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Ein Telefondienst als Hilfe und Anschluss zur Welt

eine junge Frau schreibt an einem Computer
Am Ende jedes Telefongesprächs überprüft Aline, eine sozialmedizinische Auszubildende bei ABAD, ob sie alle Daten über die Bedingungen und Bedürfnisse des Gesprächspartners korrekt erfasst hat. Es ist wichtig, dass das gesamte Team jederzeit einen vollständigen und aktuellen Überblick über jede Benutzerin und jeden Benutzer hat. swissinfo.ch

Viele ältere Menschen müssen aufgrund der Coronavirus-Pandemie in ihren eigenen vier Wänden ausharren und fühlen sich eingesperrt. Ein Gefühl von Unsicherheit, Angstzustände und Schwierigkeiten im Alltag sind die Folge. Ein in der Region Bellinzona tätiger Haushilfedienst nimmt proaktiv Kontakt mit Personen dieser Altersgruppe auf, um sie zu unterstützen. Die Initiative wird von den Betroffenen sehr geschätzt.

In der Stimme lässt sich eine allmähliche Beruhigung feststellen. Auf die ersten Fragen zum Gesundheitszustand und zur Organisation des täglichen Lebens sind die Antworten in der Regel zurückhaltend. Aber im Lauf der Unterhaltung wird das Gespräch wärmer und offener.

In den Worten der älteren Menschen, die derzeit mit Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Pandemie zu kämpfen haben, stellen wir eine gewisse Entspannung fest. Bei der Verabschiedung schliesslich vernehmen wir Worte freudigen Dankes, die von Herzen zu kommen scheinen.

Un uomo in piedi in un ufficio, indossano mascherinte di protezione
Auch für ABAD-Direktor Roberto Mora ist die Hygienemaske nun Teil der Arbeitsrealität in dieser Covid-19-Epidemie. swissinfo.ch

Wir reden hier von Personen, die den Hauspflege- und Betreuungsdienst im BellinzoneseExterner Link (ABAD) im Kanton Tessin in Anspruch nehmen. Direktor Roberto Mora und seine Mitarbeitenden haben sich entschlossen, alle Nutzerinnen und Nutzer telefonisch zu kontaktieren, um sich über deren Situation zu informieren und ihren Bedürfnissen entgegenzukommen. Die Pandemie Covid-19 hat das Tessin besonders hart getroffen. Und gerade ältere Menschen unterstehen Einschränkungen.

Unverzüglich vorbeugen

«Mit der Ausbreitung der Pandemie haben wir schnell festgestellt, dass ein Problem der sozialen Isolation und einer Destabilisierung bei älteren Menschen eintreten könnte», sagt Mora. Der ABAD-Direktor und sein Team haben daher rasch Massnahmen ergriffen, um eine Eskalation der Situation zu vermeiden. Sie erarbeiteten einen Fragenkatalog für die rund 800 Nutzerinnen und Nutzer ihres Diensts. Am Telefon wird dieser nun abgearbeitet.

Schon bevor die Tessiner Kantonsregierung ein Einkaufsverbot für Personen erliess, die älter als 65 Jahre sind, war der Hilfsdienst ABAD am 17. März aktiv geworden. Ein Dutzend Lehrlinge und zwei Freiwillige, die wegen des Coronavirus von zu Hause arbeiten, wechseln sich bei diesem Telefondienst ab. Bis zu unserem Besuch am 25. März in der ABAD-Zentrale waren rund 600 Telefongespräche geführt worden.

Neue Bedürfnisse

«In dieser Krisensituation entstehen neue Herausforderungen. Wir müssen auf Bedürfnisse eingehen, die viele ältere Menschen in normalen Zeiten allein bewältigen können: Einkäufe tätigen, zur Apotheke gehen, Überweisungen und Auszahlungen bei der Post oder der Bank erledigen», sagt Mora.

Nicht alle älteren Menschen, die jetzt gezwungen sind, zu Hause zu bleiben, um das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus zu vermeiden, hätten Familie oder Freunde, die sich um sie kümmern können. Umgekehrt gibt es auch Personen mit Verwandten, die bisher solche Aufgaben übernommen haben, jetzt aber infiziert sind und diese Unterstützung nicht mehr leisten können.

Die meisten Anfragen betreffen Einkäufe und abzuholende Medikamente. Dazu kommt der Zahlungsverkehr. Ältere Menschen wollen pünktlich mit ihren Zahlungen sein und sind stets in Sorge, dass die Zahlungen auch rechtzeitig erledigt sind», erklärt Mora.

«Zum jetzigen Zeitpunkt brauchen wir Flexibilität und gesunden Menschenverstand, um nicht stur den alten Gewohnheiten zu folgen.»
Roberto Mora, Direktor ABAD

Normalerweise erbringt ABAD diese Dienstleistungen nicht. «Ich bin sehr vorsichtig, wenn es um Geldtransaktionen geht», sagt Mora. Angesichts des Ausnahmecharakters in Folge der aktuellen Pandemie und der Sorgen einiger älterer Menschen erklärte er sich bereit, mit den Banken und der Post Wege zu finden, um die Rechnungen bezahlen zu können, ohne Bargeld in die Hand nehmen zu müssen.

«Wenn dies möglich ist, können wir uns darum kümmern, müssen aber jeden Fall sorgfältig analysieren, damit es keine Probleme gibt», betont er. Deshalb habe er auch die Kantons- und Gemeindepolizei informiert.

«Zum jetzigen Zeitpunkt brauchen wir meiner Meinung nach Flexibilität und gesunden Menschenverstand, um nicht stur den alten Gewohnheiten zu folgen. Wir dürfen aber nicht Dinge tun, zu denen wir nicht ermächtigt sind», betont der Direktor.

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Bei den Anrufen von ABAD geht es nicht einzig darum, praktische Probleme in Zusammenhang mit dem Coronavirus-Notstand zu ermitteln und zu lösen. Prioritär ist eigentlich, die schutzbedürftigen Menschen zu beruhigen. Viele sind durch ihre isolierte Situation in den eigenen vier Wänden verängstigt und aufgrund fehlender sozialer Kontakte destabilisiert.

«Wenn wir mit ihnen sprechen, können wir Ängste, Sorgen und das Gefühl von Unsicherheit abbauen», sagt Mora. «Wir halten es für wichtig, den Kontakt mit der Gesellschaft aufrechtzuerhalten, ihnen klarzumachen, dass es zwar eine aussergewöhnliche Situation ist, aber auch eine Kontinuität gibt. So stellen wir eine gewisse Form von Normalität her.»

Aline, die sozialmedizinische Auszubildende, deren Telefongespräche wir mithören dürfen, scheint dieses Ziel perfekt zu erreichen. Alte Menschen, über die in dieser Krise häufig schlecht gesprochen wird, deren Alter fast als «Schuld» angesehen wird, werden hier sehr respektvoll behandelt.

Mit einem feinfühligen und kompetenten Ansatz überprüft Aline, ob ihre Gesprächspartnerinnen und -partner alles haben, was sie brauchen, um gesund zu bleiben, ob sie genau verstanden haben, was sie tun müssen, um eine Ansteckung zu vermeiden oder ob sie besondere Bedürfnisse haben. Schliesslich folgen einige tröstende Worte. Sie ermutigt sie, geduldig zu sein. Die Epidemie werde schon vorübergehen.

Alines Worte geben diesen Menschen Hoffnung und wirken beruhigend. Hier gibt es keinen Raum für böse Worte, aber auch nicht für eine gewisse Art von Herablassung, mit der ältere Menschen oft wie Kinder behandelt werden. Und in den Antworten spürt man die Freude dieser Personen, die es schätzen, mit einer jungen Frau zu sprechen, die sich respekt- und rücksichtsvoll verhält.

Freuden zwischen Jung und Alt

«»Für mich ist es eine gute berufliche Erfahrung, die mich weiterbringt. […] Diese Erfahrung gibt mir das Gefühl, nützlich zu sein.» Aline, sozialmedizinische Auszubildende

An diesem Vormittag, an dem wir die Telefongespräche verfolgen, antworten alle Angerufenen zustimmend auf die Frage, ob sie in etwa zehn Tagen wieder angerufen werden möchten. «Und wenn Sie mich wieder anrufen, lassen Sie es bitte lange klingeln, da ich kaum gehen kann», bittet ein älterer Herr.

Aber es gebe auch einige wenige Personen, die keinerlei Bedürfnisse anmelden, sagt Aline. «Das ist ein gutes Zeichen für uns: Es bedeutet, dass es ihnen gut geht. Wir wollen subsidiär sein, in dem Sinne, dass wir dort eingreifen, wo es notwendig ist, und uns nicht aufdrängen, wenn die Dinge funktionieren», sagt ABAD- Direktor Mora.

Dieser Austausch zwischen den Generationen kommt nicht nur älteren Menschen zugute, die sich in Schwierigkeiten befinden. «Für mich ist es eine gute berufliche Erfahrung, die mich weiterbringt», sagt Aline. Sie komme gut klar mit dieser Situation, weil sie die Unterstützung der Kollegen spüre: «Wir sind ein gutes Team mit einer guten Zusammenarbeit, also macht es mir nichts aus.»

Ganz im Gegenteil: «Manchmal bin ich am Ende des Tages müde, aber wenn ich nach Hause gehe, bin ich froh, dass ich jemandem helfen konnte. Diese Erfahrung gibt mir das Gefühl, nützlich zu sein.»

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