«So erlebe ich mein Bern in dieser Zeit» – Teil 5
"Die neuen Begrüssungs-Alternativen haben ihren Reiz", sagt Gaby Ochsenbein. Die frühpensionierte ehemalige Redaktorin von swissinfo.ch schreibt in dieser beispiellosen Zeit über ihre Beobachtungen – aus persönlicher Sicht.
Dass man zur Begrüssung die Hand gibt, haben mir meine Eltern schon früh beigebracht. Heute, als Erwachsene, drücke ich etwa der Ärztin, dem Banker, dem Handwerker die Hand; Leuten, mit denen ich nicht per Du bin. Wegen Corona ist das zur Zeit ein No-Go, was mich nicht weiter stört.
Ein Händedruck kann zwar ganz wohltuend sein, kann Respekt und Vertrauen ausdrücken. Aber nicht immer ist er angenehm, man denke nur an die feucht-schweissigen Patschhände, die man lieber nicht schütteln will. Oder an den schlaffen Händedruck, der Mitleid aufkommen lässt. Und dann gibt es noch die wuchtigen Pranken eines Türsteher-Kalibers, die so kräftig zupacken, dass einem fast die Finger brechen und man vor Schmerz aufheulen möchte.
Aber auch das Drei-Küsschen-Ritual, das sich in den letzten Jahren in der Schweiz inflationär ausgebreitet hat, ist kein reines Vergnügen. Denn manch einer oder eine kommt einem dabei näher, als einem lieb ist. Und dass man sich bereits nach einer Apéro-Runde mit teils fremden Menschen von jedem Einzelnen mit Küsschen links, rechts, links oder rechts, links, rechts verabschieden soll, finde ich schlicht übertrieben.
An Alternativen fehlt es nicht
Physische Nähe kann schön sein, aber nicht mit allen. Und in der heutigen Ausnahmezeit ist dieser nahe Kontakt eh kein Thema. Aber es gibt Abhilfe: Zu Beginn der Corona-Krise bestand die Alternative darin, sich mit den Ellbogen oder den Füssen zu begrüssen. Das sieht man kaum mehr. Vermutlich weil dabei der 2-Meter-Abstand nicht eingehalten werden kann.
Ich habe auch schon beobachtet, dass sich junge Menschen verbeugen und dabei die Hände vor der Brust falten, wie man das etwa aus in Indien kennt. Sich aus nötiger Distanz zuwinken, geht auch. Eine weitere Option ist ein höflicher Knicks, wenn auch eher für Mädchen und Frauen. Der Mann darf zum Gruss den Hut ziehen, so er einen hat. Wenn nicht, kann er den Gorilla-Gruss anbringen, indem er sich mit den Fäusten auf die Brust trommelt und dazu „Hallo oder Ciao“ brüllt.
Distanz kann Nähe bringen
In den letzten Wochen haben die Leute weitgehend gelernt, sich nicht zu nahe zu kommen. Immer wieder sehe ich Menschen auf Berns Strasse, die sich «distanziert» begrüssen und dann angeregt unterhalten. Zwar müssen ältere Semester dabei die Ohren spitzen – und noch lauter sprechen als üblich.
Mir gefällt der Gruss auf zwei Meter Distanz, man blickt sich direkt an und nimmt sich vielleicht auch besser wahr. Und: Schnell bekommt man ein ganzheitliches Bild des Gegenübers – und denkt vielleicht: ‚Dass der seine Jeans bügelt, ist mir noch nie aufgefallen.’ Oder: ‚Wie die wohl ihre Frisur so hinkriegt, wo doch alle Coiffeursalons geschlossen sind?’
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