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Auf dem Weg zum Gläsernen Menschen?

Wehe, wenn unsere Datenspuren in die falschen Hände geraten. Keystone

Soll der Staat heimlich Trojaner auf Computern installieren und die Verbindungsdaten von Mobiltelefonnetz-Betreibern für Rasterfahndungen heranziehen dürfen? Der Plattform Digitale Gesellschaft gehen diese Ansinnen des Bundesrates zu weit.

Unsere zunehmend digitalisierte Umwelt sorgt für Komfort, birgt aber auch Gefahren, wenn private Daten in die falschen Hände geraten. swissinfo.ch sprach darüber mit dem Anwalt Viktor Györffi, Vertreter der Organisation Grundrechte.ch, die sich bei der Plattform Digitale Gesellschaft engagiert.

swissinfo.ch: Sie warnen vor einem Vorschlag des Bundesrates, der das Internet stärker überwachen möchte.

Viktor Györffi: Der Bund hat im Bereich der Überwachung von Strafverfahren einige Neuerungen vorgeschlagen. In gewissen Bereichen geht es in Richtung einer Totalüberwachung der Bürgerinnen und Bürger.

In Deutschland hat die Vorratsdatenspeicherung eine sehr heftige Debatte ausgelöst. In der Schweiz haben wir sie bereits, und sie soll nun noch einmal deutlich ausgeweitet werden.

swissinfo.ch: Was bedeutet das, wenn Daten länger gespeichert werden?

V.G.: Nehmen wir das Beispiel Mobilfunk mit dem Handy. Mit dem aktuellen Revisions-Vorschlag zum Überwachungsgesetz soll nun auch noch die Antennenrichtung gespeichert werden. Damit kann man im Nachhinein noch genauer sagen, wo sich jemand während eines Gesprächs aufgehalten und bewegt hat.

Ein anderer Vorschlag sieht vor, dass Untersuchungsbehörden von einem Telefonanbieter die Daten aller Personen verlangen kann, die sich zu einem bestimmten Zeitraum in einer Funkzelle bewegt hatten. Das gäbe dann so eine Art rückwirkende Rasterfahndung via Mobilfunk.

swissinfo.ch: Als normaler Bürger kann ich sagen, es ist mir egal, was die mit meinen Daten machen, ich habe ja nichts zu verbergen, ich tue nichts Ungesetzliches.

V. G.: Das Problem liegt darin, dass man diese Daten von allen Bürgerinnen und Bürgern speichert. Meine Daten werden also erfasst, egal, ob ich etwas Unerlaubtes getan habe oder nicht. Ich werde gewissermassen unter Generalverdacht gestellt.

Wenn ich zum Beispiel über eine Swisscom-Antenne ein Telefongespräch geführt habe, und ein knappes halbes Jahr später interessieren sich die Strafverfolgungsbehörden dafür, wer in dieser Zeit in dieser Funkzelle registriert war, kann ich plötzlich in eine Rasterfahndung verwickelt sein.

swissinfo.ch: Was ist denn Ihrer Ansicht nach im Bereich Internet an der neuen Vorlage gefährlich?

V. G.: Wir kommunizieren immer mehr über digitale Kanäle. Diese hinterlassen immer mehr Datenspuren. Sammelt man diese Daten, kann einfach ein Bewegungsprofil erstellt werden. Man kann Aussagen über das Kommunikationsverhalten gewinnen, mit wem und wann ich kommuniziere und über welche Wege, und, wenn das mitgespeichert ist, auch über den Inhalt.

swissinfo.ch: Aber das kann Ihnen doch egal sein, solange Sie nichts Unrechtmässiges tun?

Man verkauft das als Anpassung an die technischen Neuerungen. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass immer mehr von unserer Kommunikation erfasst wird: E-Mail, wenn man von einer Webseite etwas herunterlädt, aber auch Kommunikationsformen wie verschiedene Chatforen, Skype und ähnliche Dienste.

In den letzten paar Jahren hat man bereits mehr Daten gesammelt. So etwa die IP-Nummer des Computers, mit der man im Internet kommuniziert. Oder von wem und an wen die Mail geht, sowie den Betreff und andere Randdaten. Die Behörden wollen immer mehr Akteure in die Pflicht nehmen, nicht nur die Mobiltelefoniebetreiber und die Internet-Provider. Einfach alle, die irgendeinen Dienst im Internet anbieten. Sie alle sollen verpflichtet werden, die dabei anfallenden Daten zu speichern oder sie in einem laufenden Strafverfahren in Echtzeit an die Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln.

swissinfo.ch: Würden denn zum Beispiel beim Internet-Telefoniedienst Skype auch Gespräche mitgeschnitten? Oder «nur» die Adressdaten?

V. G.: Es sind hier verschiedene Stufen denkbar. Zunächst könnte man die Randdaten mitschneiden und daraus gewisse Rückschlüsse ziehen, wer mit wem kommuniziert.

Mündliche Kommunikationsangebote wie Skype werden verschlüsselt. So ist es für die Überwachungsbehörde nicht einfach nachvollziehbar, wer hier mit wem kommuniziert. Und auch der Inhalt kann nicht ohne weiteres mitgeschnitten werden.

Teilweise wäre das jedoch möglich, wenn man den durchs Internet gehenden Datenstrom analysiert.

Aus dem Bestreben heraus, keine Form der Kommunikation in digitaler Form zuzulassen, die nicht überwachbar ist, schlägt man zudem vor, dass der Staat einen Trojaner auf einem Computer platzieren darf. Damit fände diese Überwachung quasi an der Quelle statt und könnte mitgeschnitten werden. Das führt zu weit! Es wäre ein drastischer Eingriff in die Privatsphäre.

Man legt Fotos ab, Adressdaten, Dateien mit Briefen und Ähnlichem. Und wenn sich der Staat mit einem Trojaner Zugang verschafft zum Computer, dann liegen diese Daten für ihn offen. Er kann alles mitschneiden, was man über die Tastatur tippt, was auf dem Monitor erscheint und die ganze Harddisk anschauen.

swissinfo.ch: Das gilt aber nur für Personen, die im Verdacht stehen, irgendetwas ausgefressen zu haben? Der erwähnte Staatstrojaner würde nur im Rahmen eines Strafverfahrens, auf Tatverdacht hin platziert.

V. G.: Aber ein Tatverdacht kann auch eine unschuldige Person treffen. Wir lehnen dies deshalb ab.

swissinfo.ch: In Deutschland hat sich gegen diese Idee, dem Staat die Möglichkeit zu geben, Trojaner einzubauen, sehr grosser Widerstand geregt….

V. G.: …mit Erfolg. Das Thema ist in Deutschland einstweilen vom Tisch.

Es ist eine internationale Tendenz, dass die Überwachungsmethoden immer mehr ausgebaut werden und immer mehr Instrumente dazu geschaffen werden.

Für uns ist es äusserst wichtig, dass wir auf diese Aspekte der digitalen Gesellschaft hinweisen. Wir streben eine Diskussion in der Gesellschaft an, wie man damit umgeht, dass die Sensibilität höher wird, und dass man den Akteuren – staatlichen wie privaten – klare Schranken setzt.

swissinfo.ch: Werden diese Überwachungsmöglichkeiten jetzt so ausgebaut, wie es die Landesregierung vorschlägt?

V. G.: Nach unserer Einschätzung werden die kritischen Stimmen überwiegen, zumindest so, dass die Vorlage wahrscheinlich nicht eins zu eins durchkommt. Wenn der Staatstrojaner käme, müsste man das Referendum ergreifen.

Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) will die Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF) und die dazu gehörende Gebührenverordnung dem aktuellen Stand der Technik anpassen.

Das EJPD will mit der Teilrevision der Verordnung vom 31. Oktober 2001 über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF; SR 780.11) den Katalog der Überwachungsmassnahmen klarer und transparenter formulieren.

Dieser Dienst führt die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehr (ÜPF) mit Genehmigung der Zwangsmassnahmengerichte unter Mithilfe der Fernmeldedienstanbieterinnen (Provider) zugunsten der Strafverfolgungsbehörden durch.

Seit Januar 2011 bilden 25 netzpolitisierte Personen aus 10 Gruppen unter dem Namen Digitale Gesellschaft eine Plattform für eine offene und freie digitale Gesellschaft.

Die Gruppe fühlt sich einer kritischen digitalgesellschaftlichen Zivilgesellschaft verpflichtet.

Themen unter anderen: Netzneutralität, Überwachung, Vote élelctronique.

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