Aus Italien in die Schweiz zur Ausbildung im Spital
Die Schweizer Spitäler funktionieren nur dank dem "Import" von Ärzten aus dem Ausland. Einer von ihnen ist Luca Torri, ein italienischer Assistenzarzt, der sich zum Spezialarzt ausbilden lässt. Über seine Erfahrungen hat er mit swissinfo.ch gesprochen.
Luca Torri ist vor 29 Jahren in Casina, einer italienischen Gemeinde in der Provinz Reggio Emilia am nördlichen Apennin, geboren. Dort besucht er das Gymnasium. An der Universität Bologna studiert er Medizin.
Nach Abschluss von Studium, Praktikum und Prüfungen zur Berufszulassung als praktizierender Arzt im staatlichen Dienst beginnt er im März 2009 in Italien zu arbeiten. Ein Jahr lang arbeitet im ärztlichen Bereitschaftsdienst in Bologna und der Provinz Reggio Emilia.
Leidenschaft für Spitaldienst
Sein Traum ist jedoch, in einem Spital zu arbeiten. «Ich habe schon in meiner Studentenzeit immer daran gedacht, Spitalarzt zu werden. Das ist die Art von Medizin, die ich bevorzuge», sagt Torri.
Aber die offenen Stellen sind rar und die Wartelisten lang. Nach ausführlichen Erkundigungen kommt er zum Schluss, dass die Zulassungstests für die Spezialarzt-Ausbildung nicht nach dem Leistungsprinzip funktionieren und in einigen Fällen sogar gesteuert sind.» Luca Torri verzichtet auf eine Zulassungsprüfung, aber nicht auf die Verwirklichung seines Traumes.
In der Zwischenzeit hatte ihm ein Freund, der Chirurg ist, vom Ausbildungssystem in den Schweizer Spitälern erzählt. Torri, der zwei Schweizer Landessprachen spricht – neben Italienisch auch Französisch – informiert sich, nimmt Kontakte auf und schickt seinen Lebenslauf an einige Schweizer Spitäler.
Wenn klein vielseitig bedeutet
Luca Torri hat Erfolg: 2010 erhält er einen Vertrag als Assistenzarzt für innere Medizin in einem Spital an der Peripherie: in Delsberg, der Hauptstadt des Kantons Jura. «Vorher wusste ich gar nicht, dass diese jurassische Gemeinde existiert», sagt er lachend.
Es ist nicht leicht, dem eigenen Land, der Familie, den Freunden den Rücken zu kehren, um an einen unbekannten Ort zu gehen. Zu Beginn muss sich Torri an unterschiedliche Arbeitsweisen, eine andere Sprache und eine andere Mentalität gewöhnen, auch wenn er mit zahlreichen Assistenzärzten zusammenarbeitet, die wie er selber aus dem Ausland kommen. «Ich glaube, in der inneren Medizin waren wir mindestens die Hälfte Ausländer.»
Wie auch immer, die kleinen Dimensionen des Spitals in Delsberg erleichtern die Anpassung. «Innerhalb von einigen Monaten kennen sich alle. Es ist wie eine grosse Familie, und die Atmosphäre ist eher herzlich. Die Chefs sind immer sehr hilfreich», so Torri.
Die Ausbildung in einem kleinen Spital hat auch noch andere Vorteile: «Der Kontakt ist breitgefächert und dementsprechend sehr interessant.» In Delsberg werden «alle Fälle einer gewissen Schwere und Komplexität in der inneren Medizin behandelt». Weil das Spital nicht über alle Spezialisten verfüge, müsse man ein breites Fundament haben, um alleine mit mannigfaltigen Problemen zurecht zu kommen», sagt Torri.
«Wenn man nicht über alle Spezialisten-Abteilungen verfügt, wie das in grossen Spitälern der Fall ist, muss man in der Lage sein zu entscheiden, ob ein Patient behandelt werden kann oder in ein anderes Spital eingeliefert werden soll. Und in diesem Fall wie.»
Laut dem jungen italienischen Arzt ist in der Ausbildung die Organisation wichtig. «Wenn eine Ausbildung gut organisiert ist, kann sie auch in einem kleinen Spital an der Peripherie gemacht werden.»
Je grösser, desto mehr Fachgebiete
Luca Torri beurteilt das Schweizer System positiv, das eine Ausbildung mit Tätigkeiten in verschieden grossen Spitälern gewährt und es ermöglicht, mehrmals auf die verschiedenen Ebenen zurückzukommen. Was Luca Torri bereits vollendet hat. 2011 ergreift er die Gelegenheit, als Anästhesie-Assistenzarzt im Spital des französischsprachigen Teils des Kantons Wallis zu arbeiten, ein mittelgrosses Spital, aufgeteilt auf die drei Standorte Sitten (Kantonshauptstadt), Siders und Martigny.
Der junge italienische Arzt arbeitet rotationsweise an allen drei Standorten. «An allen drei Orten werden verschiedene Sachen im Bereich Chirurgie und folglich auch Anästhesie gemacht. Für die Ausbildung ist das sehr nützlich, weil man dabei alle Chirurgie-Grundarten sieht, ohne in die Spezialchirurgie der grossen Spitäler einzusteigen.»
Wenn man an verschiedenen Standorten arbeite, verändere sich auch die Organisation des Operationssaals, die Arbeit. «Ich finde es sehr positiv zu sehen, wie man an verschiedenen Standorten arbeitet, so lerne ich auch, mich anzupassen.»
Alle diese positiven Punkte verleiten Torri zur Fortsetzung seiner Ausbildung im Walliser Spital. Er hat bereits einen einjährigen Vertrag für innere Medizin unterzeichnet, der nach der zweijährigen Anästhesie-Ausbildung in Kraft tritt. Dann möchte der junge Arzt aus der Provinz Reggio Emilia ein Ausbildungsjahr in Intensivtherapie machen, ebenfalls im Wallis. «Danach möchte ich meine Ausbildung in Anästhesie an einem Universitätsspital abschliessen.»
Seine Zukunft nach der Ausbildung zum Spezialarzt ist dagegen gänzlich ungewiss. «Die Arbeitsqualität in der Schweiz ist sehr hoch. Hier fühle ich mich wohl, hier wurden mir Möglichkeiten gegeben, wie ich sie in Italien niemals gehabt hätte. Ich möchte aber auch noch Erfahrungen in anderen Ländern machen, ausserhalb Europas, vielleicht für ein Jahr», so Torri.
Wie auch immer seine Zukunft aussehen wird, in einem Punkt ist sich der italienische Arzt sicher: Seinen Entscheid, zur Ausbildung als Facharzt in die Schweiz auszuwandern, wird er nie bereuen. Auch wenn er bedauert, «dieselbe Arbeit nicht im eigenen Heimatland machen zu können. Dies umso mehr, als in Italien, wenn man nur wollte, die Arbeit gut gemacht werden könnte. Aber es ist ein strukturelles Problem».
2010 arbeiteten in den Schweizer Spitälern 20’292 Ärzte, umgerechnet in Vollzeitstellen insgesamt 17’363. Davon waren 48,8% Assistenzärzte.
Der Frauenanteil an der Spitalärzteschaft betrug 43%, bei der Assistenzärzteschaft 56%.
2009 (die jüngsten vorhandenen Zahlen) machten 69,6% der in Schweizer Spitälern arbeitenden Ärzte ihren Medizinabschluss in der Schweiz, 18,4% in Deutschland, 1,9% in Italien, 1,5% in Österreich,1% in Frankreich sowie 3,2% in anderen europäischen Ländern und 4,4% in aussereuropäischen Ländern.
(Quelle: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium)
Bei den Assistenzärzten in Schweizer Spitälern herrscht Unzufriedenheit über die übermässigen Arbeitsstunden. 2004 hatte die Schweizer Regierung infolge einer Parlamentarischen Initiative die Wochenarbeitszeit für Assistenzärzte auf 50 Stunden festgelegt. Eine an und für sich bereits hohe Arbeitszeit. «60 Stunden Wochenarbeitszeitoder mehr sind in den Spitälern jedoch gang und gäbe», sagte der scheidende Präsident der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), Jacques de Haller, vor kurzem gegenüber der Nachrichtenagentur SDA.
Dies stellte Luca Torri auch im Spital in Delsberg fest. «Es gab Perioden, in denen sehr viele Überstunden geleistet wurden, und sie wurden nicht einmal anerkannt. Eine zum guten Teil durch die Bürokratie verursachte Belastung, die überall übermässig zunimmt», sagt der Assistenzarzt, der vor den Risiken einer Demotivierung warnt.
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)
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