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Bergsport fördern – Berge schützen

Das Heliskiing sorgt für rote Köpfe. Keystone

Schutz der Natur und Promotion des Bergsports: Seit jeher versucht der Schweizer Alpen-Club, der dieses Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert, den Spagat zwischen diesen beiden Zielen, was häufig zu Konflikten führt. Mit mehr oder weniger Erfolg.

Soll Heliskiing eingeschränkt werden oder nicht? Seit Jahren sorgt die Frage für Zündstoff, ob unzugängliche Bergregionen mit dem Hubschrauber angeflogen werden dürfen, damit Gäste von dort aus mit Skiern die unberührten Flanken hinunterfahren können. Der Konflikt ist symptomatisch für das Dilemma, mit dem sich der Schweizer Alpen-Club (SAC) beschäftigen muss.

«Der SAC fördert den Bergsport als Erlebnis für eine breite Bevölkerung», ist einerseits das Ziel des SAC, wie im Artikel 2 seiner Statuten festgehalten ist. Dort steht aber auch: «Er setzt sich für die nachhaltige Entwicklung und Erhaltung der Bergwelt ein sowie für Kultur, die im Zusammenhang mit den Bergen steht.»

Kunst des Kompromisses

Massensport und Naturschutz unter einem Hut? Das gleicht der Quadratur des Kreises. So stellt sich beispielsweise die Walliser Sektion in Zermatt einem Entscheid des Bundesamts für Zivilluftfahrt entgegen, welches das Heliskiing auf der westlichen Seite des Tales verbieten will. Dies, obwohl diese Idee vom Zentralausschuss des SAC unterstützt wird.

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«Alpen-Club hat Schweizer Identität mitgeprägt»

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht «Mehr als Bergsport»: Das vom Schweizer Alpen-Club für sein 150-jähriges Bestehen gewählte Motto ist sicherlich passend. Der 15 Jahre nach der Geburt des modernen Bundesstaats gegründete Club habe eine wichtige Rolle bei der Bildung einer nationalen Identität gespielt, sagt der Alpinjournalist Daniel Anker. Anker zeichnet verantwortlich für das 280 Seiten starke Buch «Helvetia Club», das…

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«Heliskiing ist ein sehr wichtiges Element, um ein breites Angebot offerieren zu können», sagt Daniel Luggen, Direktor von Zermatt Tourismus. «Sollten wir dies nicht mehr anbieten können, werden wir besonders zahlungskräftige Kundschaft verlieren. Und das wird nicht nur Auswirkungen auf Bergführer oder Heli-Unternehmen haben, sondern auch auf Hotels, Restaurants und Skilifte.»

«Es ist in der Tat schwierig, diese beiden Aspekte unter einen Hut zu bringen», gibt die eben erst gewählte SAC-Zentralpräsidentin Françoise Jaquet zu. «Wir versuchen aber immer, einen Kompromiss zu finden. Was das Heliskiing betrifft, sind wir nicht dagegen. Wir wollen keine Landezonen in Schutzgebieten, doch wir sind bereit, über mögliche Ausnahmen zu diskutieren.»

Laut Katharina Conradin befinden sich die zentralen Instanzen des SAC ein wenig zwischen Stuhl und Bank. Einerseits wünschten sich die Sektionen der Bergregionen einen grösstmöglichen Zugang, andererseits verlangten die urbanen Sektionen eine restriktivere Politik, erklärt die Direktorin der Alpenschutz-Organisation Mountain Wilderness. Aktivisten ihrer Organisation haben im April auf dem Monte Rosa eine Protestveranstaltung gegen das Heliskiing durchgeführt.

Der Schweizer Alpen-Club wurde offiziell am 19. April 1863 im Bahnhof Olten gegründet. Die meisten der 35 Gründungsmitglieder stammten aus Basel. Der Berner Chemiker Rudolf Theodor Simler wurde zum ersten Zentralpräsidenten gewählt.

Es war auch Simler gewesen, der ein Jahr zuvor erstmals von der Notwendigkeit eines solchen Vereins gesprochen hatte. In einem Brief «an die Alpinisten und Freunde der Schweizer Alpen» hatte er unterstrichen, es sei «umständlich, wenn nicht gar eine Schande», dass man englische Schriften lesen müsse, um sich über die Schweizer Berge zu informieren.

In jenen Jahren spielten britische Bergsteiger in den Schweizer Alpen die Hauptrolle.

Noch im Gründungsjahr baute der SAC seine erste Berghütte, die Grünhornhütte in den Glarner Alpen.

Zuerst nur der bürgerlichen Elite vorbehalten, öffnete sich der Club im Laufe der Jahre immer mehr. 1913 zählte er 13’702 Mitglieder in 58 Sektionen. 1963 waren es 44’649 in 62 Sektionen, heute sind rund 140’000 Personen in 111 Sektionen dabei.

Lange war der SAC ein Männerclub. Seit 1978 dürfen auch Frauen beitreten. Heute sind 35% der Mitglieder Frauen.

2012 verzeichnete der SAC in seinen 152 Hütten 310’000 Übernachtungen – gleich viele wie etwa in prestigeträchtigen Tourismus-Destinationen wie Montreux, Ascona oder Pontresina.

Für Daniel Anker, Autor des Buches «Helvetia Club», das zum Jubiläum des SAC herausgegeben wurde, ist dieser Graben zwischen städtischen und Bergsektionen ganz einfach «ein Spiegel der Gesellschaft».

Die gleiche Spaltung sei auch bei politischen Entscheiden festzustellen, wie beispielsweise bei der Volksinitiative gegen den uferlosen Zweitwohnungsbau, die in den Städten grossmehrheitlich angenommen und in touristischen, alpinen Regionen abgelehnt wurde.

Das Dilemma sei hingegen nicht neu: Tatsächlich ziehe sich dieses durch die gesamte Geschichte des Alpen-Clubs, seit die Bergwelt im späten 19. Jahrhundert immer besser erschlossen worden sei.

Seilbahnen – Ja oder Nein?

In diese Zeit fallen auch die ersten Projekte für Bergbahnen und Seilbahnen. Die erste Luftseilbahn wurde 1908 am Wetterhorn bei Grindelwald eröffnet, und vier Jahre später transportierte die Jungfraubahn ihre ersten Passagiere.

Für den SAC «war es eine doppelte Beleidigung: Neben der Verschandelung der schönsten Gipfel konnten nun auch Nicht-Alpinisten diese betreten», schreibt Martin Gutmann in einem Artikel im Buch «Helvetia Club».

Nicht alle Mitglieder des Alpen-Clubs schätzen diese Entwicklung heute allerdings als negativ ein. Denn diese Einrichtungen erleichtern und fördern auch den Bergsport.

Gegenwärtig ist die Stimmung aber eher gegen den Bau neuer Bahnen. So hat sich der SAC erfolgreich gegen den Bau von Bahnen auf das Matterhorn, auf Les Diablerets und den Piz Bernina gewehrt. Bereits 1907 führte der Club einen Absatz in seine Statuten ein, der den aktiven Schutz der Gebirgswelt als eines seiner Ziele vorsieht.

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Während Jahrzehnten spielte der SAC eine wichtige Rolle im Landschaftsschutz. «Bis in die 1970er-Jahre war der Club eher progressiv, was den Umweltschutz anging», sagt Conradin.

«So spielte er etwa eine zentrale Rolle bei der Gründung der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz oder des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung.»

Mit dem starken Anstieg des Alpinsports aber «hat der Club eine wirtschaftsfreundlichere Richtung eingeschlagen», so die Direktorin von Mountain Wilderness. Die Organisation wurde 1987 gegründet, um dieser Richtung Gegensteuer zu geben.

Entwicklung – aber innerhalb von Leitplanken

Natürlich ist heute das Heliskiing nicht die einzige Problemzone. Ein weiterer Streitpunkt sind Ruhebereiche, in denen menschliche Aktivitäten für die Tierwelt auf ein erträgliches Mass zu begrenzen sind. «Es fehlt eine klare Definition», sagt Jaquet.

«Einige Kantone und Gemeinden haben ein absolutes Begehungsverbot ausgesprochen. Andere halten fest, dass man die Zonen begehen darf, sich aber an die Wege halten muss. Für uns ist es wichtig, bei den Diskussionen mitreden zu können oder zumindest konsultiert zu werden, bevor ein Entscheid gefällt wird, und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.»

Die Monte-Rosa-Hütte, 2009 vom Schweizer Alpen-Club als Ikone einer alpinen Hightech-Architektur erbaut, sorgt gegenwärtig für Unmut.

Statt wie geplant den grössten Teil der benötigten Energie mit Solarpanels zu produzieren, muss der für Schlechtwetterperioden bereitstehende Generator gegenwärtig auch bei schönstem Wetter laufen, wie «Schweiz Aktuell» des Fernsehens SRF berichtete.

Grund dafür ist der unerwartet hohe Ansturm auf die moderne Berghütte mit Spiegelfassade, die in den ersten beiden Saisons fast 11’000 Übernachtungen verzeichnete, wie die Sektion Monte Rosa meldete.

Zudem gibt es Probleme mit der Kläranlage: Wegen eines verstopften Siebes wird das Abwasser aus Küche und Toiletten seit vergangenem Winter in den Schnee geleitet. Dies hat zu einer Rüge der Walliser Umweltbehörden geführt, die eine unverzügliche Reparatur fordern.

Zu Diskussionen führen auch immer wieder die SAC-Hütten, von denen einige laut Puristen in den letzten Jahren zu regelrechten Fünfstern-Herbergen umgebaut wurden, und die immer mehr Leute anziehen.

«Die Berghütten unterstehen der Kompetenz der jeweiligen Sektion. Wir empfehlen, sie nicht zu komfortabel zu gestalten», sagt Jaquet.

«In einer Hütte braucht es keine Sauna, wie man es manchmal in den italienischen Alpen sieht. Wenn solche Hütten renoviert werden, sollte man immer die Umwelt miteinbeziehen und beispielsweise erneuerbare Energien einem Stromgenerator vorziehen oder das Abwasser-Management verbessern.»

Solche Überlegungen würden nicht nur für die Hütten gelten, sondern generell für die Aktivitäten des Alpen-Clubs. «Neulich hat der SAC einen grossen Kletterführer für den Kanton Graubünden publiziert, in dem bisher wenig bekannte Routen vorgestellt werden», sagt Daniel Anker.

«Einerseits verfolgt man damit eines der Ziele des Clubs: Die Schweizer Berge präsentieren. Andererseits aber wird die Veröffentlichung dieser neuen Routen mehr Bergsteiger anlocken. Was soll man nun tun, wenn das Volumen von zehn auf tausend Personen ansteigt? Einschränken? Verbieten? Das ist ein Knoten, das schwierig zu entflechten ist.»

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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