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«Atomic Anne» und die Schweizer Detektive

Im Innnern des Areva-Konzerns. AFP

Der französische Nuklear-Gigant Areva und Nestlé haben die Wirtschaftsspionage ins Rampenlicht gerückt, nachdem angeblich solche Fälle vorgekommen sind. Schweizer Ermittler sollen beteiligt sein.

Die in Genf domizilierte Detektei Alp Services und ihr Direktor Mario Brero standen im Zentrum eines Geschäftsskandals, in den «Atomic Anne», also Anne Lauvergeon, die abgesetzte Chefin des staatlichen französischen Nuklearenergie-Giganten Areva, ihr Ehemann Olivier Fric und Areva-Kader verwickelt waren.

Lauvergeon hat vergangenen Monat in Paris juristische Schritte gegen die Schweizer Detektei eingeleitet. Der Fall Areva rückt die in der Schweiz wenig bekannte Detektiv-Branche ins Scheinwerferlicht. In der Schweiz sind rund zwölf Firmen im Bereich der Nachrichtendienste aktiv, die meisten in Genf, darunter die erwähnte Alp Services sowie die Firmen One Intelligence, Kroll und Diligence.

«Das ist eine Wachstumsbranche», sagt Hélène Madinier, Professorin an der Genfer Schule für Betriebswirtschaftslehre gegenüber swissinfo.ch. «Die Firmen sind relativ diskret. Für einige von ihnen ist die kompetitive Intelligenz ein Teil ihrer Aktivitäten. Gleichzeitig sind sie aber auch allgemein detektivisch oder im Bereich der allgemeinen Ermittlungen tätig.»

Schweiz weniger streng

Der Spezialist für kompetitive Intelligenz, Stéphane Koch erklärt die Dichte der Branche in Genf mit dem internationalen Status der Stadt. «Frankreich hat ein engmaschigeres Netz an Regeln. In der Schweiz sind die Regeln lockerer. Jeder macht ein wenig, was er will.»

In der Areva-Affäre beschuldigt Anne Lauvergeon ihren ehemaligen Arbeitgeber, sie bespitzelt zu haben. Sie sieht sich als Opfer eines Komplottes, der zum Ziel hatte, sie zu destabilisieren.

Der Verantwortliche der Abteilung Bergbau bei Areva, Sébastien de Montessus hat kürzlich bestätigt, er habe die Firma Alp Services beauftragt, die Umstände beim Kauf der Minenfirma Uramin im Jahr 2007 zu untersuchen. Dies, ohne seine damalige Chefin – Lauvergeon – darüber ins Bild zu setzen. Der Kauf hat Areva 2,1 Milliarden Franken gekostet. Er endete in einem Fiasko.

Keine Telefonüberwachungen

Am 1. Februar hat die Organisation Transparency International nach Enthüllungen in der Presse bekannt gegeben, dass sie Greenpeace und Worldwatch bei einer Klage gegen Unbekannt vor einem Pariser Gericht unterstütze.

Laut dem französischen Journal du Dimanche hat der Direktor von Alp Services, Mario Brero, eine «Überwachung und Infiltration» der drei Nichtregierungsorganisationen vorgeschlagen. Der Vorschlag wurde damals zurückgewiesen. David Bitton, der Anwalt Breros hat kürzlich bekräftigt, sein Klient habe «niemanden beschattet und auch keine illegalen Telefonüberwachungen durchgeführt.»

Schmaler Grat

«Die meisten grossen Firmen nehmen die Dienste von Firmen in Anspruch, die auf Nachrichtendienste spezialisiert sind», sagt Marie-Laure Ingouf, Partner bei Tamalet, Ingouf and Hollard, und Rechtsberaterin von Transparency International in der Affäre «Areva». «Das ist an sich kein Problem. Wichtig ist, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen respektiert werden. Auch wenn diese zuweilen etwas vage sind.»  

Es sei nicht immer einfach, die ethischen und legalen Grenzen zu definieren, so Ingouf. «Manchmal braucht es sehr wenig, damit die kompetitive Intelligenz zur Wirtschaftsspionage wird.»

Der Fall Nestlé

Telefonüberwachungen sind in der Schweiz illegal. Die verdeckte Ermittlung hingegen ist im Gegensatz zu Frankreich kein schweres Delikt. Vor einigen Jahren war auch Nestlé in einen Fall verwickelt, der ähnliche Frage aufwirft, wie die Affäre Areva.

Der Schweizer Multi hat im Januar in einem Zivilprozess in Lausanne zugegeben, die Securitas damit beauftragt zu haben, die globalisierungskritische Organisation Attac im Zusammenhang mit den Kundgebungen gegen den G8-Gipfel im Jahr 2003 in Evian zu infiltrieren. Nestlé stellte sich auf den Standpunkt, die Aktion sei gerechtfertigt gewesen, weil «Attac den Krieg gegen Nestlé» erklärt habe. Das Urteil steht noch aus. Für Stéphane Koch stand die Infiltration «ausserhalb des ethischen und rechtlichen Rahmens».

Infiltrationspraktiken scheinen weit verbreitet zu sein. Dies auch dank den Möglichkeiten der Informatik. «Es ist heute leicht, mit Hilfe eines Hackers in die Datenbanken von Dritten einzudringen und aussagekräftige Daten zu sammeln», sagt Koch.

Gleichzeitig ist die beobachtende Teilnahme an Versammlungen von Nichtregierungsorganisationen nicht illegal. «Sie wird nicht als Spionage betrachtet», so Koch.

Im Juni 2008 war die Bespitzelungsaffäre publik geworden: Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé hatte die Waadtländer Sektion der globalisierungskritischen Organisation Attac durch die Sicherheitsfirma Securitas bespitzeln lassen.

Konkret hatte Securitas zwischen 2003 und 2005 im Auftrag von Nestlé bei Attac eine junge Frau unter falschem Namen eingeschleust.

Das Sicherheitsunternehmen legte den Auftraggebern schriftliche Berichte über eine Arbeitsgruppe von Attac vor, die ein Nestlé-kritisches Buch verfasste.

Auf dem strafrechtlichen Weg ist der Fall abgeschlossen: Im Juli 2009 hatte ein Lausanner Untersuchungsrichters entschieden, dass Nestlé wegen der Bespitzelungsaktion nicht strafrechtlich belangt werden kann. Er kam zum Schluss, dass das einzige strafrechtlich relevante Vergehen, der Verstoss gegen den Datenschutz, verjährt war.

Zivilrechtlich ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Die Attac-Mitglieder verlangen eine Genugtuung von 27’000 CHF sowie das Eingeständnis, dass die Aktion widerrechtlich war. Die Verhandlungen darüber fanden im Januar 2012 statt das Urteil steht noch aus.

(Übertragung aus dem Englischen: Andreas Keiser)

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