Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Anschlag auf Kopten: eine ägyptische Angelegenheit

Das blutüberströmte Gesicht von Jesus Christus in der koptischen Heiligenkirche in Alexandria. Keystone

Auch wenn die Kopten in der Schweiz am Vorabend der orthodoxen Weihnacht um ihre Sicherheit fürchten, scheint das Blutbad am Neujahrstag in Alexandria eine typisch innerägyptische Angelegenheit zu sein. Betrachtungen von Experten.

Wie alle Christen des Orients feiern die Kopten Weihnachten am 6. Januar. In der Schweiz wie an anderen Orten der Welt sehen sie vor, das diesjährige Fest unter Polizeischutz zu stellen.

«Unsere Kirche, wie 70 andere koptische Kirchen weltweit, figuriert auf der radikal-islamischen Website Al Mojahden», sagte Pater Mikhaïl Megally, Führer der Koptisch-Oorthodoxen Gemeinschaft in der französischsprachigen Schweiz, gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Zum Schutz der Weihnachtsfeiern vom Donnerstagabend hat die Gemeinschaft Sicherheitsmassnahmen gefordert.

In Ägypten befinden sich zur Zeit sieben Personen immer noch in Untersuchungshaft im Zusammenhang mit dem Bombenattentat vor der koptischen Heiligenkirche in Alexandria am 31. Dezember, das 21 Todesopfer und 97 Verletzte forderte. Die ägyptischen Behörden weisen auf «ausländische Elemente» hin.

Verurteilungen

Der Anschlag – zu dem sich bisher immer noch niemand bekannt hat – wurde von der gesamten internationalen Gemeinschaft, allen Kirchen sowie von nationalistisch-islamistischen Bewegungen wie Hamas und Hisbollah verurteilt.

Georges Abi-Saab, emeritierter Professor am Genfer Institut des hautes études internationales, ist der Ansicht, dass die Verantwortlichen des Blutbades vor allem versuchen, «das ägyptische Regime als Alliierten des Westens anzugreifen».

Falls es Fanatiker seien wie Al Kaida, «dann ist das Ziel auch, Christen anzugreifen», sagt der Ägypter und gebürtige Christ (aber nicht Kopte) gegenüber swissinfo.ch. «Und das passiert in einem Moment, in dem sich das Land in einer Phase…, ich würde nicht sagen der Instabilität, sondern der Dynamik befindet: In Ägypten gab es Parlamentswahlen, und in neun Monaten finden die Präsidentenwahlen statt.»

«Heilige Ignoranz»

Für Ahmed Benani genügen die politischen Konflikte als Erklärung für das Geschehene aber nicht. Der Politologe und Anthropologe sieht in dem Anschlag die Logik eines politisch-religiösen Konfliktes, dessen Schlüssel «die heilige Ignoranz» sei, wie es ein anderer Islam-Experte, der Franzose Olivier Roy, nennt.

«Das ist die Religion ohne Kultur», sagt Ahmed Benani gegenüber swissinfo.ch. «Heute sind jene, die sich im radikalen Sinn als die wahren Gläubigen bezeichnen, Ignoranten ihrer eigenen Religion. Statt Friedensbotschaften, die in den verschiedenen monotheistischen Religionen enthalten sind, bekämpfen sie Christen und Juden und verkünden einen gereinigten, puren Islam. Sie fordern eine Art Rückkehr zum Ideal der mohammedanischen Geburtsstätte. Das ist ihre Utopie.»

Konservativismus

In Ägypten gibt es laut Benani «einen pathologischen Konservativismus und eine Rückkehr zu einer Identität, die einem absolut verblüfft», so der Politologe weiter. Was ist das für eine Identität? «Eine, die sich über religiösen Purismus definiert, Ausschliesslichkeit, Schicksalsverbundenheit, Triumph des Schleiers…all diese schrecklichen Dinge.»

Das ist alles nicht gerade erfreulich. Umso mehr, als die Kopten einer Religion angehören, die, im Gegensatz zum Islam, sehr «territorial» bleibt und der es nicht gelingt, sich zu globalisieren, wie Benani betont. «Dies aus Gründen, die einen Zusammenhang mit dem ägyptischen Territorium haben – Heiligenkult, Lokalkultur, arabische Identität. Die Kopten leben in einem Rahmen, der ihnen sehr feindlich gesinnt ist, und dies in einer Zeit, in der die neuen Christen des Orients – evangelikale Protestanten aus den USA – sowohl vom ägyptischen Regime wie auch von der armen Bevölkerung gut aufgenommen werden wegen ihren karitativen und sozialen Aktionen.»

Aber werden die Kopten, wenn sie mal aus diesem Ägypten vertrieben worden sind, vor den Radikal-Islamisten sicher sein? Nicht unbedingt. Georges Abi-Saab erinnert daran, «dass der Terrorismus die blinde Gewalt von völlig verrückten Leuten ist, die überall zuschlagen können».

Hosni Mubaraks Nachfolge

In der Zwischenzeit wartet Ägypten auf die Wahl eines neuen Präsidenten im September dieses Jahres. Nach 30 Jahren an der Macht muss Hosni Mubarak abdanken. Doch bereits seit längerer Zeit ebnet der Präsident das Terrain für seinen Sohn Jamal.

«Wer auch immer die Kandidaten sein werden, für alle ist klar, dass die Idee Ägyptens die eines muslimischen Landes ist», gibt Ahmed Benani zu bedenken. «Es geht also um eine Radikalisierung, angetrieben von der Muslimbruderschaft.»

Laut dem Politologen ist die islamistische Bewegung «Partei Ägyptens» von 1928 neben der Armee, aus der alle drei Präsidenten seit der Unabhängigkeit hervorgegangen sind, effektiv «die einzige organisierte Kraft» im Land.

Freunde der Armen

Die Muslimbrüder würden «eine umfassende Philosophie, eine Ethik, politische und wirtschaftliche Lösungen, basierend auf dem Islam» anbieten. «Und dieser vereinfachte Diskurs findet unter armen Menschen eine grosse Anhängerschaft», erklärt Benani.

Vom ägyptischen Regime toleriert, präsentieren sich die Muslimbrüder bei den Wahlen als unabhängig. Mit 88 von 454 Abgeordneten in der Volksversammlung bis im November 2010, reduzierten sie ihre Repräsentation in der zweiten Hälfte der Legislatur auf null: Wie die Liberalen der Neo-Wafd-Partei beschlossen die Muslimbrüder, eine Wahl zu boykottieren, die in ihren Augen von «massivem Betrug» begleitet war.

Die Kopten in Ägypten machen gemäss Schätzungen zwischen 6 und 10% der rund 80 Mio. Bewohner Ägyptens aus.

Gegründet vom Evangelisten Markus, ist die koptische Kirche auf die Zeit zurückzuführen, als noch die Römer über Ägypten herrschten.

Mit den Invasionen der Araber im 7. Jh. und der Islamisierung Ägyptens begann der Niedergang der koptischen Kultur.

Heute sind die Kopten in allen Ländern und Schichten vertreten. Auch der 6. UNO-Generalsekretär, der Ägypter Boutros-Ghali, war Kopte.

Die koptische Diaspora, die seit den 1960er-Jahren weltweit entstanden ist, zählt ca. 2 Mio., vorwiegend in den USA, Kanada und Australien.

In der Schweiz leben bis 400 koptische Familien, namentlich in Zürich, Genf, Lausanne, Biel und Yverdon.

Seit 30 Jahren gibt es oft Konflikte zwischen Muslimen und Kopten:

17. Juni 1981: 14 Tote und 50 Verletzte beim Streit um ein Stück Land, auf dem die einen eine Kirche bauen wollten und die anderen eine Moschee.

4. Mai 1992: 14 Tote bei Konflikten zwischen Muslimen und Kopten.  .

3. Januar 2000: 20 Christen werden in Oberägypten getötet.

14. April 2006: Ein muslimischer Arbeiter  tötet einen Kopten. Eine weitere Person stirbt später.

6. Januar 2010: 6 Kopten und ein Polizist werden in Oberägypten getötet. 

24. November 2010: Konflikte zwischen Polizei und Demonstranten gegen das Verbot des Baus einer Kirche in einem Kairoer Quartier fordern 2 koptische Todesopfer.

1. Januar 2011: Ein Attentat fordert 21 Tote und 79 Verletzte, die grösstenteils Christen sind. Es findet vor einer koptischen Kirche statt, nach der Neujahrsmesse in Alexandria.

(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud und Christian Raaflaub)

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft