Wie wir über den Ausbruch des II. Weltkriegs berichteten
swissinfo
Vor 80 Jahren brach der II. Weltkrieg aus. Wie wurde beim damaligen Kurzwellen-Dienst, der Vorgängerin von swissinfo.ch, im September 1939 über die dramatischen Ereignisse berichtet? Unser Archiv gibt Aufschluss darüber.
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4 Minuten
Patrick Boehler, Caroline Honegger
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How we reported the outbreak of the Second World War
Original
Leider gibt es in den Archiven keine Aufnahmen mehr von Sendungen aus der Zeit vom August und September 1939. Glücklicherweise aber haben die Transkriptionen von Sendungen auf Deutsch, Französisch und Englisch überlebt.
Das heutige swissinfo.ch ging aus Schweizer Radio International hervor. Zur Zeit des II. Weltkriegs allerdings hiess die Organisation noch Schweizer Kurzwellendienst und erreichte ihr Publikum über Kurzwellenradio.
Da nicht jeden Tag in allen Sprachen gesendet wurde, kündigte man den Ausbruch des II. Weltkriegs auf dem Sender auf Englisch an (hier auf Deutsch übersetzt wiedergegeben):
«Hallo, hier ist die Schweiz
Meine Damen und Herren
25 Jahre sind vergangen, seit der letzte Weltkrieg ausgebrochen ist, und nun hat ein neuer begonnen. Zwei der grossen Nachbarn der Schweiz sind wieder an der Zerstörung beteiligt, Frankreich und Deutschland.
Die Schweiz, die kleine, friedfertige Nation im Herzen des Kontinents, hat ihre absolute Entscheidung zur Neutralität erklärt. Sie tat dies im Rahmen ihrer Mission, die Bergpässe zu bewachen, die Deutschland mit den Mittelmeerländern verbinden, Westeuropa mit dem Donaubecken.»
Der Nachrichtensprecher las daraufhin die Neutralitätserklärung der Landesregierung (Bundesrat) in diesem Konflikt vor und fügte hinzu, dass die Schweiz ihre Souveränität verteidigen werde.
«Sukzessive wurden die Grenzschutz-Truppen und dann die gesamte Armee mobilisiert. Die Generalmobilmachung hat am Samstag, 2. Sept., begonnen und war am Sonntag, 3. Sept. mittags abgeschlossen.»
Als Datum ist der 6. September 1939 angegeben, volle fünf Tage nach der Invasion deutscher Truppen in Polen. Der Grund für die späte Ausstrahlung ist unklar.
Anders als heute wurden die Kurzwellensendungen unserer Vorgänger von Zensoren redigiert und sollten die offiziellen Positionen der Regierung wiedergeben. Das Kurzwellenradio war das bevorzugte Kommunikationsmittel der Regierung mit den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern, und um ihre Positionen dem Rest der Welt zu präsentieren.
Der Dienst war bei einer breiten Zuhörerschaft sehr beliebt, weil er relativ neutrale Informationen über den Krieg lieferte.
Die Archive wurden inzwischen digitalisiert und sind über diese DatenbankExterner Link heute Forschenden und der breiten Öffentlichkeit online zugänglich.
Bei swissinfo.ch haben wir uns in den letzten Jahren eingehend mit der komplexen Rolle der Schweiz im II. Weltkrieg auseinandergesetzt. Hier einige Artikel, die für Sie auch interessant sein könnten:
Archivdokumente zeigen, wie antisemitisch gewisse Schweizer Politiker und Behörden während des Zweiten Weltkriegs waren. Die historischen Zeugnisse erzählen aber auch von Mitgefühl der Bevölkerung für die verzweifelten Juden.
Die folgenden Bilder und Erklärungen zeigen, wie der Schweizerische Kurzwellendienst über den II. Weltkrieg zu Beginn und während des Konflikts berichtete. Sie basieren auf Manuskripten von Nachrichtenbulletins, die 2012 von einer Gruppe von Geschichtsstudenten der Universität Lausanne untersucht wurden.
Anbauschlacht 1941 auf dem Bellevue-Platz in Zürich.
Die Versorgung der Schweiz ist ein immer wiederkehrendes Thema in den Bulletins des KWD. Die gesendeten Informationen reichen von Beteuerungen, die Schweiz sei autark, bis zu Sendungen, in denen die Opfer der Bevölkerung thematisiert werden. (Seminararbeit: William Yoakim)
RDB
Der Film «Gilberte de Courgenay» (1941) bleibt einer der Klassiker des Schweizer Kinos.
Die Wertschätzung der kulturellen Eigenheiten der Schweiz wurden in den Chroniken immer wichtiger. Parallel zu den Aktivitäten von Pro Helvetia war der KWD ein Instrument der kulturellen Diplomatie der Schweiz während des II. Weltkriegs. (Seminararbeit: Gregory Vauthier)
Keystone
Die Bevölkerung von Paris feiert am 26. August 1944 auf der Place de la Concorde ihre Befreiung.
Indem er auf Informationen der BBC zurückgreift, erklärt der KWD die Befreiung von Paris bereits am 23. August. Effektiv wird Paris offiziell erst zwei Tage später von den Nazis befreit. (Seminararbeit: Baptiste Jaccard und Damien Chenevard)
Keystone
Mobilisierung am Bahnhof Zürich, 1939.
Am 28. August 1939 verkündet der KWD in feierlichem Ton die Mobilisierung der Schweizer Armee. Mit dem Ziel, die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zu einer Gemeinschaft zu verschwören, welche die Werte Einigkeit und Solidarität hochhält. (Seminararbeit: Constance Dayer)
RDB
Schokoladefabrik Lindt & Sprüngli, 1941.
Der KWD zeichnet ein positives Bild der Arbeiterklasse und ihrer Vertreter. Die Schweiz wird so als ein Land präsentiert, das seine sozialen Konflikte überwinden konnte. (Seminararbeit: Rita Cunha)
RDB
7. Dezember 1941: Tödlicher japanischer Angriff auf die USS Arizona.
Am 8. Dezember 1941 verbreitet der KWD die Meldung des Angriffs der Japaner auf Pearl Harbor. Die deutsche Version des Bulletins betonte, der Luftangriff sei keine Überraschung gewesen, sondern die Folge von Monaten der Eskalation und Verhärtung der Beziehungen zwischen Japan und den USA. (Seminararbeit: Giorgia Andreani)
Keystone
Ein Soldat der Schweizer Gebirgs-Infanterie schiebt Wache, um 1940.
Zu Beginn des Krieges zeichnet der KWD das Bild des Soldaten als «Wachmann» der Schweiz. Je weniger wahrscheinlich eine Invasion der Schweiz wird, desto häufiger werden in den Chroniken Themen wie die Sozialhilfe erwähnt, die an die Familien der Mobilisierten geleistet wird. Mit dem Ziel, die Solidarität in der Bevölkerung zu stärken. (Seminararbeit: Marc Huber)
RDB
Russische Internierte, 1945.
Die Chroniken des KWD widerspiegeln eine gewisse «Schizophrenie» gegenüber allem, was mit der UdSSR zu tun hatte: Einerseits war er zutiefst antikommunistisch, andererseits begrüsste er die Versuche, zwischen Bern und Moskau wieder normale diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen herzustellen. (Seminararbeit: Marek Chojecki und Christina Eberhard)
RDB
Ferienlager für junge Auslandschweizer in Zernez (Graubünden), 1943.
Am Anfang des II. Weltkriegs lebten rund 430’000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland (10% der Bevölkerung). Der KWD war das bevorzugte Kommunikationsmittel, um die Verbindung zwischen der Schweiz und ihrer Auslandsgemeinde aufrecht zu erhalten. (Seminararbeit: Sophie Chiffelle)
RDB
Flüchtlinge aus dem Val d’Ossola bei ihrer Ankunft in Brig (Wallis), 1944.
Sehr nah an der offiziellen Linie bemühte sich der KWD, das Bild der humanitären Tradition der Schweiz zu propagieren. In seinen Chroniken rechtfertigte er zum Teil die im Sommer 1942 vorgenommenen Verschärfungen der Asylpolitik oder schwächte sie ab. (Seminararbeit: Anaïs Jeanmonod)
RDB
Kiosk in Zürich, um 1941.
Während des II. Weltkriegs unterlagen die Schweizer Medien der Zensur. Weil er sich an ein internationales Publikum wandte, wurde der KWD besonders überwacht, auch wenn seine Journalisten in dieser speziellen Situation genau wussten, was sie sagen konnten und was nicht. (Seminararbeit: Grégoire Luisier)
RDB
Wenn die Männer im Aktivdienst sind, leisten die Frauen Feuerwehrdienst (1941).
Sogar in Kriegszeiten zeichnete der KWD ein konservatives Bild der Frauen. So kommentierte er, «die Schweizerinnen gehen der Devise nach, nicht einfach als Soldaten verkleidete Frauen zu sein, sondern eine echte Unterstützung für unsere Armee». Im Klartext: Sie sind eine wertvolle Hilfe, aber eindeutig keine Soldatinnen. (Seminararbeit: Alix Meister)
RDB
Nationalfeier am 1. August 1940 in Arosa, Kanton Graubünden.
Auch wenn autoritäre Massnahmen wie beispielweise weitgehende Vollmachten für die Regierung verstärkt wurden, so trug der KWD zum mythischen Bild bei, die Schweiz bleibe eine demokratische Insel inmitten eines Europas im Krieg. (Seminararbeit: Pauline Rumpf und Pascal Vosicki)
RDB
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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