1000-Betten-Hotels und chinesischsprachige Führer
Um noch vermehrt Gäste aus China, möglichst in Gruppen, anzulocken, müssten die Schweizer einige 1000-Betten-Hotels bauen, versichert der chinesische Reiseveranstalter Hui Ni gegenüber swissinfo.ch. Auch gebe es zu wenig Führer, die chinesisch sprechen.
Hui Ni ist Generaldirektor von Grand China MICE Service, einer Tochtergesellschaft der Hainan Airlines. Grand China organisiert und veranstaltet Tagungen (Meetings), Belohnungsreisen (Incentives), Kongresse (Conventions) und ähnliche Anlässe (Events), MICE genannt.
swissinfo.ch: Aus welchen Reisesegmenten stammen jene Chinesen, die Reisen nach Europa buchen?
Hui Ni: Aus meiner 20-jährigen Erfahrung heraus sind es diejenigen, die vorher bereits Südostasien, Hongkong oder Macao besucht haben und sich jetzt für teure Überseereisen wie Europa entschieden haben. Heute sind unter diesen Reisenden auch immer mehr Junge auszumachen, vor allem Angestellte mit einem gewissen finanziellen Polster.
swissinfo.ch: Sind Pauschalreisen wie «7 Länder in 10 Tagen» immer noch so beliebt? Und gibt es Reiseangebote für nur ein Land wie die beispielsweise Schweiz?
H. N. : Beides ist zu kaufen. Für ihre erste Reise nach Europa wählen die meisten ein Package, das mehrere Länder umfasst. Diejenigen, die bereits in Europa waren, entscheiden sich dann für Angebote mit nur einem oder zwei Ländern.
Ferner spielt es eine grosse Rolle, woher der Kunde kommt. Städter aus Schanghai oder Peking bevorzugen Themenreisen wie das Entdecken von Weinen, Skifahren, grossen Festen, Schlossreisen oder Wellness. Leute aus kleineren Städten oder der Provinz hingegen möchten lieber eine Einführungsreise. Daneben steigt die Nachfrage nach Luxus-Rundreisen.
swissinfo.ch: Wie sehen solche Rundreisen durch Europa aus? Heisst das Landung in Paris, Fahrt quer durch Europa und Abflug ab Rom?
H. N. : So verläuft die Standardvariante, wie sie Tour Operator heute noch auflegen. Aber es gibt inzwischen viele weiteren Rundfahrten, weil von China aus mehr Flughäfen direkt angeflogen werden. Es geht nicht mehr nur um Paris, sondern auch um Frankfurt, München, Nordeuropa, oder die Schweiz.
Die beliebteste Rundfahrt bleibt die «DFHBL», das heisst Deutschland, Frankreich, Holland, Belgien und Luxemburg. Viel hängt auch von denjenigen Flugtickets ab, die für die Reiseagenturen zur Verfügung stehen. Hainan Airlines zum Beispiel fliegt die Schweiz direkt an. Somit können wir auch Rundfahrten Zürich-Brüssel oder Zürich-Berlin anbieten.
swissinfo.ch: Was genau spricht für die Schweiz?
H. N. : In erster Linie Landschaft, Berge, Wiesen und Seen – wunderschön. Nicht vergessen werden dürfen auch die Kleinstädte mit ihrem speziellen Charme. Schweizer Technologie wie Uhren zieht chinesische Touristen gleichfalls an.
Zu erwähnen sind ausserdem die Landeswerbung von Schweiz Tourismus und die vereinfachte Visa-Prozedur seit dem Eintritt der Schweiz in den Schengenraum.
swissinfo.ch: Chinesische Touristen erhalten oft äusserst gute Konditionen für Unterkunft und Verpflegung in der Schweiz. Ist das ein Resultat des guten Verhandelns?
H. N. : Im Fall von «Grand China» werden uns solche Leistungen von Kuoni oder anderen Veranstaltern verkauft. Bei wirklich grossen Anlässen wie 2011, als eine Belohnungsreise für 200 Angestellte von IDG organisiert wurde, haben wir direkt mit den Hotelgruppen zusammengearbeitet.
Ob man Rabatte erhält, hängt vor allem davon ab, wie lange man bereits mit der entsprechenden Hotelkette zusammenarbeitet und wie gross die Zahl der Reisenden ist. Je grösser die Anzahl, desto kleiner der Preis. Aber dafür muss man dann bei der Unterkunft vielleicht mit einem Ort vorlieb nehmen, der etwas weiter vom Zentrum liegt.
Grosse Zulieferer schlagen solche Preisnachlässe vor. Mit kleinen Anbietern ist es schwierig, Rabatte auszuhandeln. Deshalb existiert eine Version von Pauschalreisen, deren Preis von den Shopping-Ausgaben des Gastes abhängt. Solche Arrangements sind nicht teuer, weil der Veranstalter verkaufsumsatzabhängige Kommissionen erhält. Bei Grand China ist diese Variante strikt verboten.
swissinfo.ch: Weshalb ziehen es chinesische Veranstalter immer noch vor, mit lokalen hiesigen chinesischen Agenturen zusammenzuarbeiten und chinesische Verpflegung anzubieten?
H. N. : Die örtlichen Agenturen und Veranstalter hier reagieren für uns zu wenig flexibel. Denn die chinesische Kundschaft ist nicht sehr organisiert, schreibt sich spät für die Reise ein. Ausländer tun sich schwer damit.
Doch zur Zeit sind viele Hotelketten daran, sich auf den chinesischen Gast einzustellen. So bemühen sich die Hilton-Hotels, ein chinesisches Frühstück mit etwas Soja-Milch, chinesischen Krapfen und eingelegtem Gemüse zu kreieren. Chinesen werden ihre kulinarischen Vorlieben nie aufgeben… (lacht).
Viele Hotels bemühen sich darüber hinaus, Service «à la chinoise» anzubieten. Das heisst zum Beispiel, in den Zimmern Pantoffeln, Wasserkocher und Tee zur Verfügung zu stellen. So etwas ist wesentlich.
swissinfo.ch: Was raten Sie einem Schweizer Hotelier, der mehr Gäste aus China anziehen möchte?
H. N. : Erstens punkto Grösse: Einmal wollten wir eine chinesische Gruppe in die Schweiz schicken. Doch als unser lokaler Schweizer Partner erfuhr, dass die Gruppe 900 Personen umfasste , fürchtete er, die Schweiz sei «nicht imstande», eine derartige Menge an Leuten richtig zu managen. Schliesslich entschied sich die Gruppe für München.
In der Schweiz gibt es eine Menge kleiner regionaler Hotels mit viel Charakter, aber sie arbeiten nicht zusammen. Im Vergleich zu Australien zum Beispiel bietet die Destination Schweiz den Vorteil, dass man in weitere europäische Länder mit den unterschiedlichsten Landschaften reisen kann.
Doch dafür bräuchte es ein oder zwei Tausend-Betten-Hotels pro Stadt. Deshalb sollte die Schweiz in diese Art von Infrastruktur investieren, weil wir einen grossen Bedarf an solchen grossen internationalen Hotelketten haben.
Zweitens punkto Sprache: Sehr wenige lokale Touristenführer in der Schweiz sprechen chinesisch. Wir sind gezwungen, chinesische Guides aus Frankreich, Deutschland und Italien auch für die Schweiz einzusetzen, doch die kennen die Schweiz nicht gut genug. Wir haben es auch mit Schweizer Führern versucht, doch ihre Chinesisch-Kenntnisse haben nicht genügt.
Während der ersten acht Monate 2012 entfielen auf die chinesischen Gäste 487’400 Logiernächte. Das entspricht einem Wachstum von 26,5% im Vergleich zur Vorjahresperiode (laut Bundesamt für Statistik).
In absoluten Zahlen jedoch figuriert der Aufkommensmarkt China noch weit hinter Märkten wie Deutschland, Grossbritannien oder Frankreich.
Diese traditionellen Märkte für die Schweiz schrumpfen zur Zeit jedoch beträchtlich.
Simon Bosshart, bei Schweiz Tourismus für Asien-Pazifik zuständig, bestätigt gegenüber swissinfo.ch, dass es für chinesische Touristen Infrastrukturen braucht, die grosse Gruppen zu günstigen Preisen bewältigen.
So kommt es, dass die (flughafennahe) Gemeinde Opfikon bei Zürich an 5. Stelle der Ortschaften figuriert, die Gäste aus China unterbringen, gleich nach touristischen Zentren wie Luzern, Zürich, Interlaken und Genf.
«Die Chinesen schlafen nicht in Opfikon, weil es dort etwas zu sehen gäbe, sondern weil der Ort in der Nähe des Flughafens liegt, und vor allem weil es deshalb zahlreiche Hotels mit Zimmern zu akzeptablen Preisen gibt, die grössere Touristengruppen aufnehmen können», sagt Hui Ni.
(Übertragungen: Jie Guo-Zehnder; Alexander Künzle)
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