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«Angemessene Werbung anstatt Freeride-Verbote»

Für 0815-Skifahrer nicht zu empfehlen. AFP

Die Lawinenunfälle, die in diesem Winter bisher ein Dutzend Tote und mehrere Verletzte forderten, haben in der Schweiz die Debatte über Präventionsmassnahmen neu entfacht. Im Zentrum der Diskussionen stehen Variantenskifahren und Freeriden, für das auch in den Skigebieten geworben wird.

Auf der Website von Davos-Klosters zum Beispiel zeigen die Bergbahnen unter der Rubrik «Freeride & Touren» eine ganze Reihe animierender und spektakulärer Bilder von Sprüngen und Fahrten im steilen Tiefschnee-Gelände (Vgl. Link in der rechten Spalte).

Über solche Werbung freut man sich beim Schweizer Alpenclub nicht besonders. Das Variantenskifahren werde von sehr vielen Wintersportorten und auch von den Bergbahnen selber stark beworben, bemängelt der SAC-Experte.

«Ich sehe kaum noch Werbefotos oder Videos, auf denen die abgebildeten Schneesportler gemütlich auf der Piste fahren. Entweder zeigen sie Tempobolzer auf der Piste, was man schon an deren Körperhaltung erkennt – oder Tiefschneefahrer.»

Die Lawine vom vergangenen Sonntag in Mase (Kanton Wallis) hat ein viertes Todesopfer gefordert.  Damit sind seit Weihnachten in den Schweizer Alpen zwölf Menschen in Lawinen getötet worden.

Der vierte verschüttete des Lawinenkurses unterhalb der Pointe Masserey in Mase starb in der Nacht auf Dienstag im Spital, wie ein Sprecher der Walliser Kantonspolizei auf Anfrage sagte.

Inzwischen sind alle vier Opfer formell identifiziert worden.

Demnach handelt es sich um einen 29-jährigen Bergführer aus dem Kanton Neuenburg, der im Wallis wohnhaft war, einen 35-jährigen Belgier mit Wohnsitz im Wallis, einen 28-jährigen Waadtländer sowie einen 26-jährigen Walliser.

Allein im Wallis sind damit in diesem Winter bereits acht Menschen in Lawinen getötet worden. Mit Ausnahme des Lawinenniedergangs in Nendaz, bei der das Opfer ausserhalb der markierten Pisten als Freerider unterwegs war, handelte es sich bei allen anderen um Tourenskifahrer, wie die Walliser Kantonspolizei mitteilte.

Sie seien allesamt im freien Gelände unterwegs gewesen und hätten keine Wintersportanlage benutzt.

Die Walliser Kantonspolizei warnte am Dienstag erneut vor der Lawinengefahr. Sie sei nach wie vor auf der Stufe «erheblich».

Wintersportlern wurde geraten, die markierten Pisten nicht zu verlassen.

(Quelle: sda)

0815-Skifahrer: Achtung!

Nüchterne Warnungen vor den Risiken dieser Abenteuer haben gegen die lustbetonten Botschaften der Werbung einen schweren Stand. «Es ist absurd», meint Ueli Mosimann. «Mit solchen Bildern werden vor allem 0815-Skifahrer gefährdet, die wenig Übung, keine Ahnung von Lawinen haben und es den Freeridern nachmachen wollen, wenn sie deren Spuren neben der Piste entdecken».

Da müssten sich die Verantwortlichen bei den Bergbahnen selber an der Nase nehmen.

In die gleiche Kerbe haut auch Monique Walter von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu). «Ich finde es sehr widersprüchlich, wenn in einer Bergbahn ein Video von Freeridern gezeigt wird und sich die Pistenpatrouilleure dann ärgern, dass so viele Leute die Pisten verlassen.»

Zumindest sollten sie darauf hinweisen, so die bfu-Beraterin, dass es im Tiefschnee nicht immer so «cool» ausgehe, wie bei den Profis auf den Videos.

«Und diese Warnungen sollten direkt mit der Werbung gekoppelt sein.»

Die bfu empfiehlt den Seilbahnen, dass sie mit ihrem eigentlichen Angebot werben sollten, nämlich mit gesicherten Pisten und gesicherten Abfahrtsrouten, anstatt mit Freeriding, für das sie gar nicht zuständig seien.

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Offizielle Freeride-Pisten

Die Bergbahnen Davos-Klosters sind bei weitem nicht die einzigen, die mit spektakulären Bildern von waghalsigen Tiefschneefahrern werben. Jo Hüchelheim, Verantwortlicher für Kommunikation, sieht auch kein Problem darin. «Unser Sicherheitsteam ‹SOS› gewährleistet die Sicherheit auf speziellen Freeride-Pisten, die nur von ‹SOS› freigegeben werden dürfen.» Diese nicht-präparierten Abfahrtsrouten seien gelb-schwarz markiert. «Auf unserer Website werben wir mit Fotos auf diesen Pisten.»

Zur Kritik, dass mit den Animationsbildern auch ungeübte Skifahrer und Snowboarder ins Tiefschnee-Gelände gelockt würden, die eigentlich nur auf präparierte Pisten gehörten, sagt Jo Hüchelheim: «Es liegt immer im Ermessen jedes Einzelnen. Wir können die Fahrkünste der Gäste nicht beurteilen und ihnen nicht vorschreiben, auf welchen Routen sie fahren sollen und wo nicht.»

Rückendeckung erhält der Sprecher der Davos-Klosters-Bergbahnen vom Verband Seilbahnen Schweiz. «Warum sollte man nicht auf solche Vergnügen aufmerksam machen, wenn sie dort zu haben sind?, fragt Mediensprecher Andreas Keller zurück. «Man darf durchaus im Tiefschnee fahren, wenn es die Verhältnisse erlauben.»

Die Bahnen seien aber verpflichtet, auf die Lawinengefahr aufmerksam zu machen. Bei Gefahrenstufe 3 (erheblich) müsse zwingend eine Warmlampe blinken.

«Anders als zum Beispiel in Italien gibt es in der Schweiz kein Gesetz, das verbieten würde, sich irgendwo im Berggelände aufzuhalten. Wer sich trotz Warnung abseits der Piste aufhält und keinen Unfall verursacht, hat keine Konsequenzen zu befürchten», sagt der Seilbahn-Sprecher.

«Aber die Pistenpatrouillen der Bahnen haben eine Sanktionspflicht, wenn sie Leute beobachten, die sich nicht an die Regeln halten. Sie können Fehlbare verwarnen oder ihnen die Fahrkarten entziehen.»

Keine Verbote  

Einig sind sich Bergbahnen, SAC und bfu zumindest darin, dass sie sich alle dezidiert gegen allgemeine Verbote fürs Freeriding oder Variantenskifahren aussprechen.

«Man kann grundsätzlich niemandem verbieten, sich ins freie Gelände zu begeben», sagt Monique Walter. Sie stellt sogar in Frage, ob es rechtens sei, jemandem das Skiabonnement zu entziehen, wenn er sich über eine Abschrankung hinwegsetzt, um ins freie Gelände zu gehen. «Solange er damit niemanden gefährdet oder schädigt, sollte dies erlaubt sein. Er muss dann aber auch die Konsequenzen seines Verhaltens selbst verantworten.»   

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