Das Schleier-Dilemma spitzt sich zu
Bald stimmt die Schweiz über ein Verhüllungsverbot ab. Gleichzeitig lädt Schweiz Tourismus Stars aus Golfstaaten in die Schweiz, damit sie in ihrer Heimat Werbung für Ferien im Heidi-Land machen. Ein Film beleuchtet das Dilemma.
Touristen aus arabischen Ländern sind wichtige Kunden für den Schweizer Tourismus. Sie lassen sich von den hohen Schweizer Preisen nicht abschrecken, im Gegenteil: Meist kommen sie in grossen Gruppen, sie lieben den Luxus und geben entsprechend viel Geld aus – durchschnittlich 430 Franken pro Tag.
Doch ein Gesichtsschleierverbot könnte dem ein Ende bereiten. Während im Kanton Tessin Niqab und Burka bereits verboten sind, wurde kürzlich eine Volksinitiative für ein landesweites Verbot eingereicht. Viele Frauen aus Bahrain, den Emiraten, dem Oman und Saudi-Arabien tragen einen Gesichtsschleier. Werden sie der Schweiz also bald den Rücken kehren?
Die Filmemacherin Marianne Kägi vom deutschsprachigen Schweizer Fernsehen SRF hat die Frauen direkt gefragt. Im DOK-FilmExterner Link begleitete sie arabische Familien beim Bootfahren, Gleitschirmspringen, Klettern und Spazieren in der Schweiz.
swissinfo.ch: Wie sind Sie an die verschleierten Frauen herangekommen? Das war bestimmt nicht ganz einfach.
Marianne Kägi: Ja, es war nicht einfach. Eigentlich hätten wir gerne im Voraus mit Frauen abgemacht. Aber das funktionierte nicht. Wir merkten, dass arabische Touristen sehr spontan sind und gar nicht so Pläne haben wie wir, wo es in die Ferien hingeht. Deshalb sind wir mit einem Übersetzer an beliebte Touristenorte gegangen und haben es versucht, und versucht und versucht.
swissinfo.ch: Es brauchte also viele Anläufe?
M.K.: Ja, es haben viele abgewunken. Aber einige haben zum Glück etwas gesagt.
swissinfo.ch: Was sind das für Soap Operas, die in der Schweiz spielen? Wovon handeln die Geschichten und wie wird die Schweiz dargestellt?
M.K.: Es sind mehrteilige Liebesgeschichten, mit teils verzwickter Handlung. Zum Beispiel: Ein arabisches Ehepaar reist in die Schweiz, der Ehemann nimmt aber seine Geliebte mit und zirkelt zwischen den beiden Frauen hin und her.
swissinfo.ch: Und wer siegt am Schluss?
M.K. (lacht): Ich glaube, es ist die Ehefrau.
swissinfo.ch: Spielt die Schweiz in der Soap eine Rolle oder ist sie bloss Kulisse?
M.K.: Ein grosser Teil der Soap Opera spielt in der Schweiz, zum Beispiel in Interlaken und Thun. Man sieht, in welchem Hotel oder Restaurant man ist. Die Schweiz ist sehr präsent.
swissinfo.ch: Das ist auch so gewollt von Schweiz Tourismus.
M.K.: Genau. Der Zuständige von Interlaken Tourismus sagt ja im Film, ihnen sei wichtig, diese Landschaftsbilder der Schweiz im arabischen Raum zu verbreiten. Laut Experten von Schweiz Tourismus ist das eine der effizientesten Werbemethoden. Denn die Liebesgeschichten sprechen die Frauen an, und offenbar entscheiden die Frauen, wo es in die Ferien hingeht.
swissinfo.ch: Österreich verbietet ab Oktober den Gesichtsschleier. Wird die Schweiz davon profitieren, weil mehr arabische Touristen in die Schweiz ausweichen?
M.K.: Das kann ich nicht einschätzen. Manche Touristiker sagen, es werde riesige Einbussen geben. Andere sagen, dass dafür andere Touristen kommen werden, die vorher durch die arabischen Touristen abgeschreckt wurden.
swissinfo.ch: Aber was haben Ihnen die arabischen Touristen vor Ort gesagt?
M.K.: Bei den Verhüllten gab es nur eine Frau, die gesagt hat, sie könne sich vorstellen, auch ohne Schleier wiederzukommen.
swissinfo.ch: Das heisst, wenn in der Schweiz das nationale Verhüllungsverbot vom Stimmvolk angenommen würde, kämen deutlich weniger arabische Touristen zu uns?
M.K.: Auch hier gibt es verschiedene Meinungen. Im Kanton Tessin waren die Auswirkungen nicht dramatisch. Allerdings sind Deutschschweizer die wichtigsten Touristen für das Tessin, die arabischen Touristen sind eine sehr kleine Gruppe. Deshalb sagen manche hinter vorgehaltener Hand, dass die Einbussen nicht so schlimm sind.
swissinfo.ch: Was denken Sie persönlich über das Thema?
M.K.: Es ist nicht wichtig, was ich finde. Ich bin Dokumentarfilmerin. Schön ist, wenn meine Filme eine Debatte auslösen und ich die Menschen dazu bringen kann, über das Thema nachzudenken.
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