Chilenische Kinder entdecken die Schweiz
Unter dem Motto "die Euro 2008 geht in die Schule" organisierte die Schweizer Botschaft in 100 Schulen in Chile mit ebenso vielen Freiwilligen interaktive Vorträge für 9- bis 12-jährige Primarschüler über die Schweiz und die Euro 2008.
Mit dem Aufhänger der EM sollte die Schweiz in einem Land von Fussballfans am anderen Ende der Welt besser bekannt gemacht werden. Als Preis erhielt jede Schule einen offiziellen Fussball der EM.
Im Armenviertel «La Bandera» im Süden Santiagos mit seinen ärmlichen Häusern, engen Strassen und eintönigen Wohnblöcken sticht die Schule «Arturo Matte Larraín» hervor. In diese gehen 1200 Primarschüler mit 45 Kindern pro Klasse.
Sie gehört zu einem Netz von 17 Schulen für rund 20’000 Schüler einer Stiftung der politisch und wirtschaftlich einflussreichen Familie Matte Larraín. 1856 gegründet, will die Stiftung Kindern minderbemittelter Familien mit guter Schulbildung eine bessere Zukunft ermöglichen.
Vulkane in den Schweizer Bergen?
45 Viertklässler hatten bei unserem Besuch Mühe, nicht auf den Stühlen rumzurutschen. Sie wollten wissen, ob es in den Schweizer Alpen auch Vulkane gebe. Der Klassenlehrer hatte sie bestens vorbereitet. Sie wussten, dass der Name der Schweizer Hauptstadt laut Legende von «Oso» («Bär») abstammt.
Und Wilhelm Tell hätte mit dem zweiten Pfeil den König ermordet, hätte er anstelle des Apfels seinen eigenen Sohn getroffen. Problemlos errieten sie, was «Grüezi mitenand, wie geit’s» auf Spanisch heissen könnte.
Zusammen mit Klassenlehrer Waldo Vila veranstaltete swissinfo unter den Kindern einen Wettbewerb. Eine Woche hatten sie Zeit, um zusätzlich zu den Hausaufgaben ein Dossier über die Schweiz und die Euro 2008 zusammenzustellen. Als erster Preis winkte der begehrte Fussball, weitere Preise stellte die Botschaft zur Verfügung.
Pünktlich nach einer Woche erhielt swissinfo 35 Dossiers. Nur zehn Schüler zeigten kein Interesse. Die beste Arbeit auszuwählen, war eine Qual der Wahl. Zwar wiederholten einige in Schönschrift die üblichen Klischees.
Mehrmals war zu lesen, dass Chile in die Schweiz nebst Kupfer, Wein und Obst auch gefrorenes Kaninchenfleisch, Johanniskraut, Algen, lebende Würmer und Bienenköniginnen exportiert.
Mit Kreditkarte Wohnung kaufen
Andere formulierten das neue Wissen in eigene Sätze oder vertieften sich sogar in die Schweizer Geschichte seit dem Rütlischwur.
Juan Carlos fand heraus, dass die Schweizer Fahne die einzige quadratische der Welt ist und Ende des 19. Jahrhunderts Schweizer nach Chile auswanderten. Ein anderer Schüler wusste von seinem Onkel, dass die Schweiz nach dem Militärputsch chilenische Flüchtlinge aufnahm.
Axel schrieb: «In der Schweiz kann man sich mit der Kreditkarte eine Wohnung und ein Auto kaufen. In Chile reicht das Geld nur fürs Essen und die Strom- und Wasserrechnung. Mit Glück kann man sich noch einen Fernseher, eine Waschmaschine und einen Kühlschrank leisten.»
Jacob fiel auf: «In der Schweiz wird fast der ganze Abfall wiederverwertet. Die Abfallsäcke mit Etiketten warten wie Soldaten in Achtungsstellung auf die Abfuhr. Hier hängt man den Abfall in Plastiksäcken vom Supermarkt ans Gartentor und Hunde und ‹Lumpensammler› wühlen darin.»
Leonardo möchte wie die Schweizer Schüler ohne Uniform zur Schule gehen. Lissette gefallen die richtigen Kerzen am echten Weihnachtsbaum besser als die hiesigen Glühbirnchen. Ignacia Andrea wünschte der Schweizer Nationalmannschaft viel Glück an der EM.
Halstuch mit Edelweiss
Einen Tag nach dem Abschluss der EM kommt es zur Preisverleihung: Constanza erhält den Preis für die beste Zeichnung und bestaunt das Halstuch mit den aufgedruckten Edelweiss-Blüten.
Juan Carlos erhält den zweiten Preis und ist mit einem Jockey, Mauspad und Schweizer Abzeichen überglücklich.
Ebenso hätte es der erste sein können, denn das Pflichtsoll übertraf er um mehr als das Doppelte. Er fand sogar eine Foto mit dem Berner Kellertheater «Katakömbli», auf Spanisch «catacumbita».
Cristian will hoch hinaus, vielleicht einmal an die Universität. Nebst Bibliographie wie für eine Seminararbeit schrieb er: «Wie in der Schweiz gibt es auch in Chile verschiedene Kulturen und werden mehrere Sprachen gesprochen: diejenigen der indigenen Völker.» Doch bei der Übergabe des Euro-Fussballs bringt er vor lauter Aufregung kaum ein Wort heraus.
Vier Schüler mit Lernproblemen, so das irakische Flüchtlingskind Salem Nassir, das noch schlecht Spanisch versteht, versprechen swissinfo, ihre Arbeit vor den Winterferien zu ergänzen. Sie werden einen Extrapreis erhalten.
Die Trostpreise wie Posters, Briefmarken und Toblerönli verschwinden im Nu. Die Kinder werden «Suiza» nie mehr mit «Suecia» und «Austria» nie mehr mit «Australia» verwechseln.
Sie wissen, dass sie wohl kaum je in die Schweiz reisen werden. Doch allzu gern möchten sie Kontakt zu einer Schweizer Schule aufnehmen. Inzwischen sagen wir «hasta luego» und «uf widerluege».
swissinfo, Regula Ochsenbein, Santiago de Chile
Unter dem Motto «Die Euro 2008 geht in die Schule» organisierte die Botschaft verschiedene Anlässe:
100 Freiwillige, in Chile lebende Schweizer und der Schweiz verbundene Chilenen, zeigten in 100 Schulen von der chilenisch-peruanischen Grenze bis zur Meeresstrasse von Magellan eine Tonbildschau über die Schweiz und die Euro 2008, verteilten Dokumentations-Material und den offiziellen Fussball der EM.
Die Kampagne startete mit Erfolg auf der Osterinsel.
Die meisten Fussbälle wurden in Schulen Gross-Santiagos und im Süden des Landes verteilt, wo viele Nachkommen von Schweizer Siedlern wohnen, die Ende 19. Jhd. nach Chile auswanderten.
Im Mai vertraten 16 Schulen Santiagos in einem Fussballturnier die 16 Länder der «Eurocopa». Die Schweizer Schule kam bis ins Viertelfinale, wo sie gegen die Vertreter Russlands verlor.
In der Schweizer Schule schauten sich 600 Fans auf einem Riesenbildschirm das Eröffnungsspiel an und blieben auch bei bester Stimmung, als die Schweiz 1:0 gegen Tschechien verlor.
swissinfo ging in eine Schule in einem Armenviertel Santiagos und überzeugte 45 Schüler der 4. Primarklasse, eine Arbeit über die Schweiz und die Euro 2008 zu schreiben.
Zusätzlich zum begehrten Fussball stellte die Botschaft weitere Preise wie Jockeys und Mauspads mit dem Schweizer Kreuz zur Verfügung.
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