Typisch Schweiz: Wie helvetisch sind Sie?
Was charakterisiert den typischen Schweizer? Worüber lacht die typische Schweizerin? Wie muss sich ein Ausländer verhalten, um in der Schweiz als Einheimischer durchzugehen oder zumindest nicht aufzufallen? Der britische Autor Diccon Bewes sucht in seinem neusten Buch "How to be Swiss" nach Antworten. Ein Gespräch.
swissinfo.ch: Ihr neuestes Buch über die Schweiz heisst „How to be Swiss“. Worum geht es?
Diccon Bewes: Eigentlich sollte es ein ernstes Buch werden: eine Anleitung für Ausländer und Ausländerinnen, die den Schweizer Pass erwerben möchten. Es zeigte sich aber bald, dass das unmöglich ist. Denn in der föderalistischen Schweiz gelten für die Einbürgerung in jedem Kanton andere Regeln.
Der Zeichner und ich suchten nach Alternativen und wir begannen, uns spielerisch mit der Frage auseinanderzusetzen, was es mit dem Schweizer-Sein auf sich hat. Wir diskutierten über Verhaltensregeln, Geschichte, Politik und Humor.
swissinfo.ch: An wen richtet sich das Buch?
D.B.: Als wir unser Konzept änderten, erweiterten wir das Zielpublikum: Das Buch soll nicht nur Ausländer ansprechen, sondern auch für Schweizer und Schweizerinnen interessant und lustig sein. Sie sollen Neues über sich und ihr Land erfahren. Kleine Dinge, die einem nicht unbedingt auffallen, weil sie zum Alltag gehören, eben typisch schweizerisch sind.
swissinfo.ch: Sie leben seit fast zwölf Jahren in der Schweiz. Das Land scheint Ihnen zu gefallen.
D.B.: Ich liebe es, hier zu wohnen! Die Schweiz ist meine zweite Heimat. Aber auch Grossbritannien gehört zu meiner Identität. Hier in der Schweiz gefallen mir die Berge und Seen. Aber auch, dass viel Wert auf ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit gelegt wird und alles ein bisschen langsamer und gemütlicher ist.
swissinfo.ch Sie versprechen dem Leser, dass er am Ende Ihres Buches weiss, wie fest er das Schweizer-Sein schon beherrscht. Wie gut können Sie das schon?
D.B.: Ziemlich gut: Ich bin mittlerweile schweizerisch pünktlich, also noch pünktlicher als vorher. So finde ich es nun auch in London störend, wenn ein Zug fünf Minuten Verspätung hat, obwohl das dort normal ist. Meine Freunde in England will ich nun auf schweizerische Art mit drei Wangenküssen begrüssen. Weil mein britisches Gegenüber sich aber nach zwei Küssen jeweils abdreht, küsse ich beim dritten Mal regelmässig ins Leere.
Im Zug frage ich, ob ein Sitz noch frei ist, obwohl offensichtlich niemand da sitzt. Diese kleinen Dinge des schweizerischen Alltags sind heute normal für mich. Ich kann sie nicht mehr einfach abstellen, wenn ich in England auf Besuch bin.
swissinfo.ch: Was bereitet Ihnen Mühe?
D.B.: Schweizer und Schweizerinnen stehen an der Busstation oder in der Bäckerei unglaublich chaotisch herum. Das Wort Warteschlange kennen sie nicht. In England ist es höflich und normal, sich in einer Reihe aufzustellen und so zu warten – sogar dann, wenn man alleine an der Busstation steht!
Mühe habe ich zudem mit der Schweizer Bürokratie: Die Regeln sind in Stein gemeisselt. Wer sie beachtet, kriegt zwar auch etwas dafür. Das ist ein Vorteil dieser Kontrolle. Aber die strikten Regeln hindern die Menschen auch am selber Denken, sie werden unflexibel.
swissinfo.ch: Wie fest schweizerisch möchten Sie überhaupt sein?
D.B.: Im kommenden Jahr kann ich den Schweizer Pass beantragen. Es wird ein langer und teurer Prozess, aber ich freue mich darauf, denn ich möchte gerne am politischen Leben hier teilhaben und abstimmen gehen. Ich werde aber immer einen britischen und einen schweizerischen Teil in mir tragen. Britisch zu fühlen, hindert mich aber nicht daran, auch schweizerisch zu fühlen.
swissinfo.ch: Sie beschreiben die Schweizer und Schweizerinnen als wenig spontan, fremdenfeindlich und aufs Geld fokussiert, aber auch als pünktlich, Regeln respektierend und auf Sauberkeit achtend: Wie kommen Sie darauf?
D.B.: Es handelt sich hier um eine Mischung aus eigener Erfahrung, Gesprächen mit Schweizern und Ausländerinnen und Recherchen. Es gibt Klischees über jedes Land und dessen Bürger. Alle haben etwas Wahres. Gleichzeitig ist es selbstverständlich nicht möglich, die sechs Millionen Schweizer und Schweizerinnen mit einem einzigen Adjektiv zu beschreiben.
«Man muss das Land, über das man schreibt, gut kennen. Ebenso wichtig ist es, eine gewisse emotionale und geografische Distanz dazu zu haben.»
swissinfo.ch: Die Regionen der Schweiz sind schon nur aufgrund ihrer vier Landessprachen sehr verschieden. War es nicht schwierig, für Ihr Buch das typisch Schweizerische herauszuarbeiten?
D.B.: Nein. Es gibt in jedem Land regionale Unterschiede. Mit Blick auf die Schweiz sind sie aber nicht so gross, wie das die Schweizer und Schweizerinnen gerne glauben. Es gehört ein Stück weit zur föderalistischen und direktdemokratischen Identität zu sagen, sie seien anders. Anders auch als ihre Mitbürger aus dem Nachbardorf. Die Sprachunterschiede verstärken das noch. Doch entspricht der Lebensstil eines Lausanners eher dem eines Luzerners als jenem eines Franzosen in Lyon.
swissinfo.ch: Rütlischwur, Wilhelm Tell, Heidi, Sackmesser, Toblerone, Cervelat: Für mich als Schweizerin sind das etwas gar plumpe Stereotypen, die Sie in dem Buch aufzählen.
D.B.: Nein, sie entsprechen dem Schweizerbild im Ausland! Sie können das selber testen und Ausländer fragen, was ihnen spontan zur Schweiz in den Sinn komme. Alle werden Ihnen sofort einer dieser Stereotypen aufzählen. Die Schweiz ist ein kleines Land mit grossem Ruf im Ausland. Zu Bulgarien oder Litauen beispielsweise hätten nicht alle sofort eine Antwort bereit.
swissinfo.ch: Ein Kapitel Ihres Buches widmet sich politischen Themen, darunter dem typisch schweizerischen Partizipationssystem der direkten Demokratie. Inwiefern prägt dieses grosse Mitspracherecht die Schweizer und Schweizerinnen?
D.B.: In der Schweiz können sich die Bürger und Bürgerinnen rund alle vier Monate an der Urne zu mindestens einem Thema äussern. Vor der Abstimmung prägen Plakate das Stadtbild, die Medien berichten über die Abstimmungsthemen. Zwischen zwei Urnengängen sammeln Menschen auf dem Markt Unterschriften für ein politisches Anliegen. Es gibt also immer ein politisches Thema, das die Menschen beschäftigt.
Natürlich diskutieren wir auch in England über das politische Geschehen. Es ist aber nicht vergleichbar mit der Schweiz, wo das Volk sich durch seine Stimme direkt daran beteiligen kann. Niemand kann jammern, man habe nicht nach seiner Meinung gefragt, sei es zu einem lokalen oder globalen Thema. Als Schweizer hat man die Wahl.
swissinfo.ch: «How to be Swiss» ist Ihr fünftes Buch über die Schweiz. Gehen Ihnen nicht langsam die Ideen aus?
D.B.: Noch nicht! Im Moment habe ich zwar noch keine neue Idee. Aber die Schweiz ist sehr interessant und vielseitig.
swissinfo.ch: Wäre es denkbar, dass Sie als Engländer auch ein solches Buch über Briten und Britinnen schreiben oder muss man hierfür Ausländer sein?
Ausländer zu sein, macht es sicher einfacher. Zwar muss man das Land, über das man schreibt, gut kennen. Ebenso wichtig ist es aber, eine gewisse emotionale und geografische Distanz dazu zu haben, um den Blick von aussen auf das Land zu richten. Ich fühle, dass ich noch nicht genügend Distanz zu meiner britischen Heimat habe, um ein Buch mit dem Titel «How to be British» zu schreiben.
Welche typischen Schweizer Eigenschaften kommen Ihnen spontan in den Sinn? Diskutieren Sie Ihre Beispiele mit anderen Lesern in den Kommentaren.
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