Geschichten vom Wachsen und Scheitern am Berg
Emil Zopfi, prägende Figur der aktuellen Schweizer Bergliteratur, ist mit der Goldmedaille der King Albert I Memorial Foundation ausgezeichnet worden. Zopfis Berggeschichten seien bar von Pathos und Klischees, sagt Franz Hohler zum Schaffen seines Schriftstellerfreundes.
«Emil Zopfi ist DER deutschsprachige Bergschriftsteller der Gegenwart, der mit seinen alpinen Erzählungen, Romanen, Hörspielen, Essays, Kinderbüchern und Monografien nicht nur die Bergsteiger erreicht, sondern auch das grosse Publikum», würdigen ihn die Preisverleiher.
Als einer der diesjährigen Gewinner der Goldmedaille der King Albert I Memorial Foundation tritt Zopfi in prominente Gesellschaft.
Frühere Preisträger sind etwa Erhard Loretan, Extrembergsteiger, dem als Drittem die Besteigung aller 14 Achttausender gelang. Oder Oswald Oelz, Arzt, Extrembergsteiger und Autor.
Der belgische König Albert der Erste war ein Pionier des Bergsteigens in den Alpen, der seine Passion 1934 mit dem Leben bezahlte.
Die in Zürich ansässige Stiftung zu Ehren des wagemutigen Monarchen würdigt mit den im Zweijahres-Rhythmus vergebenen Auszeichnungen Personen, die sich in irgendeiner Form um die Berge verdient gemacht haben.
So fungieren unter den Preisträgern nebst herausragenden Bergsteigern und Bergsteigerinnen auch Wissenschafter, Experten der alpinen Rettung oder Verleger. Und eben Schriftsteller.
Zwei Herzen in der Brust
Schon als 17-Jähriger kletterte Zopfi schwierigste Routen im Fels. Einen Namen gemacht hat sich der 67-jährige Zürcher aber mit seiner zweiten Passion, der Schriftstellerei.
Seit 25 Jahren veröffentlicht er Romane, Krimis, Essays, Hörspiele und Dokumentationen, die Berge als Schauplatz gemein haben. Im Band «Über alle Berge. Geschichten vom Wandern» etwa editierte Zopfi Texte bekannter deutschsprachiger Autoren wie Max Frisch, Hermann Hesse, Friedrich Nietzsche oder Peter Weber.
Seelenverwandtschaft
Darin ist auch Franz Hohler mit einem Text vertreten. «Emil Zopfi gehört zu jenen Schriftstellern, welche die Berge am konsequentesten beschreiben. Diese sind Schauplatz sowohl von Vorder- wie Hintergründigem», sagt der Autor und Kabarettist gegenüber swissinfo.ch.
Hohler ist nicht nur gleichaltriger Berufskollege, sondern teilt auch Zopfis Liebe zu den Bergen.
Seit 2005, als der gebürtige Oltner das Buch «52 Wanderungen» vorlegte, sind die beiden befreundet. «Ziel einer meiner wöchentlichen Wanderungen war der Mürtschenstock. Ich fragte Emil Zopfi, ob er mich begleiten wolle, denn er lebte damals in Obstalden, und der Mürtschenstock war sein Hausberg», erzählt Hohler.
Wegen eines Wetterumsturzes, der früher als angekündigt eingetreten sei, hätten vor dem Gipfel sie umkehren müssen. «Ein Jahr später haben wir die Wanderung aber nachgeholt, und den Mürtschenstock bestiegen.»
Raus aus dem Gefängnis, auf in den Grenzbereich
Was ist es, das Zopfis Protagonisten wie den alternden Johannes aus «Die Wand der Sila» in die Berge zieht?
«Um dem Gefängnis zu entfliehen», zitiert Hohler eine der beiden Hauptfiguren aus Ludwig Hohls wegweisender «Bergfahrt» von 1975. Die meisten Menschen würden heute «Indoor-Arbeit» leisten. «In den Bergen können sie eine Freiheit erfahren, die sie im Alltag nicht mehr haben. Dazu kommt der seltsame Drang, etwas Schwieriges zu vollbringen», sagt Hohler.
Dafür reiche eine gemütliche Wanderung nicht mehr aus, vielmehr müsse eine Herausforderung in Form eines Bergmarathons, Ironman-Triathlons oder einer gefährlichen Wand her, die einem an Grenzen bringe.
Bittere Erfahrungen des Alterns
Eine Wand wie diejenige der Sila. «Das Sich-Beweisen ist Motiv des Romans», sagt Hohler. Darin kehrt der bereits erwähnte Johannes zu jenem Berg zurück, an dem er in jungen Jahren gescheitert war.
Unterwegs trifft er auf einen jungen Sportkletterer, und sie beschliessen, die Wand gemeinsam zu besteigen. «Die Tour liefert dem Älteren die bittere Einsicht, dass seine Kräfte kaum mehr reichen», verrät Hohler.
Vorbelastete Gattung
Im deutschsprachigen Raum, ganz im Gegensatz zu England und Amerika, ist die Gattung der Bergliteratur heute immer noch marginalisiert, wenn nicht kompromittiert. In den 1930er-Jahren hatten Nazi-Ideologen den Berg zu einem der Schauplätze auserkoren, an dem die Helden deutscher Rasse ihre Überlegenheit beweisen konnten.
In der Schweiz ist es laut Franz Hohler Johanna Spyris ‹Heidi›, welches das Genre bis heute belaste. «Durch diesen absoluten Bergknüller sind Berge als Motiv zur Gefahr geworden», sagt Hohler.
Dies könnte einer der Gründe sein, weshalb die Schweiz zwar über eine anerkannte Bergmalerei verfüge, aber über keine ausgesprochene Bergliteratur.
Wo sich Dramen abspielen
Seit 25 Jahren ist es Zopfis Verdienst, die Gattung von Altlasten zu befreien und sie in eine Gegenwart einzubetten, die sich nicht nur in den Ballungszentren, sondern gerade auch im Alpenraum rasch wandelt.
«Zopfis dokumentarisches Erzählen rettet ihn vor dem Pathos, seine Bergromane verfallen nicht in Klischees, wie sie etwa im Lied ‹Bergkameraden sind› besungen werden: ‹Mit Seil und Haken den Tod im Nacken hängen wir in der steilen Wand…'», intoniert Hohler. Zopfi drücke auch nicht auf die Tränendrüsen, sondern erzähle trocken und bleibe mit Sachlichkeit am Motiv.
«Dabei bergen Berge das Drama in sich», sagt Hohler und erwähnt den Klassiker «Die Weisse Spinne» von Heinrich Harrer, einem der Erstbesteiger der Eigernordwand.
«Berggeschichten sind nur interessant, wenn jemand abstürzt. In diesem Punkt gleicht Bergliteratur der Kriegsliteratur.»
Trotz offenkundiger Seelenverwandtschaft der beiden Schriftstellerfreunde: Am Berg gehen sie meist getrennte Wege. «Ich bin kein guter Kletterer, aber ein leidlicher Berg- und Tourengänger», sagt Hohler. Zopfi dagegen, der exzellente Kletterer, mache keine Hochtouren.
Renat Künzi, swissinfo.ch
1977 legte der ausgebildete Informatiker Emil Zopfi seinen ersten Roman vor, der in der Computerbranche spielt. 1986 folgte als viertes Buch «Die Wand der Sila», sein erster «Roman aus den Bergen».
Von Zopfi ist seither u.a. eine Krimi-Trilogie erschienen, die in den Schweizer Bergen spielt.
Er verfasste die Essay-Sammlung «Dichter am Berg» über Persönlichkeiten der Alpinen Literatur der Schweiz.
Als Herausgeber vereinte er im Band «Über alle Berge. Geschichten vom Wandern» Texte unter anderem von Max Frisch, Hermann Hesse, Friedrich Nietzsche Peter Weber, die allesamt ums Thema Berg kreisen.
Emil Zopfi initiierte 2004 das Festival «Bergfahrt», das alle zwei Jahre stattfindet und vornehmlich dem Genre der Bergliteratur gewidmet ist.
Emil Zopfi, Die Wand der Sila, 1986; Finale, 2010, Kriminalroman «aus den Bergen». Fortsetzung von «Steinschlag» und «Spurlos».
Daniel Anker, Jungfrau – Zauberberg der Männer, 1996; Eiger – die vertikale Arena, 1998; Corti-Drama. Tod und Rettung am Eiger 1957-1961, 2007.
Ueli Steck, Die drei großen Nordwände der Alpen in Rekordzeit, 2010.
Sabina Altermatt, Fallhöhe, 2010.
Otto Zumoberhaus, Am Schattenberg, 2009.
Franz Hohler, 52 Wanderungen, 2005.
Dominik Schnetzer, Bergbild und Geistige Landesverteidigung. Die visuelle Inszenierung der Alpen im massenmedialen Ensemble der modernen Schweiz, 2009.
Ursula Bauer und Jürg Frischknecht, Grenzschlängeln, 1995; Veltliner Fussreisen Zwischen Bündner Pässen und Bergamasker Alpen, 1997/2007.
Ludwig Hohl, Bergfahrt, 1975 (Klassiker der modernen Schweizer Bergliteratur)
Hans Morgenthaler, Ihr Berge, Neuausgabe 1996
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