Auf der Suche nach dem Emmental
Das Emmental ist nicht nur ein ländliches Idyll mit saftigen Wiesen, grossen Bauernhöfen und dem berühmten Käse. Auch interessieren sich die Emmentaler nicht nur für Schwingen und Hornussen. Der Film "Herz im Emmental" räumt mit alten Klischees auf.
Vier Jahre lang haben die beiden Journalisten Bernhard Giger und Bänz Friedli das Emmental erforscht, das nicht etwa ein einziges Tal ist, sondern eine Ansammlung kleiner Täler mit sanften Hügeln und steilen Krächen, wo teils monatelang kein Sonnenstrahl hinfällt.
Wie bei den meisten Nicht-Emmentalern waren auch Bernhard Gigers Vorstellungen stark geprägt von Franz Schnyders Gotthelf-Verfilmungen aus den 1950er-Jahren.
Blick ins wahre Emmental
«Wir wollten für unseren Kino-Dokumentarfilm hinter diesen Mythos, hinter diese Klischees blicken. Wir gingen nicht von Themen wie Käse, Religion oder Verdingkinder aus, sondern bewusst von den Menschen, die wir getroffen haben, von deren Geschichten.»
Das Filmteam traf zwar auf eine ganze Menge «typischer Klischee-Emmentaler», die sich eher wortkarg gaben, mit einem «gewissen Misstrauen gegenüber dem Rest der Welt».
«Hat man aber einmal ihr Vertrauen gewonnen, öffnen sie sich und sprechen sehr genau darüber, was sie übers Emmental denken, wie sie leben. Sie machen klar, dass sie nicht so klischiert sind, wie man meint», so Giger.
Der Berner Filmer hat im Emmental ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl gegenüber der Aussenwelt vorgefunden. Diese Solidarität unter den Emmentalern führt er darauf zurück, dass die Gegend über keinen Autobahnanschluss verfügt und deshalb «vom Rest der Welt ein bisschen abgeschnitten ist».
Bauernstand und Hightech
Dennoch, und das ist einer der Gegensätze, die auffallen, hat das ländliche Emmental eine ganze Reihe innovativer Unternehmen hervorgebracht, Familienbetriebe wie etwa die Biskuitfabrik Kambly oder die Jakob Drahtseil AG im 1400-Seelendorf Trubschachen, die auch eine Tochterfirma in Saigon unterhält. Oder der Werkzeughersteller Swiss Tools in Wasen, der ebenfalls international tätig ist.
Trotz diesen erfolgreichen Industriebetrieben leidet das Emmental wie andere Randregionen unter einem Bevölkerungsschwund: Junge ziehen mangels Arbeitsmöglichkeiten zumindest vorübergehend weg, Gewerbe, Restaurants und Läden müssen schliessen. Aber, so Giger: «Wenn es sich einrichten lässt, bleiben die Leute – denn: einmal Emmentaler, immer Emmentaler!»
Vielleicht liegt die Liebe der Emmentaler zu ihrer Scholle auch in der besonderen Landschaft dieser Gegend. «Sie ist viel magischer, als man sie von Bildern her kennt, und zwar nicht nur im Sonnenlicht, auch wenn die Hügel von Nebelschwaden verhangen sind. Es gibt viel Schatten im Emmental», sagt Giger.
Schattenseiten
In der Tat: Die Krächen sind häufig Schattenlöcher, die wuchtigen Bauernhäuser mit ihren weit herunterreichenden Dächern haben etwas Düsteres. Das Emmental hat seine Schattenseiten, auch im übertragenen Sinn: Ein trauriges Beispiel sind die tausenden Verdingkinder, die als billige Arbeitskräfte ausgenutzt wurden.
Gross war auch die Armut: Viele Emmentaler mussten ihre Heimat verlassen und anderswo Arbeit suchen, oder sich mit schlecht bezahlter Heimarbeit über die Runden bringen. Der Film zeigt die heute 80-jährige Tochter einer Heimarbeiterin, die jahrelang ausgebeutet wurde. Bis sich die Frauen von Eriswil 1943 gegen die Textilbarone auflehnten und national Schlagzeilen machten.
Dass im Emmental auch viele «Stündeler», Mitglieder von Freikirchen, leben, ist bekannt. Im Film sind sie aber kein Thema. «Wir haben keine Person, die dafür steht. Es ist schwierig, an Informationen zu kommen, es ist zu privat. Die Leute wollen nicht darüber reden», sagt Giger.
Schwingen und Hardrock
Vorgefunden hat das Filmteam im politisch konservativen Emmental dafür zahlreiche Schweizer Traditionen wie Schwingen und Hornussen. Hier habe er seine Vorurteile revidieren müssen, erklärt der Regisseur von «Herz im Emmental»: «Man spürt, auch bei jungen Leuten, dass das Teil ihrer Welt, ihres Alltags ist. Diese Traditionen sind tief verankert. Es ist nicht nur Folklore.»
Platz haben aber nicht nur Schwingen und Jodeln, sondern auch Hardrock gehört zum Emmental. So etwa die Gruppe «Shakra». «Auch ältere Leute, die nie Hardrock hören, kennen diese Band und erklärten stolz, die ‹gehört zu uns›. Sie leben mit diesen Gegensätzen.»
Das Emmental ist immer wieder Schauplatz von Filmen. Für Bernhard Giger steht dies im Zusammenhang mit der aktuellen Swissness-Welle. Die Schweiz werde wieder neu entdeckt. «Und man will gewisse Urschweizer-Gegenden wie das Emmental nicht einfach der Schweizerischen Volkspartei SVP überlassen.»
Der Kino-Dokumentarfilm (Frenetic Film Zürich) von Bernhard Giger (Regie und Drehbuch) und Bänz Friedli (Drehbuch) läuft seit dem 20. Oktober in den Kinos.
Er zeigt ein Dutzend Porträts von Emmentalerinnen und Emmentalern, daneben historische Fotografien und Sequenzen aus Filmen von Franz Schnyder.
Gleichzeitig mit dem Filmstart ist im Limmat-Verlag Zürich das Buch «Herz im Emmental» erschienen. Mit Fotografien von Paul Senn, Albert Winkler, Ernst Hiltbrunner und Bernhard Giger.
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