Verliebt in Mutter Erde
Leben im Einklang mit der Natur und der Schöpfung. Das hat Ursus Schwarz sein Leben lang versucht. Nachdem er an den Studentenaufständen der 1968er mitgemacht hatte, verschrieb sich der Auslandschweizer einem alternativen Lebensstil und gründete verschiedene Gemeinschaften und selbstverwaltete Bauernhöfe. Heute lebt er in seiner Gemeinschaft Spirit of Nature in Golden Bay, Neuseeland. Ein Porträt.
Ursus Schwarz ist kein gewöhnlicher Mensch. Das merkt man sofort. «Wir müssen uns von unserem Egoismus befreien und uns wieder mit unserem höheren Selbst und unserer Mutter Erde verbinden», sagt er, während sein Blick über das Meer vor uns schweift.
Wir sitzen an einem Strand der Golden BayExterner Link, ein paar Meilen entfernt von Collingwood, an der Nordspitze der Südinsel Neuseelands. Während fast zwei Stunden schaut Schwarz auf die Stationen seines Lebens zurück. Eines ausgesprochen ungewöhnlichen Lebens.
Er ist 74 Jahre alt. Trotz der Hitze trägt er einen dicken Pullover und Wollsocken. Auf dem Kopf ein von der Sonne ausgebleichter Baseball-Cap, sein Bart ist lang und etwas wild, sein Gesicht von Sonne und Leben geprägt, und sein Atem geht schwer. «Ich leide an einer schweren Lungenerkrankung, hervorgerufen durch Heustaub», sagt er, um die Pausen zu erklären, die er machen muss, wenn er über sein Leben erzählt.
«Ich bin ein Kind aus der Agglomeration von Zürich, aufgewachsen in dieser Mittelwelt zwischen Stadt und Land», erzählt Schwarz, der hier gerne «Black Bear» genannt wird. «Ich stamme aus einer Künstlerfamilie. Ich besuchte die Rudolf-Steiner-Schule. Nach acht Schuljahren entschied ich mich, nach Deutschland zu gehen, wo ich mich ein Jahr lang beruflich orientierte.»
In jenem Jahr werden seine Ideen klarer. Schwarz begreift, dass er etwas tun muss, was mit der Natur zu tun hat. Zurück in der Schweiz, arbeitet er zunächst für einen biodynamischen und biologischen Landwirt und absolviert später eine Ausbildung in einer traditionellen Landwirtschaftsschule.
Im Wirbelwind der Geschichte
In jenen Jahren kommt es in Europa zum grossen Umbruch. Es sind die 1968er-Jahre, und «Black Bear» will sich in diesen Wirbelsturm der Geschichte stürzen. Mit einem Freund reist er in die damalige Tschechoslowakei, um am Prager Frühling teilzunehmen.
Mit einer fast jugendlichen Begeisterung erinnert er sich: «Auf den Plätzen skandierten wir ‹Dubček, Svoboda›. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Ein Musikerfreund riet mir, zu gehen, weil die Russen kommen würden. Zum Glück hörte ich auf ihn. Ich erwischte den allerletzten Zug nach Wien.»
Von dort macht er sich auf nach Paris, um die dortigen Studentenproteste zu unterstützen. «Erst dort begriff ich, worum es ging. Es war der Versuch, die Gesellschaft zu demokratisieren, angefangen in der Schule», erinnert er sich. Doch für den Pazifisten sind die Auseinandersetzungen mit der Polizei zu brutal und gefährlich.
Schwarz geht zurück in die Schweiz und beteiligt sich an den Aufständen der Jugend in Zürich, die sich für ein unabhängiges Jugendzentrum einsetzt. «Es war Sommer, und die Polizei benutzte die Hydranten, um uns auseinanderzubringen. So wurden die Strassenkämpfe zu einer Art Spiel», erinnert er sich mit einem Lächeln im Gesicht.
Ein Lächeln, das allerdings bitter wird, wenn er vom Scheitern der Studentenrevolution in Zürich erzählt. «Statt das ehemalige Globus-Kaufhaus stellten uns die Behörden einen stillgelegten Bunker zur Verfügung.» Deshalb fragen sich die Aktivisten Anfang der 1970er-Jahre, wie sie den Kampf fortsetzen sollten.
Es gibt jene, die beabsichtigen, das System von innen heraus mit dem «langen Marsch» durch die Institutionen zu untergraben. Schwarz hingegen entscheidet sich für einen alternativen Lebensstil, der im Gegensatz zu traditionellen Modellen steht.
Alternatives Leben
1972 gründet er mit vierzig anderen Leuten im Kanton Wallis die «Genossenschaft Neu Walser Bund». Drei Jahre später gründet er eine neue Gemeinschaft im Jura. «In den Jahren 1980-81 durchlebte ich eine schwere existenzielle Krise. Deshalb liess ich alles hinter mir und ging nach Neuseeland.»
Während sechs Monaten besucht er die blühende Alternativszene auf der Südhalbkugel und nimmt an den grossen Festivals teil, die dort stattfinden. «Nach meiner Rückkehr in die Schweiz bat mich ein Freund, nach Neuseeland zurückzukehren, um an der Gründung einer Gemeinschaft mitzuwirken: der Tui-CommunityExterner Link.»
Doch auch von dort zieht es Schwarz bald weiter. Er gründet seine eigene Gemeinschaft. Mit Geld aus einer Erbschaft kauft er sieben Hektar Wald in der Golden Bay. «Die Lage ist perfekt: nur wenige hundert Meter vom Meer entfernt und mit einem herrlichen Blick auf die Bucht», sagt Schwarz.
«Allerdings ist das hügelige Gelände mit Dornginster bewachsen, einer invasiven Pflanze, die aus Grossbritannien importiert wurde. Um die Pflanzen loszuwerden, müssen wir einen Bulldozer einsetzen.»
Seine Gemeinschaft Spirit of NatureExterner Link existiert seit 1986. «Es ist eine Gemeinschaft, die auf Respekt und Liebe zu unserem Zuhause, Mutter Erde, basiert», erklärt «Black Bear». «Die Gemeinschaft besteht aus ‹Global Natives›, die Gaia tief verbunden sind und welche die Notwendigkeit verspüren, sich um die biologische Vielfalt unseres Planeten zu kümmern und sich für eine nachhaltige und friedliche Zukunft einsetzen wollen.»
Diese Lebensphilosophie keimte und reifte in Schwarz während seiner Jahre der Militanz in den verschiedenen Gemeinschaften, die er in der Schweiz, Italien und Neuseeland mitbegründet und -geprägt hat.
Entscheidende Jahre
Die Gemeinschaft dieser «Global Natives» beruht einerseits auf soliden Prinzipien, die Schwarz im Buch «How to survive capitalism» ausführlich erläutert. Andererseits befindet sich das Projekt auch mehr als 30 Jahre nach seinem Start noch in einer fast embryonalen Phase.
Eine der Ursachen sind sicherlich die längeren Abwesenheiten ihres Schöpfers. «Ich bin 1991 aus familiären Gründen in die Schweiz zurückgekehrt», sagt Schwarz. Die Familie – ein schwieriges Thema für den 74-Jährigen. Die Pausen zum Nachdenken werden länger.
Wie in seinem ganzen Leben hat Schwarz auch in Paarbeziehungen Entscheide gefällt, die vielleicht der Meinung der meisten Menschen entgegenlaufen. «Ich habe zehn Kinder mit vier verschiedenen Frauen», sagt er kurz und wechselt sofort das Thema.
«Ich habe einen Bauernhof im Solothurner Jura gemietet, wo ich eine landwirtschaftliche Genossenschaft gründete. Ich blieb bis 2001 in der Schweiz.» Seither pendelt Schwarz zwischen seinem Herkunftsland und seinem Gastland auf der Südhalbkugel, um den dortigen Sommer zu verbringen. «2016 organsierte ich ein Treffen mit meiner Familie. Fast alle sind gekommen», erzählt er mit glücklichem Ausdruck. Es war eine Art Abschied von den Kindern und der Schweiz.
Heute ist Schwarz ein müder und kranker Mann. Er lebt im Herzen seiner Gemeinschaft, im einzigen echten Haus der Siedlung im Wald, die aus Wohnwagen, Wohnmobilen und einer Jurte besteht und wo ständig oder vorübergehend bis zu einem Dutzend Menschen leben.
Darunter auch Silvan, ein Sohn von Ursus. Nachdem er im Alter von 16 Jahren dort ein Jahr verbracht hatte, kam er Anfang 2019 zu Spirit of Nature zurück. «Diesmal bin ich nur drei Monate mit meiner Tochter hier», sagt er, während er uns die provisorischen Bauten des Lagers zeigt. «Ich möchte etwas Dauerhaftes schaffen, das es verdient, erhalten zu werden», erklärt er mit jugendlicher Begeisterung.
Und so wird Spirit of Nature vielleicht weiterleben und seinen Gründervater überleben. Und falls nicht, wird sich die Natur das zurückerobern, was ihr einst gehörte. Ursus Schwarz würde das wahrscheinlich nicht stören.
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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