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Cancellara: Ich fahre Rad, um zu gewinnen

Fabian Cancellara vor dem Strassenrennen an der WM in Mendrisio, in dem er als 5. die Medaillen knapp verpasste. Keystone

Fabian Cancellara erhält im Strassenrennen von Peking 2008 nachträglich Silber. Für ihn ändere sich nur die Farbe der Olympiamedaille, wichtiger sind ihm die Emotionen auf dem Podium, sagt der Radweltmeister im Gespräch mit swissinfo.ch

An den Olympischen Spielen von Peking 2008 gewann der Schweizer Fabian Cancellara Bronze im 245 Kilometer langen Strassenrennen. Letzte Woche rückte er nachträglich auf den Silber-Rang vor, weil der damals zweitplazierte Italiener Davide Rebellin wegen Doping disqualifiziert wurde.

«Für mich war bereits die Bronze schon golden», sagt Cancellara. «Wird jetzt daraus noch Silber, wäre das wunderschön. Doch muss ich zuerst ganz offiziell informiert werden, um sicher etwas dazu sagen zu können.»

Cancellara hatte in Peking auch Gold im Zeitfahren gewonnen. Nun denkt er darüber nach, den Stundenweltrekord zu brechen. Im Gespräch mit swissinfo.ch sagt der Olympiasieger auch, weshalb er nie mogeln würde, und wie schön es sei, ein Rennen zuhause zu gewinnen und was seine wirksamste Waffe sei.

Zur Zeit jedoch, meint der 28-Jährige aus Ittigen bei Bern, könne er sich vom Training etwas erholen. Doch dies wird sich schon bald wieder ändern, das erste Trainingslager an der Sonne ist nicht mehr fern.

swissinfo.ch: Ist das die Jahreszeit, in der Fabian Cancellara auf der Couch sitzt, Glace isst und Kilos anspeckt?

Fabian Cancellara: Ich sitze nicht auf der Couch, ich lege mich hin. Leider nicht allzu lange. Während der ganzen Saison sitze ich auf dem Rad, aber ich habe eine Familie und trage mehr Verantwortung, als nur in die Pedalen zu treten.

Ein gewisses Gleichgewicht zu finden gehört auch zu meinen Aufgaben. Ich weiss, wenn es Zeit ist, mich auf etwas zu konzentrieren, und ich kenne den Zeitpunkt, auch wieder loszulassen. Ich war jetzt rund fünf Wochen nicht mehr im Sattel.

swissinfo.ch: Wie lange dauert es, bis Sie wieder in Top-Form sind?

F.C.: Ich habe bereits mit Lauftraining begonnen, gehe ins Fitness-Studio und fahre mit meinem Mountainbike. Heute war ich drei Stunden auf der Strasse. Das war am Anfang ziemlich hart.

Das wichtigste beim Start eines neuen Saisonaufbaus ist, das Feuer in sich zu spüren. Ist dieses vorhanden, fällt es einem nicht so schwer, raus zu gehen und auch bei schlechtem Wetter zu fahren. Aber im Moment ist das Feuer noch nicht stark genug, um eine Rakete zu zünden.

swissinfo.ch: Welches Rennen werden Sie als erstes bestreiten ?

F.C.: Ich habe den Schwerpunkt wie jedes Jahr auf den Frühling gelegt. Ich kann aber noch nicht sagen, welchen Weg ich einschlagen werde. Ich habe das Rennprogramm noch nicht gesehen. Aber ich werde sicher an einigen Schönwetter-Rennen und Klassikern (Mailand-San Remo oder Paris-Roubaix) mitfahren.

Bis dahin gibt es viel zu tun. Letztes Jahr hatte ich am Anfang grosse Probleme. Ich war krank, stürzte, konnte meine Form nicht finden und hatte technische Probleme. All das warf mich zurück. Von körperlichen Anstrengungen kann man sich leichter erholen als von psychischen.

swissinfo.ch: Wie steht es mit dem Stundenweltrekord? Viele Leute glauben, Sie schaffen die 50km-Barriere.

F.C.: Das habe ich schon oft gehört [der aktuelle Rekord liegt bei 49,7km, aufgestellt 2005 vom Tschechen Ondřej Sosenka]. Natürlich reizt mich das, aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Um so etwas zu realisieren, braucht es ein Spezial-Programm. Dafür bin ich nicht bereit. Wo und wann es geschehen wird, hängt von vielen Dingen ab.

swissinfo.ch: Eine grosse Neuigkeit ist, dass Sie Ihre Olympia-Bronzemedaille gegen Silber eintauschen können. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie in der Rangliste nach oben geklettert sind, weil jemand des Dopings überführt wurde.

F.C.: Sie meinen die Tour de France. Klar, wenn alles offiziell ist, bin ich glücklich. Wichtiger als die Medaille sind aber wahrscheinlich die Emotionen. Wenn ich bei der Tour de France auf dem Podium stehe oder die Weltmeisterschaft im eigenen Land gewinne, ist dies das Grösste. Für mich war die Bronzemedaille bereits Gold. Ich kann nicht noch mehr stolz darauf sein.

swissinfo.ch: Wie fühlen Sie sich als Radprofi, wenn Konkurrenten betrügen?

F.C.: Es ist nicht fair. Jeder arbeitet hart und gibt sein Bestes. Aber es ist wie überall im Leben: Man findet immer Leute, die betrügen. Man muss ehrlich zu sich selbst sein und zufrieden mit dem, was man macht. Es ist besser aufzuhören, als zu betrügen. Betrügen ist die unfairste Sache, die man seinen Konkurrenten antun kann.

swissinfo.ch: Sind Sie auch schon einmal in Versuchung gebracht worden? Wenn Menschen um Sie herum dopen,…

F.C.: Ich weiss, es ist hart, aber ich versuche, mein Bestes zu geben und die positive und bessere Seite des Radsportes zu zeigen. Der Radsport bessert sich allmählich. Es gibt jetzt eine Vielzahl von Kontrollen, das System funktioniert – und das ist gut!

Ich bin ein Vorbild für viele Menschen – 365 Tage pro Jahr. Ich bin immer ein Vorbild, wenn ich zuhause bin oder einkaufe oder was auch immer: die Menschen schauen immer auf mich. Als Spitzensportler ist man eine Person des öffentlichen Lebens. Kinder und Sponsoren, alle schauen auf mich.

swissinfo.ch: Ich habe gelesen, Lance Armstrong habe ein ungewöhnlich grosses Herz, das grössere Mengen Blut in seine Muskeln pumpt. Haben auch Sie physiologische Vorteile?

F.C.: Ich habe grosse Lungen und starke Muskeln. Was aber wirklich zählt, ist der Wille. Jeder Mensch hat Talent zum Radfahren. Aber reicht Talent ohne Willen, um wirklich gut zu sein? Ich glaube nicht. Fragen Sie Radrennfahrer, was für Ziele sie haben oder weshalb sie Rennen fahren. Ich fahre Rad, um zu gewinnen.

Tim Neville, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle und Etienne Strebel)

Winter-Trainingspläne «Ich werde in einem Trainingslager in Fuerteventura [Kanarische Inseln] sein, wo es warm ist. Ich kann es kaum erwarten, dort zu trainieren. Aber ich muss bis dann in guter Form sein.»

Welches Rennen will er gewinnen?: «Die Flandern-Rundfahrt [ein klassisches Frühjahrsrennen]. Im Moment kann ich jedoch noch nicht sagen, ich möchte dieses oder jenes gewinnen. Ich brauche ein wenig mehr Zeit.»

das neue Olympiasilber: «Ich habe das auch aus den Nachrichten erfahren. Bis jetzt habe ich keine offizielle Mitteilung erhalten. Alles herauszufinden ist ein grosses Stück Arbeit.»

Die mentale Seite des Radsports:«Du hast den Motor, deine Beine und dann das Hirn, den Chip. Ohne Kopf kannst Du nicht richtig in die Pedale treten. Ohne diesen Fokus wirst Du nie ein guter Radrennfahrer.»

seinen Ruf als schlechter Kletter:«Ich kann nicht viel mehr tun. Ich müsste mich besser entwickeln. Aber man kann nicht alles haben und ich bin mit dem was ich bisher erreicht habe, zufrieden. Bergstrecken wird nie meine Lieblingsdisziplin werden.»

Zeitfahr-WM in Mendrisio
Zeitfahren Vuelta in Spanien
Tour de Suisse, Gesamtklassement
Tour de France, Prolog (7 Tage im gelben Trikot)
Tour of California, Prolog

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