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«Die ganze Welt schreit nach unseren Beatmungsgeräten»

Beatmungsgeräte gehören zu den Produkten, die für Tausende Menschen über Leben und Tod entscheiden. Weltweiter Marktführer ist die Schweizer Firma Hamilton. Sie unternimmt alles Mögliche, um den Bedarf wenigstens dort zu decken, wo die Not am grössten ist, sagt der CEO.


Beatmungsgeräte können nicht nur Leben retten, sondern auch Schmerzen lindern. Hamilton, Bonaduz

Das Medizinal-Unternehmen Hamilton Bonaduz AG im Kanton Graubünden produziert Beatmungsgeräte, die in Spitälern auf der Intensivstation zum Einsatz kommen. Besonders die neueste Generation dieser Geräte war schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie weltweit gefragt. Aber nun explodiert die Nachfrage förmlich. Obwohl die Bündner Firma alles unternimmt, um die Kapazitäten zu erhöhen, könne sie den Bedarf nicht decken, sagt CEO Andreas Wieland gegenüber swissinfo.ch.

swissinfo.ch: Um wie viel ist die Nachfrage wegen des Corona-Virus gestiegen?

A.W.: Unsere Firma war schon vor der Pandemie sehr stark gewachsen. Im letzten Jahr um rund 20%, im Vorletzten Jahr um rund 30%. Aber jetzt ist die Nachfrage noch enorm viel höher. Die ganze Welt schreit nach den Geräten.  

Andreas Wieland
Andreas Wieland, CEO der Hamilton Bonaduz AG. Keystone / Gian Ehrenzeller

swissinfo.ch: Wie viele Geräte produzierten Sie vor Beginn der Pandemie und wie viele könnten Sie jetzt verkaufen?

A.W.:  Wir könnten jetzt in einem Monat so viel verkaufen, wie wir im ganzen letzten Jahr umgesetzt haben, nämlich zwischen 1500 und 2000 Geräten.

swissinfo.ch: Was sind die besonderen Leistungen Ihres Geräts?

Andreas Wieland: Die neue Generation dieser Geräte hat eine sogenannte Closed-Loop Ventilation. Das heisst, dass man dem Patienten fast nur noch die Maske aufsetzen oder ihn intubieren muss. Und dann macht das Gerät vollautomatisch alles Notwendige aufgrund des Drucks, des Volumens, der Lungenmechanik und anderer Parameter, die zum Beispiel Herz- und Lungenfunktionen messen.

Dadurch wird der Arzt davon entlastet, immer wieder zu überprüfen, ob das Gerät richtig eingestellt ist oder ob nachjustiert werden muss.

Und es sorgt für zusätzliche Sicherheit vor allem in Ländern, wo das Know-how des medizinischen Personals nicht dem Niveau hierzulande entspricht.

«Wir arbeiten Tag und Nacht, auch Samstag und Sonntag.» 

swissinfo.ch: An den Folgen dieser Virus-Erkrankung zu sterben, ist ja – entgegen weit verbreiteter falscher Annahmen – sehr qualvoll. Die Patienten schlafen nicht einfach friedlich ein, wenn sie keine Beatmungsgeräte haben?

A.W.:  Nein. Dieses Virus verursacht in der Lunge so viel Schleim, dass der Patient langsam daran erstickt. Wenn die Patienten intubiert und beatmet werden, kann man viele von ihnen retten, aber natürlich nicht alle.

swissinfo.ch: Wie gehen Sie damit um, dass Menschen sterben, weil Sie nicht genügend lebensrettende Geräte produzieren können?

A.W.: Wir sind uns dessen voll bewusst und arbeiten Tag und Nacht, auch Samstag und Sonntag. Ich habe jetzt beim Kanton beantragt, dass wir für Sonntagsarbeit eine Bewilligung erhalten.

Die Hamilton Bonaduz AGExterner Link ist auf dem Gebiet der Medizinaltechnik, wie Laborautomation oder Sensorik tätig, Bei der Entwicklung und Produktion von Beatmungsgeräten ist sie weltweit auf den meisten Märkten Marktführerin.  Entwicklung und Produktion finden ausschliesslich in Graubünden statt. Die Firma beschäftigt in Bonaduz insgesamt rund 1400 Mitarbeitende. Allein für die Produktion der Beatmungsgeräte sind rund 500 tätig. Ein Beatmungsgerät der jüngsten Generation kostet rund 60’000 Franken.

swissinfo.ch: Können Sie kurzfristig zusätzliche Mitarbeitende anstellen?

A.W.: Wir versuchen, geeignete Mitarbeitende von Betrieben einzuschulen, die wegen des Coronavirus Kurzarbeit verfügen mussten. 

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swissinfo.ch: Um wie viel können Sie die Produktion kurzfristig erhöhen?

A.W.: Vor der Pandemie rechneten wir mit einer Verkaufssteigerung von 20%. Aber nun erhöhen wir die Produktion um weitere 50%.

swissinfo.ch: Und die Zulieferer?

A.W.: Es wird zunehmend schwieriger. Wenn jedes Land für sich selbst schaut, hat dies auch einen Einfluss auf die Lieferung unserer Bauteile.

Die rumänischen Behörden haben zum Beispiel einen Teil unserer Geräte als «Medical Device» taxiert und verhindern dessen Export in die Schweiz. Wir bemühen uns, ihnen zu erklären, dass sie mit diesen Bauteilen niemanden beatmen können.

«Wir versuchen, dorthin zu liefern, wo die Not am grössten ist.» 

swissinfo.ch: Liefert die Hamilton Bonaduz AG nach wie vor ins Ausland?

A.W.: Wir beliefern das Inland und das Ausland. In der Schweiz führen wir derzeit Gespräche mit einigen Spitälern, mit Universitätsspitälern, mit sehr vielen Gesundheitsämtern, mit der Armee, um deren Bedarf nach Möglichkeit aufzurüsten.

swissinfo.ch: Aber wer erhält Ihre Geräte noch, und wen müssen sie abweisen?

A.W.: Wir versuchen, dorthin zu liefern, wo die Not am grössten ist.

swissinfo.ch: Was heisst das konkret?

A.W.: Ein Beispiel: Die US-Armee hat eine riesige Menge bestellt. Aber wir liefern ihnen nicht alles. Wir stellen fest, dass Italien das grössere Problem hat. Entsprechend setzen wir unsere Prioritäten.

swissinfo.ch: Mussten Sie im Inland Spitäler enttäuschen, die dringend mehr Geräte brauchen würden?

A.W.: Nein. Einige sind zwar enttäuscht, aber nicht, weil sie in einem Notstand wären. Ein Beispiel: Wenn ein kleines Spital in der Region zehn Geräte bestellt, aber uns bekannt ist, dass sie nur drei Intensiv-Pflegeplätze haben, kriegen sie nur drei Geräte. Denn es braucht für die Geräte auch geschultes Personal und eine entsprechende Infrastruktur.

«Uns sind die Menschen in Italien auch sehr wichtig, deshalb unternehmen wir alles, um sie zu versorgen.»

swissinfo.ch: Rechnen Sie damit, dass sich die Lage auch hierzulande so dramatisch zuspitzt, dass es nicht genügend Geräte gibt für alle Patienten, die darauf angewiesen wären?

A.W.: In der Schweiz gibt es derzeit rund 1000 bis 1200 Geräte insgesamt. Ich gehe davon aus, dass dies niemals ausreichen wird, wenn die Pandemie so heftig kommt wie in Italien.

swissinfo.ch: Wie steht es denn mit Ihren Lieferungen nach Italien. Haben Sie genügend Geräte für die Patienten dort, die darauf angewiesen sind?

A.W.: Uns sind die Menschen in Italien auch sehr wichtig, deshalb unternehmen wir alles, um sie zu versorgen.

swissinfo.ch: Sind in Italien jetzt schon Patienten gestorben, die man mit Ihren Geräten hätte retten können?

A.W.: Wir haben keine Chance den enormen Bedarf in Italien zu decken. Mir ist bekannt, dass sehr viele – vor allem ältere Menschen – sterben, die nicht mehr versorgt werden konnten. Das Gesundheitspersonal hat zum Teil sogar keine Schutzmasken mehr.

swissinfo.ch: Deutschland hat Weisungen erlassen, wonach die inländischen Produzenten Schutzmaterial nicht mehr exportieren dürfe. Wie würden Sie reagieren, wenn die Schweizer Regierung auf die gleiche Idee käme?

A.W.: Der Bundesrat könnte uns den Export gestützt auf das Notrecht verbieten. Aber dann würden wir auf die Barrikaden steigen. Wenn man uns unsere Arbeit machen lässt und uns dabei unterstützt, werden wir alles tun, um für die Schweiz genügend Material zu bekommen.

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