Auf den Spuren der Schweizer Fussballgeschichte
Der Verein StattLand hat im Hinblick auf die Euro 2008 einen Rundgang organisiert, der zu Berns legendären Fussball-Schauplätzen führt.
Die Führung, die im legendären Wankdorfstadion endet, gibt Einblick in die Schweizer Fussballgeschichte – und zeigt, dass Fussball und Politik immer wieder zusammen spielen.
Noch heute wird Bern häufig mit dem überraschenden WM-Sieg der Deutschen über die Ungarn im Jahr 1954 verknüpft: dem «Wunder von Bern». Das Fussball-Wunder im Berner Wankdorf-Stadion gilt als positiver Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Doch Bern hat in Sachen Fussballgeschichte noch mehr zu bieten. Dies zeigt der Rundgang «Bern am Ball – Spielend durch zwei Halbzeiten» des Vereins StattLand.
Der Rundgang wird nicht nur von einer Stadtführerin, sondern auch von einer Trainerin begleitet. Nach einer kurzen Aufwärmphase ertönt der Anpfiff – und die 90-minütige Führung beginnt.
Zwei Mannschaften werden aufgestellt, die mit richtigen Antworten und guten Dribblings punkten können. Die Teilnehmer werden selbst zu Fussballspielern.
Frauen im Abseits
Auf den Spuren der Fussballgeschichte gelangt der Besucher ins Nordquartier von Bern. Hier steht das erste Berner Stadion, das mit seinen alten Kassenhäuschen und der Holztribüne historischen Wert hat. Hier ist auch der Berner Fussballclub Young Boys gross geworden.
Im Gegensatz zu den bekannten Young Boys, spielen die Berner Frauen weitab der Öffentlichkeit Fussball – obwohl sie sehr erfolgreich sind. «Über die Spielerfrauen wird in den Medien mehr geschrieben als über die Frauen, die Fussball spielen», sagt die Stadtführerin.
Erst 1970 wurde der organisierte Frauenfussball in der Schweiz offiziell anerkannt. Die Gründung der Frauenfussball-Liga fällt praktisch mit der Einführung des Frauenstimmrechts zusammen.
Die Frauen galten in den Anfängen des Frauenfussballs als «exotische Attraktion». Die Berner Tageszeitung «Der Bund» kommentierte das erste Heimspiel des Berner Frauenteams folgendermassen: «Eines ist sicher: Damenfussball bedeutet für die Sportlerinnen Gleichberechtigung, für die Zuschauer aber eine Art Zirkus.»
Zweifel wurden laut
Nächster Halt des Rundgangs ist der ehemalige Sitz des 1885 gegründeten Schweizerischen Fussballverbands (SFV), einer der bedeutendsten Sportorganisationen des Landes. In der dunkelroten Villa logiert heute die Schweizerische Volkspartei (SVP) des Kantons Bern, die grösste Partei der Schweiz.
Als der SFV die Weltmeisterschaft von 1954 organisierte, wurden im Ausland Zweifel laut, ob die Schweiz für diesen Anlass die Infrastruktur bereit stellen könne. In Zürich und Basel war im Vorfeld in einer Volksabstimmung der Bau von Stadien abgelehnt worden.
Auch im Vorfeld der Euro 2008 kam es zu Abstimmungen: Die Stadtberner Bevölkerung hat den Kredit von 5,6 Mio. Franken für die Euro befürwortet – allerdings nur knapp.
«Stop it Chirac»
Dass Fussball und Politik teilweise zusammenspielen, zeigt sich auch bei der Schweizer Nationalmannschaft. «Um den Zweiten Weltkrieg spielte die Nationalmannschaft eine wichtige Rolle in der geistigen Landesverteidigung», sagt die Stadtführerin. Als die Schweizer an der WM 1938 in Frankreich das Spiel gegen Grossdeutschland 4:2 gewannen, wurden sie hierzulande als «Helden von Paris» gefeiert.
1995 setzte die Schweizer Nationalmannschaft in Göteborg bei den Euro-Qualifikationsspielen gegen Schweden ein politisches Zeichen: Mit dem Transparent «Stop it Chirac» protestierte sie gegen die französischen Atomversuche. Die Funktionäre des Schweizerischen Fussballverbandes waren erzürnt. «Man darf den Sport nicht für Politik missbrauchen», sagte Verbandspräsident Marcel Mathier damals gegenüber dem Schweizer Fernsehen.
Politisch engagiert hat sich auch der Berner Verein «Gemeinsam gegen Rassismus». Im Wankdorfstadion hatten sich rechtsextreme Hooligans eingeschleust, die dunkelhäutige Spieler der Gegnermannschaften jeweils mit Affengebrüll empfingen und teilweise sogar mit Bananen bewarfen. Der Verein machte Mitte der 1990er-Jahre auf die Problematik aufmerksam und sorgte dafür, dass Rassismus im Fussball zum Thema wurde.
Kartoffeln und Kunstrasen
Dort, wo einst das legendäre Wankdorfstadion stand, erhebt sich seit 2005 der moderne Bau des Stade de Suisse mit integriertem Einkaufszentrum und Multiplexkino.
Auf dem heiligen Rasen hätten verärgerte YB-Fans 1979 Kartoffeln angepflanzt, erzählt die Rundgangleiterin. Der Platzwart habe den Schaden einfach behoben: Er brachte die Kartoffeln seiner Frau zum Röstikochen.
Heute besitzt das Stadion einen künstlichen Rasen. Diese Unterlage ist allerdings umstritten und im Vorfeld der Euro 2008 einmal mehr ein Thema: An der EM darf nämlich nicht auf Kunstrasen gespielt werden – bis dann muss ein Naturrasen her.
swissinfo, Corinne Buchser
Der private Verein StattLand wurde 1989 ins Leben gerufen. Er bietet zurzeit rund zwanzig verschiedene Themen-Stadtrundgänge durch die Stadt Bern an. Die Rundgänge werden durch schauspielerische Einlagen ergänzt.
Neu im Programm ist dieses Jahr die Führung «Bern am Ball», die noch bis am 10. September 2008 durchgeführt wird.
StattLand organisiert jährlich rund 500 Rundgänge, an denen gemäss dem Verein insgesamt 10’000 Besucher teilnehmen.
Das berühmte Wankdorf-Stadion wurde 2001 abgerissen und machte dem Stade de Suisse Platz, Sitz des Berner Fussballklubs Young Boys. Es bietet 32’000 Zuschauerinnen und Zuschauern Platz.
In der Endrunde der Euro 2008 finden hier 3 Gruppenspiele statt:
Holland-Italien (Montag, 9. Juni, 20.45 Uhr)
Holland-Frankreich (Freitag, 13. Juni, 20.45 Uhr)
Holland-Rumänien (Dienstag, 17. Juni, 20.45 Uhr)
Auf dem Bundesplatz und auf dem Waisenhausplatz werden die Spiele auf Grossleinwand übertragen. In der oberen Altstadt wir eine «Fanzone» eingerichtet.
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