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Tessiner Wirtschaft atmet auf – vorerst

Patrouille von Polizei und Militär in einer Stadt Italiens
Die Entscheidung der Regierung Italiens macht viele der 60 Millionen Menschen zu einer Art Gefangenen in ihren Heimen. Keystone / Mourad Balti Touati

Nach dem Entscheid der italienischen Regierung, ganz Italien zur Corona-Schutzzone zu erklären, geht im Tessin die Befürchtung um, dass die Wirtschaft des Kantons zum Stillstand kommen könnte.

Es waren einschneidende Massnahmen, die Italiens Premierminister Giuseppe Conte in der Nacht seinen Landsleuten verkündet hat: Im Kampf gegen die weitere Ausbreitung des Covid-19 herrschen im ganzen Land strikte Reisebeschränkungen und ein Versammlungsverbot.

Das heisst: Unterwegs darf nur noch sein, wer zur Arbeit geht sowie in Notfällen. Mit anderen Worten: In Italien ist das gesamte öffentliche Leben auf Eis gelegt – es ist das erste Land, das sich sozusagen in der Corona-Starre befindet.

Die Folgen betreffen auch die Schweiz als Nachbarland. Rund 68’000 Menschen queren täglich die Grenze, um in der Schweiz zu arbeiten.

Dazu kommt ein reger Freizeitverkehr über die Grenzen, locken doch sowohl Mailand als auch die Schweiz mit besonderen Angeboten punkto Shopping, Kulinarik und Kultur.

Die Wirtschaft des Südschweizer Kantons ist in Bezug auf Arbeit und Austausch stark von der italienischen Nachbarsregion abhängig. Da liegt es auf der Hand, dass die drastischen Massnahmen in Italien im Tessin Sorgen auslösen.

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Coronavirus: Die Situation in der Schweiz

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Warum wir bis auf Weiteres keine wöchentlichen Meldungen mehr zu den Infektionen mit dem Coronavirus publizieren.

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Am Sonntagmorgen wachten in Norditalien rund 16 Millionen Menschen mit der Nachricht auf, dass ein Grossteil des nördlichen Landesteils praktisch abgeriegelt sei.

Bis Dienstagmorgen hatte die italienische Regierung die Massnahmen auf das ganze Land ausgedehnt. Betroffen sind nun 60 Millionen Menschen. Die Behörden befahlen ihnen, das Haus nur für die Arbeit und in Notfällen zu verlassen. Öffentliche Veranstaltungen sind verboten. Darunter fallen auch Fussballspiele – ein Heiligtum im Land des Weltmeisters von 2006.

Die einschneidenden Massnahmen sind der Versuch der Regierung, den Ausbruch des Coronavirus einzudämmen. Bisher wurde das Virus bei über 9000 Infizierten nachgewiesen, über 400 Menschen sind daran gestorben. Es sind dies die meisten Todesfälle ausserhalb von China. Inzwischen wurde das Virus mit der offiziellen Bezeichnung Covid-19 in allen 20 Regionen festgestellt.

Die ersten bekannten Infektionen mit dem Coronavirus in der Schweiz traten in der Südschweiz auf, die an Italien grenzt. Seither hat sich das neue Coronavirus auch im Norden der Schweiz ausgebreitet. Das Tessin aber bleibt der am stärksten betroffene Kanton.

Am Dienstag gaben die Tessiner Behörden den ersten Todesfall durch das Coronavirus im Kanton bekannt. Betroffen war eine 80-jährige Bewohnerin eines Altersheims. Laut den Informationen hatte sie bereits an anderen Beschwerden gelitten.

Die italienischen Beschränkungen werden voraussichtlich mindestens bis zum 3. April in Kraft bleiben. Die italienischen Behörden gaben an, dass sich niemand in oder aus diesen Gebieten oder innerhalb dieser Gebiete bewegen darf. Ausnahmen sind Arbeit – sie muss mit Dokumenten nachgewiesen werden – Notfälle oder gesundheitliche Probleme.

Der Nachweis der Arbeit gilt auch für die knapp 70’000 so genannten Frontalieri, die täglich in die Schweiz kommen. Sie müssen das Dokument am Zoll vorweisen können. Die Eidgenössische Zollverwaltung hat verstärkte Kontrollen angekündigt.

Das heisst, dass die italienischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger weiter in die Schweiz zur Arbeit kommen können. Der Entscheid sorgte insbesondere im Tessiner Gesundheitswesen für Erleichterung. «Dies sollte das weitere Funktionieren des Tessiner Gesundheitssystems sicherstellen», hiess es in einer Erklärung der Schweizer Regierung. In diesem Sektor sind an die 4000 Italienerinnen und Italiener beschäftigt.

Noch unklar dagegen sind die Auswirkungen auf italienische Studentinnen und Studenten, die an der Universität und an der Hochschule für Architektur im Tessin und anderswo in der Schweiz immatrikuliert sind. Die Tessiner Uni hat die Studierenden aus dem Nachbarland gebeten, den Campussen in Lugano und Mendrisio fernzubleiben.

Bern hat die Schweizer Bürger aufgefordert, den Besuch von Gebieten in Norditalien zu vermeiden. Aber die Grenze bleibt für den Austausch mit Gütern offen, und die internationalen Züge verkehren weitgehend fahrplanmässig. Die Beschneidung der Bewegungsfreiheit gilt also nicht für den italienischen Zugverkehr.

Andere Länder haben Reiseempfehlungen herausgegeben, in denen ihren Bürgern geraten wird, nicht in die betroffenen Gebiete zu reisen.

Es gebe von der Schweizer Regierung keine Pläne für eine vollständige Schliessung der Grenze zu Italien, erklärte Innenminister Alain Berset am öffentlichen Rundfunk der Südschweiz (RSI). Angesichts der enormen Bedeutung der Frontalieri für die Tessiner Wirtschaft wurde die Äusserung des Bundesrats mit Erleichterung aufgenommen. Im Kanton Tessin ist jeder vierte Arbeitsplatz von Italienern oder einer Italienerin besetzt.

Eine vom SonntagsBlick am Wochenende veröffentlichte öffentliche Umfrage ergab, dass in der Schweiz jede vierte Person die Schliessung der Grenze zu Italien wegen der Coronavirus-Epidemie wünscht.

Die Tessiner Regierung hat besondere Massnahmen zum Schutz jener getroffen, die zur Gruppe mit den höchsten Risiken zählen – den älteren Menschen. Ab heute sind für Angehörige Besuche in Krankenhäusern und Altersheimen untersagt. Ziel dieser Massnahme ist es auch, die Ressourcen der Krankenhäuser zu schützen.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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