Auf schnellen Kufen durch den Schnee
Schlitteln ist Kult: Tausende zieht es auf die zahlreichen Schlittelbahnen in die Berge. Jo Lindauer ist einer der wenigen, die in der Schweiz noch Qualitätsschlitten bauen – klassische Holzschlitten und Hightech-Rodel. Ein Besuch in seiner Schwyzer Werkstatt.
Es riecht nach Lack und Harz in der Schreinerei Lindauer im Dorfbach-Quartier oberhalb der Stadt Schwyz. In ihrem Haus aus dem 16. Jahrhundert stellt die Familie Lindauer seit vier Generationen Wintersportartikel her.
Bis ins Kunststoffzeitalter produzierte der Familienbetrieb noch Skis. «Dann merkten wir, dass wir mit Holz weitermachen wollten», sagt Jo Lindauer.
Seither werden in der Werkstatt – neben klassischen Schreinerarbeiten – Schlitten und zunehmend auch Rodel hergestellt. «Der Schlitten ist das einzige Wintersportgerät, das heute noch aus Holz gebaut wird.»
Sägen, leimen, biegen, bohren
Die Hauptarbeit beginnt im Frühling, wenn das Holz eingekauft wird. Das Holz, meist Esche, kommt aus der Region, wird in der Sägerei zu Brettern verarbeitet und drei bis vier Jahre getrocknet.
In der Werkstatt werden die Bretter in kleine Teile zerstückelt, sie werden verleimt, gebogen, gerundet, gebohrt – bis die Stücke dann im Winter zum Schlitten oder Rodel zusammengebaut werden.
In den Wochen vor Weihnachten herrscht bei Lindauers Hochbetrieb. Überall in der Werkstatt hängen oder stapeln sich Einzelteile – Kufen aus Holz oder Kunststoff, Längs- und Querlatten, Polster und Sitzunterlagen.
Der Rodel hat’s in sich
Viola, die 21-jährige Tochter, die im Sommer eben ihre Schreinerlehre abgeschlossen hat, schmirgelt sorgfältig an einem Einzelteil. Wie der Vater ist auch sie eine leidenschaftliche Rodlerin. «Wenn man auf den Geschmack des Rodelns kommt, will man nicht mehr schlitteln», sagt sie.
Den Rodel bauen die Lindauers seit gut drei Jahren und haben ihn ständig weiterentwickelt. Im Gegensatz zum klassischen Holzschlitten – etwa dem bekannten «Davoser», der «starr ist und einfach geradeaus fährt», ist der Rodel mit seinen schrägen Kufen beweglich und lässt sich mittels Steuerseil und Gewichtsverlagerung präzise lenken. «So entsteht eine Art «Carving-Effekt», erklärt Experte Lindauer.
Rationalisierung
Früher stammten die Holzteile aus Baumstämmen, die bereits die gewünschte gerundete Form hatten. Später wurde das Holz im Wasserdampf gekocht, danach gebogen und getrocknet.
«Unsere Version ist die Schichtverleimung. Wir verleimen dünne Latten aufeinander und biegen sie. So bleibt die Form erhalten.» Auch Jo Lindauers Vater hat diese Technik bereits angewendet. Allerdings formte der Vater die Hölzer noch mit Muskelkraft, presste jeden Tag einen Schlitten oder zwei und liess sie an der Sonne trocknen.
«Als mein Vater nicht mehr wollte, weil es ihm zu streng wurde, stieg ich widerwillig ein und begann mit der Zeit, die Arbeit zu rationalisieren.»
Jo Lindauer entwickelte eigene Maschinen zum Pressen und Verleimen der Bögen, baute andere für Bohrungen um. So stehen in seiner Werkstatt neben der Werkbank aus Grossvaters Zeiten mehrere Spezialgeräte, konstruiert von Tüftler Lindauer.
Fasziniert vom Schlitten war er bereits als Kind. Oft schaute er seinem Grossvater in der Werkstatt zu, der schon damals Schlitten baute. Diese durfte der Junge am Hang vor dem Haus ausprobieren und hatte viel Spass dabei.
Trendiger Volkssport
Und auch heute sorgt Schlitteln noch immer für Vergnügen. Fast jedes Skigebiet habe inzwischen speziell markierte Schlittel-Pisten und Schlittel-Ausflüge mit anschliessendem Fondue-Essen lägen im Trend, sagt Lindauer.
«Die Leute kreischen vor Vergnügen beim Schlitteln – wie kaum je sonst.» Allerdings berge dieser Sport auch ein gewisses Gefahrenpotenzial, Helmtragen sei daher ein Muss. «Das Können wird vielfach überschätzt. Schlitteln kann jeder, aber man muss auch bremsen können», warnt der Schwyzer.
Die Konkurrenz von Billigschlitten aus Osteuropa fürchtet Jo Lindauer nicht. Die Grossverteiler hätten berechtigte Massenware für Leute, die pro Winter zwei bis dreimal schlitteln gingen.
Mit dem Rodel an die Spitze
«Wir aber sind ein kleiner Betrieb und produzieren im Jahr rund 200 Stück. Wer bei uns einen Schlitten oder einen Rodel kauft, erwartet Qualität, ein dauerhaftes Produkt. Ein Schlitten hält ein Menschenleben lang, wenn er nicht vom Wurm gefressen wird.»
Viel Herzblut steckt Lindauer in die Weiterentwicklung des Rodels, in dieses schnelle und präzise Gefährt für ambitionierte Sportler, das auch an Meisterschaften zum Einsatz kommt. An seinem Rodel tüftelt er weiter, feilt an den technischen Details und Finessen, auf die es ankommt. Zwei seiner Exemplare sind zur Zeit auch im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz ausgestellt.
Vom Holz angetan
Jo Lindauer verkauft fast ausschliesslich ab Werkstatt, so hat er Kontakt zu den Kunden. «Ich will keine Riesenfirma mit Angestellten. Wir sind ein Familienbetrieb.»
Und das soll auch so bleiben. Tochter Viola jedenfalls hat beim Vater die vierjährige Schreiner-Lehre absolviert und arbeitet weiterhin in seiner Werkstatt. Zudem ist sie auch ganz gerne mit dem Rodel «schnell unterwegs».
Und sie liebt den Geruch von Lack und Harz – und kann mit geschlossenen Augen unterscheiden, ob es sich um Eschen- oder Tannen- oder Nussbaumholz handelt.
Ob sie einst in fünfter Generation als Lindauer Schlittenbauerin weitermachen wird, lässt sie auf sich zukommen. Zu früh für solche Entscheide im zarten Alter von 21.
Im Forum Schweizer Geschichte Schwyz sind rund 40 Schlitten ausgestellt.
Darunter historische Figurenschlitten, kunstvoll verziert mit Tier- oder Fabelfiguren, Hörnerschlitten, die zum Transport verwendet wurden, klassische Schlitten wie der Davoser, einfache «Füdlitrucke» oder auch schnelle Rodelschlitten sowie der Zweier-Bob des Junioren-Europameisters Gunter Sachs von 1959.
Im Bob-Simulator des Schweizer Bobfahrers Beat Hefti können die Museums-Besucher eine Fahrt auf Kufen erleben.
Die Ausstellung dauert bis zum 13. März 2011.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch