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Pandemie stürzt Geringverdienende ins Prekariat

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© Keystone / Gaetan Bally

Die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus sind eine Belastung für die Schweizer Wirtschaft und Arbeitnehmende. Für viele Menschen wird es schwieriger, über die Runden zu kommen. Hélène und Frédéric erzählen, wie sie versuchen, mit ihren finanziellen Schwierigkeiten fertig zu werden.

In der Schweiz leben 660’000 Menschen unter der ArmutsgrenzeExterner Link, das entspricht 7,9% der Bevölkerung. Von diesen sind 3,7 % berufstätig.

Die Pandemie brachte zunächst Menschen in Schwierigkeiten, die ihren Arbeitsplatz verloren. Doch inzwischen haben auch Arbeitnehmende mit niedrigem Einkommen zu kämpfen, um ihre Rechnungen zu bezahlen.

Selbstständige, Fabrikarbeitende, Teilzeitbeschäftigte: Sie sind die ersten, die unter den Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie leiden. Und je länger die Krise andauert, desto grösser ist die Gefahr, ins Prekariat abzugleiten.

Mit einem durchschnittlichen Vermögen von 598’410 US-Dollar pro Erwachsenen waren die Schweizerinnen und Schweizer laut Global Wealth Report der Credit SuisseExterner Link Ende 2019 die Reichsten der Welt. An zweiter Stelle lag Hongkong mit einem durchschnittlichen Vermögen von 518’810 Dollar, gefolgt von den USA und Australien.

Zwischen 2015 und 2018 waren jedoch 20,6% der Schweizer Wohnbevölkerung mindestens einmal von Armut bedroht, so das Bundesamt für StatistikExterner Link. Der europäische Durchschnitt liegt bei 27,8%.

Laut CaritasExterner Link gehört Armut nicht zu den Prioritäten der Schweizer Behörden, weil die betroffenen Menschen unsichtbar sind und sich kein Gehör verschaffen können. Schätzungsweise 30% der Menschen, die Anspruch auf Sozialhilfe hätten, nehmen diese laut der Wohlfahrtsorganisation nicht in Anspruch.

Frederic* ist 50 Jahre alt und hat ein Kind, für das er sorgen muss. Er arbeitet in der Gastro- und Hotelbranche, ebenso wie seine Lebenspartnerin. Seit Beginn der Pandemie sind beide in Kurzarbeit, sie erhalten also nur 80% ihres Gehalts. Zu den schlimmsten Zeiten der Pandemie hatte das Paar deshalb 1500 Franken weniger pro Monat zur Verfügung.

«Für uns ist es eine dreifache Bestrafung», erklärt Frédéric. «Wir verdienen weniger Geld, unsere Mahlzeiten werden nicht mehr von unseren Arbeitgebern bezahlt, da die Restaurants geschlossen sind, und meine Frau erhält kein Trinkgeld mehr, was immer noch etwa 200 Franken pro Monat ausmachte.»

Das Ersparte anzapfen

Die Familie merkte bald, dass sie sich die Miete und die Krankenversicherung nicht mehr leisten konnte, ohne auf ihre Ersparnisse zurückzugreifen. «Der Bund hält uns vom Arbeiten ab, aber wir sind es, die unsere Ersparnisse aufbrauchen müssen für Ferien oder Zahnarzt», sagt Frédéric. «Ich finde das nicht fair.»

Er beschloss daher, sich an den Solidaritätsfonds zu wenden, der im Kanton Jura eingerichtet wurde, um Menschen in Schwierigkeiten zu unterstützen. Die Familie erhielt eine finanzielle Unterstützung, mit der sie Miete und Krankenkassenprämien für zwei Monate bezahlen konnte.

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Die Familie hat auch ihren Lebensstil angepasst und das Budget überarbeitet: «Wir verbrachten unsere Ferien auf dem Balkon, kauften lokale und billigere Produkte», sagt Frédéric. «Wir haben versucht zu sparen. Wir haben zum Beispiel unsere Krankenversicherung gewechselt und uns für ein billigeres Auto und günstigere Versicherungen entschieden. Es ist aber schwierig, ein Budget aufzustellen, weil wir nicht wissen, wie lange die Situation andauern wird oder wie viel Prozent wir in den nächsten Wochen arbeiten können.»

Dank dieser Anpassungen kann der Haushalt seine Ausgaben ab Januar noch um 400 Franken pro Monat reduzieren. Aber Frédéric ist besorgt: «Wenn die Restaurants schliessen, wird es für die gastronomische Gemeinschaft unmöglich. Viele Menschen werden es nicht schaffen.»

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Den Gürtel noch enger schnallen

Die Situation war für Helen* schon vor der Pandemie schwierig. Die 57-jährige Fabrikarbeiterin hatte es gerade geschafft, alle ihre Schulden zu tilgen und ihre Finanzen zu stabilisieren. Mit ihrem Vollzeitpensum verdient sie nur 3200 Franken netto im Monat und hat daher ein sehr knappes Budget. Mit dem Auftreten des Coronavirus wurde sie für drei Monate auf Kurzarbeit gesetzt. Sie musste mit 20% weniger Lohn auskommen.

«Das Problem ist, dass die Preise für die Krankenversicherung und die Miete nicht sinken und auch die Lebenshaltungskosten nicht», sagt Hélène. Um zurechtzukommen, versuchte sie, ihre Ausgaben noch mehr zu kürzen, nahm Lebensmittelgutscheine der Caritas in Anspruch und bat um Aufschub bei einigen Zahlungen.

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Heute kann sie wieder normal arbeiten und erhält 100% ihres Einkommens. «Aber am 14. Dezember hatte ich nur noch 24 Franken, um mich bis zur Auszahlung meines Gehalts am 18. Dezember über Wasser zu halten», sagt sie. Auch sie hat Angst vor der permanenten Verunsicherung durch das Coronavirus und schmiedet dementsprechend keine Freizeitpläne.

«Ich fing gerade an, über die Runden zu kommen, ich dachte, ich könnte mir endlich mal ein paar Vergnügungen gönnen», sagt Hélène. «Ich hatte schon auf ein wenig Ferien gehofft. Es ist so viele Jahre her, dass ich in den Urlaub fahren konnte. Und jetzt ist alles wieder weg, schlimmer als vorher. Man ist versucht zu revoltieren.»

Sie betont jedoch, dass sie das Glück hat, einen Job zu haben und zu Fuss zur Arbeit gehen zu können, da sie sich kein Auto leisten könnte. «Manchmal möchte ich so gerne mit dem Zug zum See fahren. Aber ein Ticket ist so teuer, dass ich es mir nicht leisten kann», seufzt Hélène. «Ist es das, was das Leben ausmacht? Arbeiten, nur um die Rechnungen zu bezahlen?»

Menschen helfen, bevor sie abrutschen

Innerhalb von sechs Monaten verteilte Caritas Jura allein im Bezirk Delémont eine Menge von Hilfsgütern, die sie normalerweise während drei Jahren im ganzen Kanton verteilt. «Es ist eine tickende Zeitbombe», sagt der Direktor von Caritas Jura, Jean-Noël Maillard. «Menschen, die bereits Sozialhilfe beziehen, kommen nicht mehr heraus, und andere fallen nach und nach um, weil sie sich in sehr heiklen Situationen befanden. Es droht eine grosse Welle der Prekarität.»

Bei der Sozialhilfe ist im Moment keine Zunahme zu verzeichnen. Jean-Noël Maillard glaubt jedoch, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Die untere Mittelschicht knabbere derzeit an ihren mageren Ersparnissen. Und wer wegen Covid-19 die Stelle verloren habe, werde erst in zwei Jahren das Ende der Arbeitslosenversicherung erreichen und bei der Sozialhilfe landen.

«Wir müssen jetzt Schutzmechanismen installieren, um zu verhindern, dass Menschen in prekäre Situationen geraten», sagt Maillard. «Wir sollten Menschen auf Kurzarbeit mit niedrigen Einkommen 100% des Lohnes geben sowie zusätzliche Leistungen für arme Familien und Arbeitnehmende einrichten.»

Ein Appell, der teilweise vom Parlament gehört wurde: Im Dezember plante es, eine Klausel einzufügen für Geringverdiener in Kurzarbeit. Wer weniger als 3470 Franken verdient, erhält 100% des Lohnes. Bei Einkommen zwischen 3470 und 4340 Franken beträgt die Kurzarbeitsentschädigung bei vollständigem Verdienstausfall ebenfalls 3470 Franken. Diese neue Regelung wird von der Regierung rückwirkend zum 1. Dezember umgesetzt.

*Namen der Redaktion bekannt

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