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Eine Welt ohne Drogen? Eine Illusion – auch in Südostasien

Ruth Dreifuss in den Räumlichkeiten der Weltkommission für Drogenpolitik, die in Genf ansässig ist. Frédéric Burnand

Thailand und Myanmar öffnen sich beim Drogenkonsum einem auf Gesundheit ausgerichteten Ansatz. Dies sei für eine in diesem Bereich bisher für ihre unnachgiebige Politik bekannte Region eine bemerkenswerte Entwicklung, erklärt die Schweizerin Ruth Dreifuss, Vorsitzende der Weltkommission für Drogenpolitik, nach einer Reise durch Südostasien.

Seit dem vergangenen Jahr ist Ruth Dreifuss Vorsitzende der Weltkommission für DrogenpolitikExterner Link (Global Commission on Drug Policy). Diese Gruppe von PersönlichkeitenExterner Link aus aller Welt besteht seit 2011, die ehemalige Bundespräsidentin gehört zu den Gründungsmitgliedern.

Die Gruppe war aufgrund der Erkenntnis ins Leben gerufen worden, dass der 1971 unter dem damaligen US-Präsidenten Richard Nixon lancierte «Krieg gegen Drogen» ein kompletter Fehlschlag ist: Der Drogenhandel wird immer bedeutender, die Zahl der Drogensüchtigen steigt.

5 Schwerpunkte der Kommission

– Gesundheit und Sicherheit müssen Priorität haben: Statt auf Strafrecht und Prohibition soll sich Drogenpolitik auf Prävention, Schadensreduktion, Behandlung und Schutz der Gemeinschaft als Eckpfeiler abstützen.

– Zugang zu Medikamenten mit doppeltem Verwendungszweck wie Morphium garantieren. Weil diese Medikamente teilweise illegal sind, hat eine grosse Mehrheit der Bevölkerung heute keinen Zugang dazu, was zu unnötigen Schmerzen und Leiden führt.

– Der Kriminalisierung und Inhaftierung von Drogenkonsumierenden ein Ende setzen. Ein Ende der Kriminalisierung ist eine Voraussetzung für eine echt gesundheitsorientierte Drogenpolitik.

– Repressive Massnahmen deutlich auf den Kampf gegen den Drogenhandel und das organisierte Verbrechen ausrichten, statt auf kleine, nicht gewalttätige Akteure im Markt.

– Drogenmärkte regulieren, um deren Kontrolle den Staaten zu übertragen, wie man es mit Tabak, Alkohol oder Medikamenten tut. Mit einer Regulierung bisher illegaler Substanzen können soziale und gesundheitliche Schäden verringert und das organisierte Verbrechen geschwächt werden.

Ziel der Weltkommission ist es, auf einen Strategiewandel hin zu arbeiten: Statt Repression soll der Ansatz vermehrt auf gesundheitliche und soziale Aspekte ausgerichtet werden. Seit 2011 ist im Bereich der Drogenpolitik in der ganzen Welt einiges in Bewegung gekommen, wie etwa der jüngste Besuch von Ruth DreifussExterner Link in Thailand und Myanmar (Burma) zeigt.

swissinfo.ch: Wie weit wollen Thailand und Myanmar mit ihren Reformen gehen?

Ruth Dreifuss: In diesen zwei Ländern, die konfrontiert sind mit einer Epidemie von Aids und Hepatitis C unter jenen Menschen, die Drogen spritzen und jenen, mit denen diese in Kontakt stehen, besteht der Wille, eine auf die Volksgesundheit ausgerichtete Politik zu entwickeln.

Zu den Massnahmen, mit denen die Risiken vermindert werden sollen, gehört die Bereitstellung von sterilen Spritzen sowie von Treffpunkten für die Drogenkonsumierenden, wo verschiedene Dienstleistungen angeboten werden, die auf die Integration der Suchtkranken abzielen. Auch erste Methadonprogramme für schwer Süchtige werden gestartet.

Vor allem aber ziehen die beiden Länder auch in Betracht, auf zwangsverordnete Behandlungen zu verzichten, die auf Abstinenz abzielen, Behandlungen, deren Unwirksamkeit und entwürdigender Charakter heute anerkannt wird.

Zudem gibt es heute ein klares Bewusstsein, dass der Katalog der Strafmassnahmen im Drogenbereich übertrieben ist. Über die Abschaffung der Todesstrafe wird zwar nicht gesprochen, beide Länder vollstrecken sie aber nicht mehr. Jetzt soll die Liste der Verbrechen, für welche die Todesstrafe vorgesehen ist, verkleinert werden.

Das neue Bewusstsein betrifft auch die überfüllten Gefängnisse, die – mehr als irgendetwas anderes – vor allem Verbrecherschulen zu sein scheinen. Die Strafskala soll daher in beiden Ländern reduziert werden.

Um das zu tun, finden in beiden Ländern umfassende Konsultationen statt. Dazu kommen Informationskampagnen für die Bevölkerung, die diese Wende nach 50 Jahren einer Politik der Prohibition und verächtlichen Diskursen gegen Drogenkonsumierende nicht unbedingt einfach so versteht.

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Erinnern wir uns daran, dass Thailand zwischen 2001 und 2006 einen «Krieg gegen Drogen»Externer Link geführt hat, der jenem ähnlich war, der sich nun in den Philippinen abspielt. Die thailändische Polizei hatte damals den Tod von mehreren Tausend Menschen durch aussergerichtliche Tötungen provoziert. Die Behörden des Landes mussten schliesslich einsehen, dass mit dieser Repression weder der Drogenhandel noch der Konsum von Drogen eingeschränkt werden konnte, ganz im Gegenteil.

swissinfo.ch: Werden auch die anderen Asean-Staaten den gleichen Weg beschreiten?

R.D.: Die grosse Frage ist, ob man eine Gesellschaft ohne Drogenmissbrauch anstreben kann. In der Schweiz ist die Zielsetzung der Abstinenz noch immer im Betäubungsmittelgesetz festgeschrieben. Das gilt auch für die AseanExterner Link, die eine völlig drogenfreie Region werden will. Aber kann man an ein solches Ziel noch glauben?

Es ist klar, dass die Länder, die ich besucht habe, zur Einsicht gekommen sind, dass das Ziel einer drogenfreien Gesellschaft eine Illusion ist, auch wenn sie in ihrem Diskurs noch etwas zögerlich tönen. Psychoaktive Substanzen hatten für die Menschheit in ihrer Geschichte schon immer eine Anziehungskraft.

Mit welchem Recht werden Personen bestraft, die Substanzen zu sich nehmen, die ihre Stimmung verändern, ihre Schmerzen lindern, ihre Wahrnehmung und ihr Bewusstsein der Welt transformieren? Gewisse solche Substanzen, Produkte, die ebenfalls psychoaktiv sind, wurden zudem kulturell in unsere Gesellschaften integriert, wie Alkohol, Tabak, Schokolade, Kaffee oder Medikamente.

Wieso will man, durch die Gewalt des Staates, die Illusion einer Menschheit verfolgen, die ganz ohne solche Substanzen auskommen würde? Wieso werden gewisse Substanzen integriert, indem man Produktion und Zugang reglementiert, während andere verboten werden?

Die internationalen Konventionen zum Thema illegale DrogenExterner Link, geben den Staaten die Möglichkeit, an ihre Probleme angepasste Lösungen zu finden, etwa auf die Bestrafung von Konsumierenden zu verzichten und gesundheitspolitische Massnahmen zu ergreifen, einschliesslich solcher, die es möglich machen, die Risiken für jene Menschen zu verringern, die sich heute auf dem Schwarzmarkt mit verbotenen Substanzen eindecken. Andererseits lassen es diese Konventionen nicht zu, dass Staaten, welche die Abkommen ratifiziert haben, Produktion und Drogenmarkt kontrollieren, wie sie es mit legalen psychoaktiven Substanzen tun.

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swissinfo.ch: Ist die Kursänderung Thailands und Myanmars symptomatisch für eine weiter verbreitete Entwicklung?

R.D.: Diese Entwicklung ist allgemein. Sogar extrem repressive Staaten wie China und Iran haben Drogenersatztherapien und Massnahmen zur Risikoverminderung für drogenabhängige Menschen entwickelt.

Aber man sieht auch Rückschritte, wie zum Beispiel auf den Philippinen. Und gewisse Länder verharren auf ihren auf Prohibition ausgerichteten Positionen, wie Japan und Russland. Moskau verfolgt weiterhin eine rigorose Politik der Prohibition mit absolut dramatischen Konsequenzen für die russische Bevölkerung.

Es ist das einzige Land, in dem die Zahl der neuen HIV-Infektionen noch immer steigt. Zudem ist vor allem in den Gefängnissen, aber auch ausserhalb, eine antibiotikaresistente Tuberkulose weit verbreitet. Durch seine repressive Politik hat Russland zahlreiche Aktivitäten in den Untergrund getrieben, was sich als extrem gefährlich herausstellt. Abgesehen davon sucht heute aber eine grosse Mehrheit der Staaten nach neuen WegenExterner Link.

swissinfo.ch: Die Schweiz galt in der Drogenpolitik lange als Pionierin. Ist das immer noch der Fall?

R.D.: Die Schweiz hat tatsächlich innovative Wege beschritten, als sie mit der Aids-Epidemie und immer mehr Überdosen konfrontiert war. Mittlerweile wurde sie aber von der Masse aufgeholt. Die Schweiz hat eine auf die Volksgesundheit ausgerichtete Politik entwickelt, die ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt hat. Man müsste die Massnahmen aber noch weiter entwickeln, damit sie für alle zugänglich sind, die darauf angewiesen sind. Zudem sollte man auch die synthetischen Drogen, die neue Gefahren darstellen und neue Antworten erfordern, in diese Politik einbinden.

Die Schweiz hinkt aber bei der Regulierung des Drogenmarkts und der Entkriminalisierung hinterher. Den Drogenkonsum von einem Strafdelikt zu einer einfachen Zuwiderhandlung herunterzustufen ist nur eine halbe Massnahme.

Man muss in Erinnerung rufen, dass die repressive Politik auf der ganzen Welt willkürlich ist und vor allem Arme, benachteiligte Quartiere und Minderheiten im Visier hat, auch in der Schweiz. Und wenn die Anwendung eines Gesetzes willkürlich ist, muss dieses Gesetz revidiert werden.

Aber die Schweiz legte den Akzent derart stark auf die Gesundheit und die Verhältnismässigkeit der Strafen, dass das Thema praktisch vom Radar verschwunden ist. Es gibt kaum mehr politischen Druck für radikalere Veränderungen. Umso mehr, als verschiedene Initiativen, die auf solche Veränderungen abzielten, bei den Abstimmungen scheiterten. Die politischen Parteien sind daher nicht eben scharf darauf, das Thema erneut auf die Agenda zu setzen.

Abgesehen davon gibt es aber – auch in weiten Teilen der Bevölkerung – ein lebhaftes Interesse, die Cannabis-Produktion und den damit verbundenen Markt zu regulieren, da das Cannabis-Verbot weder als wirksam noch als nützlich betrachtet wird.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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