert von über 400 Millionen Franken an Deutschland und für fast 100 Millionen Franken an Italien.

Die Kriegsindustrie, die zuvor ein bescheidenes Gewicht in den Schweizer Exporten hatte, macht 1941 14% der Gesamtexporte aus. Bei diesem Anteil spielt die WO eine vorherrschende Rolle. Während der Kriegsjahre wächst das Vermögen Emil Bührles dramatisch an und beläuft sich 1945 auf über 160 Millionen Franken. Er ist nun der grösste Steuerzahler im Kanton Zürich.

Busto e quadri
Eine Büste von Emil Bührle, kreiert von Charles Baenniger. Keystone/eddy Risch

Ein Antikommunist auf dem Höhepunkt des Erfolgs

Am Ende des Krieges stösst Bührle jedoch auf einige Schwierigkeiten. Im Oktober 1944 verhängt der Bundesrat ein Waffenexportverbot, das im Juni 1946 wiederholt ausgesprochen wird. Aufgrund seiner engen Handelsbeziehungen mit Deutschland steht der Waffenfabrikant ausserdem ab 1941-1942 auf der Schwarzen Liste der Alliierten.

Bührle profiziert beim Aufbau seiner Sammlung von der Judenverfolgung. Indirekt und in eher begrenztem Umfang nutzte Bührle auch die Zwangsarbeit in Deutschland, über einen Lizenzvertrag mit der Firma Ikaria, die Flugzeugkanonen herstellte – es geht um Produkte im Wert von 870’000 Franken.

Aber hegte er auch antijüdische Gefühle? Die Studie der Universität Zürich zitiert ein Dokument, in dem Bührle als Reaktion auf eine Karikatur der Satirezeitschrift Nebelspalter 1940 das Stereotyp des gierigen jüdischen Industriellen verwendet. Die Spur reicht für ein endgültiges Urteil nicht aus, aber sie zeigt, dass der Industrielle die antisemitischen Klischees seiner Zeit teilte.

Bührle strebt eine Diversifizierung der Produktion an. Gleichzeitig aber erlaubt das Washingtoner Abkommen von 1946 der Schweiz, den Streit mit den Alliierten, der über die schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen mit den Achsenmächten entbrannt ist, zu schlichten. Diese Normalisierung der Beziehungen zu den westlichen Staaten und die aufkeimende Konfrontation zwischen den Blöcken im Kontext des Kalten Krieges eröffnet den Kriegsmaterialproduzenten neue Perspektiven. Bührle setzt sich zusammen mit anderen in der Branche erfolgreich für ein nachgiebiges Exportregime ein.

Bereits 1948 wecken die von der Firma entwickelten ballistischen Raketen das Interesse der US-Armee. Im Jahr 1951 beschliesst Washington, sie im Koreakrieg einzusetzen. Trotz einiger Zweifel seitens der Schweizer Behörden erhält Bührle 1953 eine Exportbewilligung für 300’000 Raketen in die USA. Gleichzeitig investiert auch die Schweizer Armee in ein umfangreiches Aufrüstungsprogramm.

Bührle, mittlerweile der reichste Mann der Schweiz, ist auf dem Höhepunkt seines Erfolgs: Sein langjähriger Antikommunismus steht in perfektem Einklang mit den geostrategischen Interessen des Westens, sein Ruf als Kunstsammler reicht weltweit. 1955 wurde er von der Zeitschrift Fortune als einer der fünf grössten Sammler der Welt betrachtet. Ein Jahr später stirbt Emil Bührle an einem Herzinfarkt.

Der Opportunismus eines Sammlers

Die Geschichte des rechten Unternehmers kleinbürgerlicher Herkunft, der an die Spitze der Zürcher Gesellschaft und der europäischen Kriegsindustrie gelangt, ist eng mit der seiner Sammlung verbunden. Seine Sammlung wächst parallel zu seinem unternehmerischen Erfolg und ist in der Tat eine wichtige Begleiterscheinung davon. «Bührle hat zwar eine Leidenschaft für die Kunst, aber er ist sich auch des gesellschaftlichen Prestiges bewusst, das sich aus seiner Rolle als Sammler und Mäzen ergibt», bemerkt Leimgruber. «Sammeln ist ein Instrument der Integration in die Zürcher Elite».

Mehr

Bekanntlich fallen 13 von Bührle während des Krieges erworbene Werke in die Kategorie der gestohlenen Kunst; sie wurden bei jüdischen Sammlern beschlagnahmt. Nach dem Krieg musste der Industrielle sie an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben. Danach wird er einige von ihnen zurückkaufen. Doch über die gestohlene Kunst im engeren Sinne hinaus profitierte Bührle skrupellos von den Chancen des Kunstmarktes nach der Liquidierung von Sammlungen flüchtender Juden aus Europa.

Die Sammlung Bührle ist zweifellos ein Kind des Krieges. Macht es dennoch Sinn, sie auszustellen? «Ja. Wenn man sie versteckt, dann wird nicht darüber diskutiert. Und wir müssen darüber reden», sagt Mathieu Leimgruber.

David Eugster

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Diskutieren Sie mit!

Ihre Beiträge müssen unseren Richtlinien entsprechen. Wenn Sie Fragen haben oder ein Thema für eine Debatte vorschlagen möchten, wenden Sie sich bitte an uns!

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft