Barbie kam, und die Schweiz schrie «Göre»
Wir haben Barbie noch nicht zum 60. Geburtstag gratuliert. Als Entschuldigung können wir vorbringen, dass sie in der Schweiz allerdings auch etwas jünger ist. Hier wurde sie erst 1965 lanciert.
Letzte Woche wurde die Barbiepuppe 60: Am 9. März 1959 wurde die wohl meistproblematisierte Anzieh-Puppe der Welt zum ersten Mal an der Spielzeugmesse in New York präsentiert.
In der Schweiz kam sie allerdings einiges später an. Hier wurde sie ab 1965 angeboten – mit der Unterstützung durch die Zürcher Firma Farner PR. Die Spin-Doktoren hatten der Schweizer Bevölkerung zuvor auch Atombomben und Kampfjets schmackhaft zu machen versucht. Bei Barbie handelte es sich zwar nicht um eine Reform des Armeewaffen-Bestands, aber doch um eine des Kinderzimmers. Oder genauer: des Mädchen-Zimmers.
Der Aufstieg der Models
Der Verkauf von Barbie wurde in der Schweiz bald zu einem Skandal erhoben. Lernten Mädchen bis dahin mit ihren Puppen, wie sie Babys wickeln und in Kinderwagen rumschieben, lehrte Barbie sie Modebewusstsein. Deswegen wurde die Puppe auch schnell als Trainingseinheit für die Konsumgesellschaft angegriffen: Statt sich beim Spielen auf ein Leben als liebende Hausfrau und Mutter vorzubereiten, übten sich Mädchen nun im Anziehen und Kaufen hübscher Kleider. Die eigene Mutter wurde als Vorbild abgelöst durch die Models in extravaganten Kleidern, welche die Magazine der 1960er-Jahre in Scharen bevölkerten.
Die Kritik an Barbie wurde oft gehässig: Barbie sei eine frühreife Göre und ein lüsternes «Sexbömbchen», spottete zum Beispiel die Frauenzeitschrift «Annabelle». Doch als Aufreger war Barbie gut eingebettet in die Zeit. Wir befinden uns in den 1960er-Jahren, Mode und Aufruhr sind eng verzahnt. Frisuren lösen Entrüstungsstürme aus, und Frauen demonstrieren für ihr Recht, Mini-Röcke zu tragen.
«Erfolgreiche Heiratskandidatin werden»
Auch Barbie war durchaus als Mittel zur Revolte gedacht. In den damaligen Unterlagen von Farner PR findet sich die Einschätzung eines amerikanischen Marktpsychologen, dass die Mutter in Barbie eine Puppe kaufe, mit der ihre Tochter lernen könne, zu einer erfolgreichen Heiratskandidatin zu werden.
Zugleich aber könne das Kind damit «seine Rebellion gegen seine Eltern ausleben». Barbie ist ein trojanisches Pferd im Kinderzimmer. Also doch eine Waffenbestand-Reform.
Im Schweizer Fernsehen wurde damals ein Bericht über das «Puppenproblem Nummer eins» gesendet:
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