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Wie die Schweiz mit Abfall umgeht

Zeichen einer Wegwerfgesellschaft in der Energiezentrale Forsthaus Bern. swissinfo.ch

Auf dem Gebiet der Innovation und Lebensqualität spielt die Schweiz jeweils in der obersten Liga. Sie ist aber auch ein Champion in der Erzeugung von Abfall. Kann die Energieproduktion durch Kehricht-Verbrennung das Schweizer Konsumverhalten kompensieren?

Jahr für Jahr generieren die Schweizer mehr als 700 Kilogramm Abfall pro Kopf. Gemäss der Europäischen Umweltagentur und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist das eine der höchsten Quoten weltweit. Die Menge an Kehricht in der Schweiz hat sich in den letzten 25 Jahren verdreifacht, in den letzten 50 Jahren ist der Abfallberg um 350% gestiegen.

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«Der ungebremste Egoismus unserer Gesellschaft manifestiert sich in der Form von Abfall und dessen Entsorgung. Es ist ein Zeichen unserer Wegwerf-Gesellschaft», sagt Andy Werren, ein Guide in der Energiezentrale Forsthaus in Bern, dem einzigen Kraftwerk in der Schweiz, das Strom und Wärme aus Holz, Erdgas und Kehricht produziert.

Die Energiezentrale Forsthaus, die von Energie Wasser Bern (ewb)Externer Link betrieben wird, wurde 2013 eröffnet. Der Strom der ewb stammt mehrheitlich aus Atomkraftwerken, aber auch aus Wind- und Wasserkraft.

An einem durchschnittlichen Tag verarbeitet das Forsthaus 400 Tonnen Abfall aus der Stadt. Pro Jahr sind es 120’000 Tonnen, die in 64 Gigawatt Strom umgewandelt werden und 144 Gigawattstunden Wärme zum Heizen.

Diese Menge reicht, 3% der insgesamt 448’500 Haushalte in Bern mit Wärme und Strom während eines Jahres zu versorgen.

Über 90% der Schweizer Elektrizität stammt aus Wasser- und Atomkraft.

Während einer Führung erklärt Werren, ein pensionierter Marketing-Manager der ewb, das Verfahren. Städtische Kehrichtwagen und Privatkunden liefern in der grossen Halle Abfall ab. In einem anderen Raum türmt sich der Abfallberg weit in die Höhe, ein Kranführer schaufelt riesige Mengen an Material in die Verbrennungsanlage, die bei rund 1’000°C betrieben wird. Ab und zu gibt es eine Überraschung.

«Vor ein paar Jahren fiel eine Leiche aus einem zusammengerollten Teppich. Hätten wir sie nicht bemerkt, wäre von diesem Menschen keine Spur übriggeblieben», erzählt Werren einer erstaunten Besuchergruppe.

Im Zusammenhang mit dem toten Körper habe es keine Hinweise auf ein Verbrechen gegeben, sagt Werren. Spreche man jedoch von Abfallentsorgung, so gebe es in der Schweiz eine ganze Menge an «Frevlern».

«Zu viele Leute werfen Batterien weg, statt sie zu rezyklieren. Das können wir an der Zusammensetzung der Abgase und der Müllschlacke ablesen», sagt Werren. Am Ende des Verbrennungsprozesses durchkämmt ein Magnet die Schlacke nach reyklierbaren Metallen. Der giftige Rest  landet im Depot.

Altmaterialsammlung

«Die Siedlungsabfälle haben seit dem Jahr 2000 zugenommen. Dieser Trend sei eine schlechte Nachricht für die Umwelt, heisst es im Bericht «Umwelt Schweiz 2015»Externer Link. So seien 2013 5,71 Millionen Tonnen Siedlungsabfall angefallen, etwa die Hälfte davon wurde verbrannt, die andere Hälfte rezykliert.

«Auch wenn ein gut entwickeltes Rezykliersystem existiert, so enden noch immer viele rezyklierbare Substanzen in unserem Kehricht. Die Abfall- und Rohmaterial-Strategie sollte im Rahmen der Grünen Wirtschaft (Green Economy) weiter entwickelt werden», heisst es im Bericht. 

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Laut Patrik Geisselhardt, Geschäftsführer von Swiss Recycling, ist die Schweiz zwar führend beim Recycling, gute Recyling-Gewohnheiten könnten jedoch den Anstieg des Konsumismus nicht wirklich kompensieren.

«Auch wenn wir schon viel erreicht haben, so sollten wir nicht vergessen, dass unser Lebensstil mehr Ressourcen verbraucht, als der Planet Erde bieten kann. Um sicherzustellen, dass unsere Kinder und Grosskinder genug haben werden, müssen wir unsere Ressourcen nachhaltiger nutzen. Recycling ist ein einfacher Weg, dies zu tun.»

Trotz der guten Infrastruktur, die wir haben, fällt viel rezyklierbares Material durch das Raster. «Wir erhalten den Müll von den Berner Strassenwischern. Darin hat es massenweise PET-Flaschen. Sie brennen gut, sollten aber wirklich wieder verwertet werden», betont Werren.

In der Schweizer Bundesstadt Bern wurde eine Motion verabschiedet, die an neuralgischen Orten Abfalltrenn-Behälter aufzustellen will, so etwa in Parks und an Bus- und Tramhaltestellen. Zudem lancierte die Stadt Bern in 52 Schulen und öffentlichen Gebäuden Abfalltrenn-Systeme. Der Schwerpunkt liegt auf PET, Aluminium, Papier und Karton.

Um die Recycling-Quote an Bahnhöfen zu verbessern haben die Schweizerischen Bundesbahnen SBBExterner Link in ein besseres Trennsystem investiert. Das Pilotprojekt, das 2012 in Bern startete, war so erfolgreich, dass es im November 2014 auch in Zürich, Basel, Luzern und Genf eingeführt wurde.

«Das Resultat ist beeindruckend. Die Bahnkunden entsorgten 95% des Abfalls korrekt. Die 500 Tonnen wiederverwerteten Zeitungen, Plastikflaschen und Alubüchsen pro Jahr wären sonst verbrannt worden», erklärt Daniele Pallecchi von den SBB gegenüber swissinfo.ch. Gegenstände, die in den Zügen liegenbleiben, werden allerdings nicht rezykliert.

Wegwerf-Gesellschaft?

Was aber geschieht mit all den Dingen, die weder in ein kleines rundes Loch, noch in einen engen Schlitz passen? Für solche Fälle gibt es die in Bern angesiedelte RESAG-RecyclingExterner Link. Denn was für andere Müll ist, ist für dieses Unternehmen eine Kostbarkeit.

Für 200 CHF pro Tonne kann dort alles Mögliche an Abfall abgegeben werden, zum Beispiel Bauschutt, Möbel, Elektrogeräte, ganze Kellerinhalte. Verarbeitet werden bei der RESAG 50’000 Tonnen Abfall pro Jahr. Und so geht das vor sich:

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Rund 85% von dem, was bei der RESAG gesammelt wird, kann wieder verwertet werden, der Rest landet in der Verbrennungsanlage im Forsthaus Bern. Wie Werren beobachtet auch RESAG-Manager René Schneider eine Zunahme der Verschwendung.

«Wir leben in einer sich rasch entwickelnden Konsumgesellschaft. Schnell mal kaufen wir ein neues Mobiltelefon oder ein Möbelstück, dessen Lebensdauer immer kürzer wird, was automatisch zu mehr Abfall führt», sagt Schneider. 80% der bei der RESAG entsorgten Fernsehapparate funktionierten noch, aber die Leute wollten grössere oder solche mit HD.

Der Zürcher Wirtschaftspsychologe Christian FichterExterner Link sieht einen Zusammenhang zwischen Kaufkraft und Verschwendung: «Menschen, die in Überfluss leben, tendieren dazu, viele ‹Extras› zu kaufen – die dann im Abfall landen. Man hört zwar immer wieder, dass wohlhabende Leute die bewussteren Konsumenten seien. Ich glaube, das ist mehr Wunschdenken als die Realität.»

Trotz dieses Konsumverhaltens auf hohem Niveau seien die Konsumenten aber nicht die einzigen Schuldigen, betont Fichter.»Verkäufer bieten Waren an, die nicht nachhaltig sind. Sie glauben, dies sei der einzige Weg zum Erfolg. Zudem verführen sie die Konsumenten mit Produkten, die auffällig und übertrieben verpackt sind. Eine unabhängige Aufsichtsbehörde sollte hier eingreifen und solch unvernünftiges Verhalten bestrafen», meint Fichter.

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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