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Ausländer sind Chinesen wie alle anderen

Peking verlangt, dass jeder ins Rentensystem einzahlt. Keystone

Fast die Hälfte des Einkommens für die soziale Sicherheit: Das ist seit diesem Herbst die harte Realität für rund 230'000 Ausländerinnen und Ausländer, die in China arbeiten – auch wenn viele von ihnen bereits im Herkunftsland Abgaben leisten.

Beiträge an die Arbeitslosenversicherung? Sehr gerne, aber wenn ein Ausländer seine Stelle verliert, muss er gemäss chinesischem Gesetz das Land verlassen.

Von Leistungen der Krankenversicherung profitieren? Perfekt, aber nur in öffentlichen chinesischen Spitälern, in die sich kaum je ein Ausländer wagt.

Beiträge an die Pensionskasse? Gute Idee, aber werden ausländische Arbeitnehmende pensioniert, werden sie gebeten, das Land zu verlassen.

Mutterschaftsversicherung? Klar, aber was geschieht im Land der Ein-Kind-Familie im Fall einer zweiten oder dritten Geburt?

Dies sind nur einige wenige Fragen, die sich angesichts des neuen chinesischen Gesetzes zur sozialen Sicherheit stellen. Doch Antworten gibt es keine.

Alle Ausländer

Seit dem 15 Oktober müssen alle Ausländer, die über eine Arbeitserlaubnis in Festland-China verfügen, Beiträge leisten. Diese betragen bis zu 50 Prozent des Einkommens von ausländischen Angestellten. Davon übernimmt der Arbeitgeber drei, der Arbeitnehmer einen Viertel.

«Wenn ich wieviel auch immer bezahlen muss, kündige ich und verlasse China», sagt ein Schweizer, der in Peking für ein schweizerisches Unternehmen arbeitet. Wie die meisten seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger im Ausland hat auch er nie aufgehört, Beiträge an die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) in der Schweiz auszurichten und sieht sich plötzlich mit doppelten Beiträgen konfrontiert. Viele wollen das nicht akzeptieren.

«Sie arbeiten in China, also halten Sie sich an das chinesische Gesetz!», antwortet ihnen Xu Yanjun, Direktor des chinesischen Ministeriums für Personalressourcen und soziale Sicherheit. Er hatte die Presse Ende Oktober eingeladen, um sich zu den Widersprüchen im neuen chinesischen Gesetz zu äussern.

Doch er sorgte nur noch für mehr Unklarheit, als er erklärte, die Modalitäten der Anwendung seien noch nicht festgelegt. Bis jetzt, Mitte Dezember, ist immer noch unklar, wie viel oder wie überhaupt bezahlt werden soll. Klar ist einzig, wie Xu Yanjin ausdrücklich betont: Das Gesetz ist in Kraft.

Überraschend

«Was uns stört, ist die Tatsache, dass dieses Gesetz völlig überraschend eingeführt wurde», sagt Robert Wiest, Vizepräsident der Handelskammer Schweiz-China in Peking. «Wir wollen uns aber nicht prinzipiell dagegenstellen.»

Letzten August hat die Handelskammer einen Aufruf an die Schweizer Regierung gestartet und diese zum Eingreifen gebeten, um die negativen Auswirkungen dieses Gesetzes auf die Handelsgemeinschaft in China zu mindern. Die Handelskammer setzt in ihrem Positionsbezug wesentlich auf den Wunsch, eine Ausnahme für jene zu erwirken, die bereits in der Schweiz Beiträge entrichten.

Deutschland und Südkorea profitieren bereits von einer Befreiungs-Regelung. Ein Dutzend weitere Länder – darunter Frankreich und Belgien – haben Verhandlungen mit China aufgenommen.

Auf Schweizer Seite hat sich, nach langem Schweigen, das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) Anfang November bereit erklärt, mit China Sondierungsgespräche aufzunehmen. Stéphanie Koch, verantwortlich für das Dossier im BSV, bestätigt den Schweizer Wunsch, im zweiten Quartal 2012 eine Delegation nach China zu entsenden.

Das Datum wird von der Verfügbarkeit der chinesischen Partner abhängig sein. Falls man sich entscheide, Verhandlungen aufzunehmen, die in Richtung eines bilateralen Abkommens betreffend Sozialversicherungen gehen würden, und dieses Abkommen eine Ausnahmeregelung vorsähe, würde diese im Prinzip für beide Parteien gelten, präzisiert die Juristin.

Nur der Anfang

Derweil häufen die Arbeitgeber Reserven für jenen Tag, an dem sie zur Kasse gebeten werden. Die Rechnung wird gesalzen sein, besonders für jene, die viele ausländische Arbeitnehmende beschäftigen. Wenigstens sieht das Gesetz eine Obergrenze vor, die dem Dreifachen eines mittleren lokalen Monatslohns entspricht. Daher sollten die Beiträge pro Person und Monat nicht über 600 bis 700 Franken hinausgehen.

Doch das sei erst der Anfang, warnt Robert Wiest, der in den nächsten Jahren weitere Steuern erwartet. «Ich glaube, das gehört zur normalen Entwicklung eines Landes, das sein System der Sozialversicherungen ausbauen will. Auf jeden Fall werden geschäftliche Aktivitäten in China immer teurer.»

Als Antwort auf die Befürchtungen ausländischer Unternehmen hat die offizielle Agentur Neues China deren Bemühungen um eine Sonder-Behandlung scharf kritisiert.

Doch nicht alle Ausländer beschweren sich – im Gegenteil. Batiste Pilet, Vertreter eines Genfer Reisebüros in China, wird wie alle anderen bezahlen. Er, der erst in Peking in die Arbeitswelt eingestiegen ist, hat in der Schweiz nie Beiträge bezahlt und ist mit einer Chinesin verheiratet. Dies gibt ihm das Recht, in China zu bleiben, wenn er einmal nicht mehr arbeiten wird.

«In 30 Jahren, wenn ich pensioniert sein werde, ist die chinesische Vorsorge vielleicht attraktiv geworden. Vielleicht wird es Ausländer geben, die davon träumen, von diesem System zu profitieren», hofft er.

Das neue chinesische Sozialversicherungs-Gesetz betrifft lediglich jene 720 Schweizerinnen und Schweizer, die eine Arbeitsbewilligung für Festland-China besitzen.

Einwohner von Hongkong und Macao sind davon nicht betroffen.

Rund 300 Unternehmen und etwa 700 Filialen aus der Schweiz haben sich in China niedergelassen.

Die Exporte aus der Schweiz nach Festland-China haben im letzten und in diesem Jahr stark zugenommen.

Importe aus China in die Schweiz haben letztes Jahr zu-, dieses Jahr aber abgenommen.

Die Handelsbilanz zeigt die Schweiz im grossen Vorteil.

Das neue Gesetz wird von vielen als die neuste Entwicklung in einer Reihe von Hindernissen angesehen, die das Wirtschaftsklima für die in China ansässigen ausländischen Unternehmen verschlechtern.

Die ausländischen Handelskammern in China erwähnen Hindernisse beim Marktzugang, unlauterer Wettbewerb, die Nichteinhaltung von Marktregeln, die zur Erhöhung der Steuern und Löhne hinzukommen.

Wegen der ungezügelten Konkurrenz sind die Margen für Firmen, die in China tätig sind, extrem tief und daher sehr anfällig für jegliche Erhöhung der Abgaben.

(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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