Aufbau der Zivilgesellschaft braucht freie Medien
Als Verfolgter in seinem Land hat Frank Kodbaye Zuflucht in der Schweiz gefunden. Der tschadische Journalist kämpft von hier aus weiter für eine unabhängige Presse – unerlässliches Instrument, um Tschad aus den andauernden Clankämpfen herauszureissen.
«Der Krieg um die Macht dauert seit 50 Jahren. Das ist das, was man in Tschad am besten kann.» So kurz fasst Frank Kodbaye, der seit 2001 in Genf lebt, die Zeit seit der Unabhängigkeit seines Landes 1960 zusammen.
Als der tschadische Rebellenchef Idriss Déby im Dezember 1990 den Diktator Hissène Habré stürzte, glaubte Kodbaye, wie seine Mitbürger, an die Öffnungs-Versprechungen dieses Mannes, der bis heute Staatspräsident dieser Sahel-Republik ist.
«Alle erinnern sich an die erste Rede Débys. Er kündigte an, er werde weder Gold noch Silber bringen, sondern die Freiheit», sagt Kodbaye gegenüber swissinfo.ch.
Im gleichen Jahr hatte sich François Mitterrand an einem franko-afrikanischen Gipfeltreffen in La Baule in einer Rede für Freiheit in Afrika stark gemacht. Dieser Aufruf des französischen Staatspräsidenten zur Demokratie, der im Anschluss an die friedlichen Revolutionen im ehemaligen kommunistischen Ostblock erfolgte, sollte das Blatt der Unterstützung Frankreichs für diktatorische Regimes in seinem ehemaligen Kolonialreich wenden.
Pressefrühling
Zu dieser Zeit weht in zahlreichen Ländern der Region ein Freiheitswind, der das Aufkommen einer freien Presse begünstigt. In Tschad wird mit Ndjamena Hebdo die erste unabhängige Zeitung des Landes lanciert, dies unmittelbar nach dem Sturz von Hissène Habré, dessen Repressionsopfer immer noch auf ein Gerichtsurteil warten.
Frank Kodbaye studiert zu dieser Zeit am Gymnasium Sacré-Coeur in der Hauptstadt Ndjamena, wo er auch seine ersten Medienerfahrungen macht – als Chefredaktor der Hauszeitung dieser renommierten katholischen Schule. Die gleiche Rolle wird er auch an der Universität als Leiter der Studentenzeitung übernehmen.
«Später wurde Ndjamena Hebdo von der Wochenzeitung Le Temps verdrängt, die mich 1997 anstellte. Die Zeitung hatte die grösste Auflage und war für jeden jungen tschadischen Journalisten die höchste Referenz», erzählt Kodbaye.
Er verliert also als Journalist seine letzten Illusionen über die Versprechen von Präsident Idriss Déby. Dieser war unter Hissène Habré Armeechef, bevor er seine Rebellion gegen den Diktator begann.
Medien zuoberst im Visier
«Das Regime von Idriss Déby charakterisiert sich durch seine Brutalität, insbesondere gegenüber den Medien», sagt der in die Schweiz exilierte Journalist. «Journalisten wurden umgebracht oder inhaftiert. Auch wenn die vitalen Interessen des Regimes nicht gefährdet waren, kamen die Medien wegen ‹übler Nachrede› vor Gericht und wurden zu hohen Bussen verurteilt.»
Das Regime habe so die Presse nach und nach gezähmt. Und diese sei immer oberflächlicher geworden, sagt Frank Kodbaye.
Die Medien würden zwar regelmässig Kritik äussern, aber ohne auf den Grund der Themen zu gehen. «Was dem Regime nützt, denn es kann sich die Existenz einer freien Presse auf die Fahnen schreiben. Die Journalisten können jedoch keine Recherchen mehr machen. Und Tschad gehört zur Spitzengruppe der korrupten Länder.»
Freiheit im Exil
Statt sich den Regeln des Regimes anzupassen, flüchtet Frank Kodbaye mit Hilfe der Nichtregierungs-Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) und deren Unterstützungsprogramm für Journalisten im Exil in die Schweiz.
«Ich wurde in Tschad mehrmals festgenommen und inhaftiert. Nach Druck- und Einschüchterungsversuchen sowie Morddrohungen entschied ich mich für das Risiko des Exils, um mich weiterhin frei ausdrücken zu können», sagt Kodbaye.
Im Anschluss seines Exils geht er nach Berlin, wo er eine Ausbildung am Internationalen Journalismus-Institut macht. «Es gab eine grosse Gemeinschaft von afrikanischen Studenten in Berlin.»
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterscheide sich von jener Frankreichs, sagt Kodbaye. «Sie setzt auf eine zugespitzte Berufsausbildung für Ingenieure, Journalisten, Agronomen oder andere Berufe. Es geht nicht um eine politische Kooperation zum Erhalt von Begünstigungen für die Ausbeutung von Rohstoffen. Deutschland bietet jenen Ländern wertvolle und konkrete Hilfe an, die Schwierigkeiten haben, Kader auszubilden», lobt der kritische Frankophile, der immer noch darauf wartet, dass Frankreich seine im Rahmen der Operation Epervier in Tschad stationierten Soldaten abzieht.
«Der jetzige tschadische Präsident verlangt den Abzug der französischen Truppen, obwohl er genau weiss, dass er sich dank ihnen an der Macht erhalten kann. Die französische Armee ist nicht in Tschad, um die Bevölkerung zu beschützen, sondern das Regime von Idriss Déby», sagt Kodbaye.
Zivilgesellschaft aufbauen
Zur Zeit gibt Frank Kodbaye zwei journalistischen Internet-Projekten den letzten Schliff.
«Mit Tschad Agora wollen wir die Debatte über Ideen für Tschad entwickeln und die positiven Erfahrungen in der Region, wie in Senegal, zur Geltung bringen», erklärt Kodbaye, der auch das Projekt Carrefour – Soleil lanciert, eine frankophone Internetsite für Investigations-Journalismus.
Das Internet ist allerdings für den grössten Teil der tschadischen Bevölkerung noch ein Luxus. Die meisten Bewohner des Sahel-Landes sind immer noch Analphabeten. Wie in den meisten armen Ländern und Regionen informieren sich die Leute hauptsächlich im Radio.
«Ein Radio, das von der tschadischen Zivilgesellschaft geschaffen wurde, spielt eine besonders wichtige Rolle: Es ist FM Liberté, das sowohl über die Menschenrechte als auch über Landwirtschafts- oder Gesundheitsprobleme spricht», so Kodbaye.
«Das Radio mobilisiert die Leute, begeistert die Jungen und spielt damit eine grosse Rolle im Aufbau der Zivilgesellschaft und in der Vereinigung der tschadischen Bevölkerung auf der Grundlage der gemeinsamen Werte, über die Stammes- und Clanzugehörigkeiten hinaus.»
Zugehörigkeiten, die nach Ansicht von Frank Kodbaye von allen sich nachfolgenden Machthabern in Ndjamena missbraucht wurden. «Zur Machtergreifung braucht es Stammesallianzen, man muss religiöse oder kulturelle Unterschiede gegeneinander ausspielen, um Zwietracht zu säen, die Tschader gegeneinander aufhetzen, die aus dem Norden gegen jene aus dem Süden des Landes, Muslime gegen Christen.»
Das Spaltungsrisiko in einem anderen instabilen Land der Sahel-Region – Mali – zeigt die ganze Richtigkeit dieses Befundes auf.
Gemäss der NGO Reporter ohne Grenzen (RSF) hat sich die Aufteilung des Internets 2011 verstärkt. Die Internetbenutzer haben je nach Anschlussort Zugang zu unterschiedlichen Informationen.
RSF hat vor kurzem den Entscheid von Twitter, eine geolokalisierte Zensur anzubringen, verurteilt. Twitter kündigte an, gewisse Tweeter (Nutzer, die Nachrichten verbreiten) könnten in gewissen Ländern blockiert werden, in anderen jedoch nicht. Bisher gab es weltweit blockierte Mitteilungen.
In einem Offenen Brief von Ende Januar an den Gründer der Site schrieb RSF: «Die Argumentation von Twitter, es gebe je nach Ländern unterschiedliche Interpretationen der freien Meinungsäusserung, ist nicht akzeptierbar.» RSF weist übrigens darauf hin, dass die 2010 in Burma errichtete nationale Internet-Plattform Nachahmer gefunden habe.
Der iranische Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad kündigte 2011 mehrmals die Lancierung eines nationalen Internets an, mit eigener Suchmaschine und eigenem Mitteilungs-Übermittlungsdienst.
«Damit würden zwei verschiedene Internet-Zugangsformen geschaffen, eine für die Behörden, die andere für den Rest der Bevölkerung, wie das heute die Internet-Struktur in Burma vorgibt», kritisiert RSF.
Das Resultat gemäss RSF: «Gewisse Länder wie Nordkorea, Turkmenistan, Usbekistan oder Kuba, aber auch Iran zensurieren den Internet-Zugang derart stark, dass die Bevölkerung lediglich Zugang zu lokalen Intranets hat, die in keinem Verhältnis zum World Wide Web stehen.»
(Quelle: RSF, Internetzensur-Bericht 2011)
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)
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