Ein Leben für die Waisenkinder in Rumänien
Franziska Simo-Gilgen wollte den Armen helfen und hat so ihr Familienglück im Osten gefunden. Über ein Duzend Pflegekinder hat sie in der Zwischenzeit bei sich aufgenommen und parallel ihre eigene Familie gegründet.
Sie wollte schon immer eine grosse Familie. Ein Tisch, voll besetzt mit Kindern. Franziska Simo-Gilgen (47) war ein kleines Mädchen, als sich diese Zukunftsvision formte. Im heimischen Bern träumte sie davon, verspürte aber gleichzeitig Fernweh. In die Welt wollte sie hinaus. Wohin genau, war erst einmal zweitrangig.
Und so spielte das Schicksal ihr jenen Ball in die Hand, den sie bis heute festhält: Die Schweizer Hilfsorganisation «Direkthilfe für Rumänien» suchte damals für ein Kinderheim in Rumänien freiwillige Helfer. Sofort witterte Franziska ihre Chance.
Auslandschweizer-Community
Die Journalistin Joëlle Weil lebt als Auslandschweizerin in Israel. Sie porträtiert in loser Folge interessante Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, denen sie in Facebook-Gruppen der Auslandschweizer-Community begegnet ist.
Die damals 25-Jährige liess ihren Job als Arztgehilfin hinter sich und machte sich auf in den für sie fernen Osten. Ein anderes Land, eine andere Mentalität und eine sinnvolle Aufgabe.
Alles, was sich Franziska für ihr junges Leben gewünscht hatte, schien sich zu erfüllen. Rumänien war für Franziska ein exotischer, fremder Ort, und so begann das Abenteuer ihres Lebens im Osten des Landes, in der Stadt Miercurea CiucExterner Link.
Sprachbarriere
«Ich hatte mir alles ganz anders vorgestellt», sagt Franziska. «Es war sehr ländlich, sehr arm. Als ich das Kinderheim zum ersten Mal besuchte, sah ich diese Trostlosigkeit, die mir bis anhin fremd war.» Es war kurz vor Weihnachten, eine heitere, schöne Zeit in Bern.
In Miercurea Ciuc jedoch waren die abgeschobenen und verlassenen Kinder nun ihre Realität. «Alle hatten denselben Kurzhaarschnitt, wegen der Läuse und Flöhe. Alles war traurig.» Um die 150 Kinder lebten damals dort. Franziska war eine der Freiwilligen, die ihr Leben etwas bereichern wollten.
Die ersten Monate waren schwer. Franziska konnte sich weder mit den Kindern, noch mit den anderen Freiwilligen austauschen. Nur einer war da, dem sie sich mitteilen konnte: Jozsef. Zwei Jahre jünger, Rumäne, witzig, interessant, ganz anders. Er sprach Französisch und wurde so zu Franziskas wichtigster Bezugsperson, später zu ihrem Mann und dem Vater ihrer Kinder.
Die Pflegekinder
Das junge Paar hatte dieselben Visionen und Ideologien. Nach einem Jahr entschieden sie sich dazu, sich hauptsächlich um drei HIV-positive Kinder kümmern zu wollen. Diese lebten bei dem jungen Paar und erfuhren dort die Liebe und Fürsorge, die ihnen in der krankenhäuslichen Isolation verwehrt blieb.
Durch Spenden aus der Schweiz konnte später ein Haus finanziert werden, um weitere HIV-positive Kinder aufnehmen zu können. Joszef war vom Staat angestellt, und Franziska kümmerte sich weiterhin ehrenamtlich um die Kinder. «Wir wurden eine Art Grossfamilie», sagt sie.
Anfang 30 kam das erste von drei gemeinsamen Kindern zur Welt. «In der Stadt herrschte die Annahme, man könne HIV-positive Kinder nicht mit gesunden zusammen leben oder spielen lassen.»
Franziska bewies allen das Gegenteil und nahm auch weiterhin HIV-positive Kinder auf. Aktuell leben bei ihnen sieben Pflegekinder und zwei der drei eigenen. Der älteste der drei Jungs lebt in der Schweiz und widmet sich ganz seiner Leidenschaft, dem Eishockey.
Die Würze des Lebens
Während der letzten zwanzig Jahre bot Franziska mehr als einem Duzend Pflegekindern ein Zuhause. Sie zog die Kinder auf, als wären es ihre eigenen und nabelte sich dann von ihnen ab, als wären es ihre eigenen. Nicht mit allen pflegt sie heute noch Kontakt. Die ältesten sind heute um die 30 Jahre alt.
Dass Franziska an einer Art Helfersyndrom leidet, bestreitet sie. «Ich opfere mich nicht auf und ich fühle keinen inneren Zwang, diese Arbeit zu verrichten.» Sie tue das alles, weil sie es tun wolle und weil es ihrem Alltag einen Sinn gebe.
In der Schweiz – so sagt sie – wäre ihr der Alltag zu langweilig. In Rumänien aber birgt dieser Alltag viele Hürden. Und so anstrengend diese Hürden manchmal zu nehmen sind: Sie verleihen ihrem Leben Würze und Sinn.
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