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«Das Nichtrauchergesetz zerstört meine Existenz»

Weniger Kippen: Gesundheitsorganisationen befriedigen die Auswirkungen des Anti-Raucher-Gesetzes. Keystone

Ein Jahr nach der Einführung des Rauchverbots in öffentlichen Räumen nimmt swissinfo.ch den "Welttag ohne Tabak" zum Anlass, herausfinden, ob das Recht den Ansprüchen genügt – oder ob es nicht weit genug geht.

Nach den vereinten Anstrengungen von Nichtraucher-Oganisationen, die aufgezeigt hatten, dass jährlich über 9000 Schweizerinnen und Schweizer vorzeitig wegen Rauchens sterben, ist am 1. Mai 2010 ein landesweites Rauchverbot in Kraft getreten.

Rauchen ist seither verboten in öffentlichen Räumen wie Restaurants, Bars, Schulen und Kinos. Betriebe können jedoch separat belüftete Raucherräume erstellen, so genannte Fumoirs. Und Lokale, die eine geringere Fläche als 80 m2 aufweisen, können als Raucherzone bezeichnet werden.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sagt zwar, es sei noch zu früh, um hieb- und stichfest zu belegen, was sich in den vergangenen 13 Monaten verändert habe. Die Schweizer Lungenliga dagegen reklamiert bereits einen Erfolg und weist auf nationale und internationale Studien hin, welche belegten, dass umfassende Gesetze die Herzinfarktrate vermindern helfen würden.

«Die positiven Effekte einer rauchfreien Arbeitsumgebung für die persönliche Gesundheit – speziell was Herz, Lungen und Atmung betrifft – sind bereits nach dieser kurzen Zeit sichtbar», sagt Cornelis Kooijman von der Lungenliga Schweiz gegenüber swissinfo.ch.

«Im April dieses Jahres publizierte das Spital San Giovanni in der Tessiner Hauptstadt Bellinzona eine Studie, die aufzeigt, dass die Zahl der Herzinfarkte im Tessin seit dem kantonalen Rauchverbot in öffentlichen Räumen vor zwei Jahren um 20% gesunken ist.»

Jürg Hurter, Präsident der Stiftung Pro Aere, die sich für Passivrauchschutz und Tabakprävention einsetzt, pflichtet dem bei: «Nun ist die Bevölkerung weitgehend geschützt vor den verheerenden Folgen des Passiv-Rauchens.»

Wirtschaftliches Argument

Über die Verschärfung der Rauchergesetze im Land war allerdings nicht jeder begeistert.

So forderte nach der erbittert geführten Abstimmungsdebatte GastroSuisse, der nationale Verband der Hoteliers und Gastwirte, einen «ausgewogenen und angemessenen Kompromiss» zwischen «Nichtraucherschutz und einem gewissen Freiraum für Hoteliers und wie sie ihr Geschäft betreiben sollen».

GastroSuisse gestand in einem letzten Monat veröffentlichten Communiqué ein, dass das nationale Rauchverbot nicht die verheerenden wirtschaftlichen Konsequenzen verursacht habe, welche einige Exponenten aus der Industrie im Vorfeld prophezeit hatten.

In der Schweiz wurden 2010 laut GastroSuisse rund 26 Milliarden Franken für Essen und Getränke in Gastbetrieben ausgegeben – 3,3 Mrd. mehr als 2009.

«Restaurants profitieren von neuen Kunden, gesünderen Mitarbeitern und Einsparungen bei den Reinigungskosten», sagt Kooijman. «Die oft in den Medien oder bei GastroSuisse zitierten Zahlen von künftigen Einkommensverlusten basieren lediglich auf Schätzungen von Restaurant-Besitzern. Es handelt sich nicht um wissenschaftliche Erhebungen über das Wirtschaftswachstum im Gastronomie-Sektor.»

«Katastrophe»

Donatella Del Vecchio von Sucht Hilfe Schweiz fügt hinzu, dass verschiedene Berichte «klar zeigen», dass der Umsatz in Bars und Restaurant im letzten Jahr nicht gesunken sei, «da viele Gäste eine rauchfreie Umgebung schätzen».

«Wir sind der Ansicht, dass die Passivraucher-Massnahmen heute in der Bevölkerung breit akzeptiert sind», sagt sie gegenüber swissinfo.ch. «Nichtrauchen wird zunehmend normaler – und das ist eine positive und willkommene Entwicklung.»

Reinhard Jungo, Besitzer einer Billiard-, Poker- und Darts-Halle in Bern, sieht das ein wenig anders. Gegenüber swissinfo.ch sagt er, dass die Zahl seiner Gäste seit Mai 2010 um rund 20% zurückgegangen sei – obwohl er 15’000 Franken in die Errichtung eines Fumoirs gesteckt habe.

«Vom gesundheitlichen Blickwinkel her gesehen macht das neue Gesetz sicher Sinn; aber vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt ist es eine Katastrophe. Es zerstört meine Existenz», klagt er.

Jungo, selbst Nichtraucher, räumt ein, dass die saubere Luft einige neue Spieler angezogen habe – «aber nicht genug, um jene, die weggeblieben sind, zu ersetzen».

Gesundheit gegen Profit

Christophe Berdat, Medienverantwortlicher bei British America Tobacco Schweiz, sagt gegenüber swissinfo.ch, die Zigarettenverkäufe seien seit dem letzten Mai «wahrscheinlich ein wenig gesunken». Eine signifikante Veränderung sei jedoch nicht feststellbar gewesen, da einige Kantone bereits in den Jahren 2007 und 2008 Gesetze zum Schutz vor Passivrauchen eingeführt hätten.

«Der Trend zeigt in jedem europäischen Land nach unten, auch in den Vereinigten Staaten. Aber es ist nicht dieselbe Situation wie in Irland und Grossbritannien, wo sich nach der Einführung der Gesetze ein grosser Unterschied zeigte.»

Pro Aere-Präsident Jürg Hurter wischt die wirtschaftlichen Argumente gegen rauchfreie Zonen schnell vom Tisch: «Das hat absolut keine Wichtigkeit! Wenn irgendeine Aktivität gefährlich für eine dritte Partei ist, muss diese gestoppt werden – auch wenn manche Leute reklamieren, dass die Gesetze ihr Geschäft beeinträchtigen. Auch wenn das die Gastronomie treffen würde – und das tut es nicht –, muss sie akzeptieren, dass es Wichtigeres gibt als ihre Profite», sagt er.

«So verringern zum Beispiel die gesetzlichen Hygiene-Vorschriften in Restaurantküchen den Profit der Wirte. Aber die Restaurants müssen diese einhalten – im Interesse der öffentlichen Gesundheit –, da gibt es keine Diskussion.»

Neue Initiative

Hurter heisst das neue Recht willkommen, aber seiner Meinung nach bleibt trotzdem noch viel zu tun.

Er denkt dabei an die belüfteten Räume, in denen bedient wird, wenn sich das Servierpersonal damit einverstanden erklärt. «Das gegenwärtige Recht widerspiegelt die Respektlosigkeit der Gastroindustrie gegenüber ihren Angestellten», sagt er.

Auch Kooijman pflichtet bei: «Es ist zu bezweifeln, dass eine solche Verpflichtung freiwillig abgegeben wird», sagt er. «Das Personal ist somit nicht richtig vor Passivrauchen geschützt und somit Gesundheitsrisiken ausgesetzt.»

Er begrüsst, dass Kantone strengere Bestimmungen erlassen können, «aber dieses System hat zu einem Durcheinander von kantonalen Gesetzen geführt».

Um dieses Durcheinander zu entwirren, wurde am 18. Mai 2010 von einer Anti-Raucher-Allianz eine Volksinitiative eingereicht, die das Rauchen landesweit in allen öffentlichen Räumen generell verbieten will. Als einzige Ausnahme werden unbediente Fumoirs akzeptiert.

Darüber wird das Schweizer Stimmvolk voraussichtlich 2013 befinden können. Der Initiative werden gute Chancen eingeräumt, da letztes Jahr im Kanton Genf mehr als 80% der Stimmenden ihre Zustimmung signalisiert hatten. Aber zur Enttäuschung vieler hat die Landesregierung die Initiative zur Ablehnung empfohlen.

«Das am 1. Mai 2010 in Kraft getretene Gesetz sieht eine angemessene, flächendeckende minimale Regulierung vor. Sie ermöglicht den Kantonen auch, weitere Regulationen zum gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung einzuführen», sagt Jean-Louis Zürcher, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit, gegenüber swissinfo.ch. «Die meisten Angestellten im Gastrosektor sind heute effektiv geschützt.»

Jeweils am 31. Mai begeht die Weltgesundheits-Organisation WHO den Weltnichtrauchertag.

Dabei werden die gesundheitlichen Risiken im Zusammenhang mit Tabakkonsum hervorgehoben und für eine wirksame Politik zur Verringerung des Tabakkonsums geworben.

Tabakkonsum ist weltweit die zweithäufigste Todesursache (nach Bluthochdruck) und derzeit verantwortlich für den Tod eines von zehn Erwachsenen weltweit. Das sind rund fünf Millionen Menschen pro Jahr.

Die Weltgesundheits-Versammlung initiierte 1987 den Weltnichtrauchertag, um globale Aufmerksamkeit auf die Tabak-Epidemie und ihre tödlichen Wirkungen zu ziehen.

Er bietet die Möglichkeit, spezifische Anti-Tabak-Meldungen zu veröffentlichen und auf die Einhaltung des WHO-Rahmenübereinkommens zur Eindämmung des Tabakkonsums zu pochen.

Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, welche die Konvention nicht ratifiziert haben.

Tabakkonsum ist die Nummer eins bei den vermeidbaren Gesundheitsschäden.

In der Schweiz ist Nikotinkonsum für den vorzeitigen Tod von über 9000 Menschen jährlich verantwortlich – zwei Drittel davon sind Männer.

Das sind 25 Menschen pro Tag und damit mehr als doppelt so viele, wie im Verkehr, an einer Überdosis Drogen oder an Medikamenten, Morden und Selbsttötungen sterben.

In der Schweiz kosten 20 Zigaretten derzeit 7,40 Franken.

(Quelle: WHO und Bundesamt für Gesundheit) 

(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)

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