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Warum Hausaufgaben auch nach Covid-19 nicht verschwinden werden

Children working at a computer
Der Lehrplan für die Deutschschweiz sagt nur, wann Hausaufgaben nicht gemacht werden sollten, wie z.B. an einem Feiertag, aber nicht, ob sie gemacht werden sollten. Keystone / Melanie Duchene

Hausaufgaben haben mit den Schulschliessungen im Zuge der Covid-19-Pandemie eine ganz neue Bedeutung erhalten. Immer wieder experimentieren Schweizer Schulen mit Modellen ohne Hausaufgaben. Sind sie die Zukunft?

Bevor das Coronavirus für Chaos sorgte, stellte eine St. Galler Schule die Schweizer Unterrichtspolitik auf den Kopf. Die Primarschule Feldli-Schoren beschloss vor einigen Monaten, die Hausaugaben für ihre 8- bis 12-jährigen Schülerinnen und Schüler zu streichen. Das Pilotprojekt wurde im Februar auf unbestimmte Zeit verlängert. «Unser Hauptziel ist die Chancengleichheit», sagte Schulleiter Ralf Schäpper damals gegenüber dem St. Galler TagblattExterner Link. «Es existieren grosse Lücken zwischen Familien mit und ohne Bildungsbezug. Hausaufgaben sind ein Stress für all jene Schüler, welche ihre Eltern nicht um Rat oder Hilfe bitten können.»
Die Vorteile seien vielfältig, so Schäpper. «Wenn Kinder nach sieben Stunden Schule nach Hause kommen, sollten sie nicht wieder am Schreibtisch sitzen müssen.» Stattdessen sind an der Feldli-Schoren-Schule nun vier zusätzliche Lernblöcke pro Woche in der Schule vorgesehen, die jeweils 20 bis 30 Minuten dauern und von einer Unterrichtsperson betreut werden. Das erste Feedback war laut Schäpper «überwiegend positiv», und das sowohl von Schülern und Lehrern wie auch von den Eltern. Doch es gebe Eltern, welche das alte System bevorzugten. «Sie wollen wissen, was ihre Kinder in der Schule lernen.»

Die Feldli-Schoren-Schule ist nicht die erste in der Schweiz, welche Hausaufgaben abgeschafft hat. Auch eine Primarschule in KriensExterner Link sowie mehrere in der Region Bern haben in den letzten Jahren diesen Schritt unternommen.

Wer trifft die Entscheidung?

Das Thema ist aber umstritten. Bernhard HauserExterner Link, Erziehungswissenschafter an der Pädagogischen Hochschule St. GallenExterner Link, erklärt warum.

«Viele Kinder und Eltern sind natürlich froh, wenn es keine Hausaufgaben mehr gibt, denn Hausaufgaben bedeuten auch Spannungen zuhause», sagt er gegenüber swissinfo.ch. «Die Ergebnisse der internationalen Lernforschung zeigen jedoch, dass sie wichtig sind. Sie sind ein gutes Mittel, um sicherzustellen, dass die Schulen funktionieren und die Schüler etwas lernen.» Deshalb sei ein Hausaufgaben-Stopp umstritten – nicht zuletzt bei den Eltern. «Einige beschweren sich, weil sie der Meinung sind, dass Hausaufgaben wichtig für die schulische Leistung und die spätere Karriere ihrer Kinder sind.»

Doch wer entscheidet? Bildung liegt in der Verantwortung der Kantone, aber auch lokale Schulbehörden haben Entscheidungsbefugnisse. Hausaufgaben sind per se nicht obligatorisch. Der Lehrplan 21Externer Link für die deutschsprachige Schweiz gibt nur vor, über welche Feiertage keine Hausaufgaben angeordnet werden sollten. Aber er schreibt nicht vor, wie hoch der Arbeitsaufwand fernab des Unterrichts sein soll. Es existieren bloss Richtwerte: Im Kanton St. Gallen seien es für jüngere Primarschüler etwa 30 Minuten pro Woche, sagt Hauser. Für 11- bis 12-Jährige seien es zwei Stunden oder mehr und für die Sekundarstufe I (bis zum 15. Altersjahr) sogar noch mehr.

Hauser befürwortet Hausaufgaben, da sie zur Vertiefung des Lernstoffs beitragen. «Wenn Sie während der gesamten Schulzeit keine Hausaufgaben machen, entspricht das etwa 700 Stunden verlorener Lernzeit», rechnet er vor. Ausserdem helfen Hausaufgaben Kindern dabei, sich selbst zu kontrollieren: Sie müssen etwas tun, das sie nicht unbedingt tun wollen. Das sei eine wichtige Lektion fürs Leben, argumentiert er.

Schwyz schaffte Hausaufgaben 1993 ab

Schule, die keine Hausaufgaben geben, sind in der Schweiz noch selten. Es gibt keine offiziellen Statistiken, aber Hauser schätzt, dass alle 10 bis 20 Jahre eine «Anti-Hausaufgaben-Welle» aufkommt, aber diese bleibe meistens ohne grosse Wirkung. Die Ausnahme bildet der Kanton Schwyz. Dort schaffte die Bildungsdirektion 1993Externer Link die Hausaufgaben ab. Aber die Umstellung hielt nur wenige Jahre: Die Eltern protestierten, und so wurde der Beschluss 1997 rückgängig gemachtExterner Link.

Momentan gebe es keine grosse Welle, sagt Hauser. «Wenn eine Schule beschliesst, die Hausaufgaben abzuschaffen, sorgt dies für viel Gesprächsstoff und die Schule wird von allen Seiten unter die Lupe genommen.» Und es existierten verschiedene Modelle: «Es gibt Schulen, die Hausaufgaben vollständig abschaffen. Andere geben Hausaufgaben, aber die Schüler müssen sie in der Schule abarbeiten.» Dies sei ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite bleibe der Lerngewinn erhalten, auf der anderen Seite verlieren die Schüler Eigenverantwortung und Unabhängigkeit, weil sie in der Schule beaufsichtigt werden», so Hauser.

Über die Sprachgrenze

Und wie sieht es im französischsprachigen Teil der Schweiz aus, der einen eigenen Lehrplan hat? Samuel Rohrbach vom Westschweizer Lehrerverbands SER sagt auf Anfrage, dass das Thema in der Region regelmässig besprochen werde. «Mehrere Kantone, etwa Neuenburg und Jura, haben Richtlinien beschlossen, etwa zur Frage, wie viel Zeit pro Tag für Hausaufgaben aufgewendet werden darf. Die Leute wollen nicht, dass die Schüler zu schwer belastet werden», schreibt Rohrbach in einer E-Mail. 

Die Chancengleichheit sei natürlich ein Thema im Verband, ebenso die Notwendigkeit, den Schülern eine gewisse Autonomie einzuräumen. Vielerorts würden betreute Aufgaben-Blöcke angeboten, in denen Schüler Unterstützung erhalten. Wichtig sei, dass die Hausaufgaben «nicht viel Neues beinhalten, sondern das fortsetzen, was im Unterricht behandelt wurde», ergänzt Rohrbach.

Kurse für Eltern?

Erziehungswissenschaftler Bernhard Hauser hat sich viele Gedanken zum Thema Chancengleichheit gemacht. Er denkt, dass sowohl den Schülern als auch den Eltern geholfen werden könnte. «Die Schüler können mit täglichen Hausaufgaben-Blöcke in der Schule entlastet werden, und pädagogisch benachteiligte Eltern könnten Kurse besuchen, in denen sie lernen, wie sie ihren Kinder bei den Hausaufgaben am besten helfen.» Auf diese Weise könnten all jene Schüler, die gerne zuhause Aufgaben erledigen, das tun, und alle anderen erhielten die nötige Unterstützung. 

Zurück zur Primarschule Feldli-Schoren-Schule bei St. Gallen. Dort soll das Projekt noch vor den Sommerferien evaluiert werden, wie Schulleiter Schäpper gegenüber dem St. Galler Tagblatt Externer Linkerklärte. Momentan sei noch offen, ob es im nächsten Schuljahr Hausaufgaben geben werde oder nicht.

Internationaler Vergleich: Wo am wenigsten gebüffelt wird
Es existieren nur wenige Zahlen und Berichte zu den Hausaufgabengewohnheiten weltweit. Ein Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2014 () gibt zumindest einen Überblick über 15-jährige Schülerinnen und Schüler in 38 Staaten. Gemäss den Zahlen, welche aus einer PISA-Studie von 2012 stammen, betrug der durchschnittliche Zeitaufwand für Hausaufgaben rund fünf Stunden pro Woche. Am wenigsten Hausaufgaben erledigten die Jugendlichen in Finnland und Korea: Drei Stunden pro Woche. Die Schweiz belegte den 11. von 38 Plätzen mit rund 4 Stunden pro Woche. Schüler in Irland, Italien, Kasachstan, Rumänien, Russland und Singapur investierten sieben Stunden oder mehr pro Woche in Hausaufgaben. Der Bericht stellte auch fest, dass in allen PISA-Ländern privilegierte Schüler mehr Zeit für Hausaufgaben aufwendeten als benachteiligte.


(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)

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