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Als Frührentner harmonisch im Miteigentum leben

"Es ist immer sehr sympathisch, wenn wir am Samstag nach der Arbeit zusammen einen Kaffee trinken", sagt Ursi (links). swissinfo.ch

In einer Gemeinschaft, aber mit komfortablen eigenen Räumen leben: Das ist die Formel, auf die sich eine Gruppe wohlhabender Frührentner in Kreuzlingen am Bodensee geeinigt hat. Besuch in einer Oase, in der sich jeder freiwillig den gemeinsam formulierten Regeln unterzieht.

An diesem sonnigen Herbsttag ist Gartenarbeit angesagt. Ursi Homberger (62), zeigt stolz die Kartoffeln, die sie gerade geerntet hat. Drei andere Bewohner von Bodan 44+Externer Link arbeiten ebenfalls im Garten. Peter (71), ihr Mann, schaut zu. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Hecken zu schneiden, aber heute muss er das nicht tun. Auf einem Balkon raucht eine Nachbarin ruhig eine Zigarette. Ihr Gebiet sind die Feste und die Feiertage.

Alle Aufgaben, wie etwa Gartenarbeit, Verwaltung, Buchhaltung, Wartung, Reparaturen haben die Bewohner untereinander verteilt. «Jeder macht das, was er gerne macht, das ist eine Grundregel, sagt Ursi. «Das einzige, das wir immer tun und fast obligatorisch ist, ist nach der Arbeit oder nach Sitzungen zusammen Kaffee trinken.»

Die Idee dieser Wohn-Gemeinschaft für Ältere ist vor zehn Jahren entstanden. Jürg Brühlmann (60) und seine Frau Anna (65), die vorher mit ihren Kindern in einer Genossenschaftswohnung gelebt hatten, taten sich mit zwei Paaren aus der Nachbarschaft zusammen und suchten nach einem geeigneten Objekt.

Heute leben 16 Personen (sieben Paare und zwei Singles) in den beiden Häusern. Das alte Gebäude stammt aus dem Jahr 1913. Es wurde komplett renoviert und besteht nun aus drei Wohnungen. Neu wurde ein modernes Gebäude dazu gebaut mit grossen Fensterflächen, Geothermik, Sonnenkollektoren und Tiefgarage. Es erfüllt den Minergie-Standard und ist behindertengerecht gebaut.

Die gründliche Auswahl

Die ideale Anzahl Bewohner war eine Frage, die Jürg lange beschäftigt hatte: «Mit rund 20 Personen haben Sie eine stabile Gruppe, mit 40 ist es schon weniger. Eine Gruppe von sieben oder acht Personen gleicht zu sehr einer Familie, und das wird schwierig.»

Die Auswahl der Bewohner war gründlich. Nur Peter und Ursi gehören zum Bekanntenkreis der Gründer. Andere wurden per Anzeigen im Internet oder in der Zeitung gesucht. «Wir trafen mindestens fünfzig Leute und erklärten unser Konzept, erinnert sich Jürg. Ein paar Tage später haben wir die Leute wieder getroffen und ihre Fragen beantwortet. Es kam auch vor, dass jemand einverstanden war, aber die Kinder dagegen waren.»

Nach und nach erweiterte sich der Kern der künftigen Wohngruppe und die Arbeiten begannen. Wer der Gruppe beitrat, war in das Projekt eingebunden und half bei dessen Realisierung tatkräftig mit.

Gemeinsamer Garten

Peter ist Architekt, Ursi ist Designerin. Sie bewohnen eine elegante Wohnung im Erdgeschoss, die nicht dem entspricht, was man sich unter einer Alterswohnung vorstellt.

Neben den Wohnungen gibt es auch gemeinsame Räume für Feste, Literaturabende oder Konzerte und den Garten. Vorhanden ist auch ein Gästezimmer, das alle reservieren können. «Seit wir hier leben, ist es an drei Vierteln der Tage gebucht. Das ist der Beweis, dass unser Konzept funktioniert», sagt Jürg.

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Mittelpunkt des Gemeinschaftslebens ist der Garten. Er wurde speziell für ältere Menschen konzipiert. Die Blumen wachsen 50 cm über dem Boden, und der Gemüsegarten ist um einen Meter erhöht, was seine Bewirtschaftung erleichtert. «Auch wenn ich 95 Jahre alt sein werde, kann ich Ursi Kräuter bringen», sagt Peter lächelnd.

Neben dem Gemüsegarten gibt es eine grosse Petanque-Anlage. Auch diese wurde gemeinsam gestaltet. «Wir brauchten auch einen Konsens, um vor dem Haus zwei Bäume zu pflanzen. Wir reden immer zusammen zu allen Fragen, die den gemeinsamen Raum betreffen», sagt der Architekt.

Nicht für alle

Kurz: ein goldener Ruhestand? Doch mit fast 10 Millionen Anfangsinvestitionen und Wohnungen, die pro Einheit rund eine Million kosten, kann sich das nicht jeder leisten. Wenn eine Wohnung frei wird, dann gibt es Regeln. Falls eine Wohnung nicht an die Erben geht, haben die Mitbesitzer ein Vorkaufsrecht. Neue Besitzer müssen älter als 44 Jahre alt sein und dürfen keine Erziehungspflichten mehr haben.

Vor allem aber müssen sie dem Geist des Zusammenlebens verpflichtet sein. «Wir haben beschlossen, zusammen zu leben und praktizieren in einer gewissen Weise eine Basisdemokratie», sagt Peter. «Es funktioniert auch, weil wir in den meisten Fällen positive Erfahrungen mit dem Zusammenleben gemacht haben».

«Es macht nur Sinn für gesellige Menschen, die wirklich anderen zuhören wollen und in der Lage sind, konstruktive Lösungen anzubieten», sagt Jürg.

«Wir kannten uns vorher nicht, und es geht besser mit ein wenig Abstand. Ich spüre, dass wir hier ständig versuchen, etwas zusammen zu tun: Arbeiten, wandern, Filme anschauen. Das alles trägt zu einer guten Nachbarschaft bei. Ich liebe es, mit Leuten zu sprechen und bin glücklich hier», sagt Ursi.

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