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Das Phänomen der Landnahme in Entwicklungsländern

Zuckerrohr-Felder bei Piracicaba, 160 km nordwestlich von Sao Paulo, Brasilien. Keystone

Um die Lebensmittelversorgung zu sichern, kaufen oder pachten ausländische Investoren immer mehr grosse Flächen fruchtbares Agrarland in Ländern im Süden. "Transnationaler Handel mit Ackerland" nennt sich das Phänomen, oder etwas pointierter "Land Grabbing" (Land an sich reissen).

An einer Tagung von Entwicklungsfachleuten in Zürich stand das Thema diese Woche zur Debatte.

Organisiert wurde die Veranstaltung vom Nord-Süd-Zentrum der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und vom Nationalen Forschungsschwerpunkt Nord-Süd in Bern.

Die Frage der Landnahme ist an sich kein neues Phänomen, man denke nur an den Kolonialismus im 19. Jahrhundert. Und Nahrungsmittel-Konzerne aus dem Westen besitzen oder pachten seit Jahren Land in anderen Staaten.

Doch im Verlauf der letzten Jahre sind neue Akteure dazu gestossen – Unternehmen aus Ländern wie China, Saudi-Arabien und Südkorea. Eingesetzt hat diese Entwicklung mit der Nahrungsmittelkrise von 2008, als nicht weniger als 25 Produzentenländer den Export wichtiger Nahrungsmittel einschränkten.

Nahrungsmittel importierende Staaten begannen daraufhin, nach Wegen zu suchen, solche Restriktionen zu umgehen. Schon vorher hatten hohe Erdölpreise zudem das Interesse an Agrotreibstoffen vorangetrieben – und damit an Land für Plantagen.

Diese Entwicklungen sind relativ neu. Forscher erkunden die Bedeutung und Auswirkung der neuen Agrarinvestitionen. Die Weltbank hat zu dem Thema einen Bericht in Auftrag gegeben. Dieser hätte im Mai publiziert werden sollen, doch wurde der Termin auf frühestens Ende Juni verschoben.

Dass es bisher nicht viele Forschungsarbeiten zu diesem Thema gibt, heisst aber nicht, dass die Menschen in den Staaten, in denen es zu Landnahmen kommt, sich nicht bewusst darüber sind, was abläuft.

Rosige Versprechen

Ralf Leonhard, ein Vertreter der Menschenrechts-Organisation Fian (Food First Information and Action Network), berichtete an der Tagung über die Erfahrung einer Dorfgemeinschaft in Kenia.

Rosige Versprechen eines Unternehmens, das Land für eine Zuckerplantage erwerben wollte, sahen viel weniger rosig aus, als die Bauern ein anderes Dorf besuchten und sehen mussten, wie dort die Existenzgrundlagen der Menschen untergraben wurden, nachdem sie Land zum Anbau von Reis an ein ausländisches Unternehmen verpachtet hatten.

In Madagaskar führte ein «Land Grabbing»-Handel Anfang 2009 gar zum Sturz der Regierung: Präsident Marc Ravalomanana musste nach Protesten aus der Bevölkerung zurücktreten. Die Proteste waren wesentlich durch ein Pacht-Abkommen mit dem südkoreanischen Konzern Daewoo Logistics ausgelöst worden, der Mais und Ölpalmen anbauen will.

Andrea Ries von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) erklärt gegenüber swissinfo.ch, was in Madagaskar passiert sei, sei nicht besonders aussergewöhnlich. «So hat Mosambik ein Moratorium erlassen für neue Landkonzessionen an ausländische Investoren. In vielen Ländern gibt es eine lebhafte Debatte.»

Was Leute von aussen, wie die Deza, tun könnten, sei, die Länder dabei zu unterstützen, voneinander zu lernen. «Wir unterstützen Bauern-Organisationen aus verschiedenen Ländern, damit sie direkt an der internationalen Debatte teilnehmen können. Denn die lokalen Organisationen sollten nicht nur durch internationale Organisationen oder Nichtregierungs-Organisationen vertreten sein», betont Ries.

Einseitige Gesetze

Ein Problem ist das Ungleichgewicht der internationalen Gesetzgebung, die Investoren grösseren Schutz einräumt als der lokalen Bevölkerung.

Traditionell wird davon ausgegangen, dass Investitionen das Wachstum ankurbeln und die lokale Bevölkerung über den «Trickle Down»-Effekt langfristig auch an der Wertschöpfung beteiligt würde. Mittlerweilen wird anerkannt, dass das nicht unbedingt der Fall ist.

Zudem kann es zu Konflikten zwischen verschiedenen Rechten kommen. Wenn die Regierung ausländischen Investitionen zustimmt, erwartet der Investor, dass seine legitimen, durch internationales Recht geschützten Erwartungen, erfüllt werden.

So wäre es für einen Investor zum Beispiel legitim zu erwarten, für ein Agrarprojekt Wasser nutzen zu können. Das könnte aber mit den Bedürfnissen der lokalen Gemeinschaft in einen Konflikt um dasselbe Wasser münden.

Zur Zeit ist es so, dass in einem Konfliktfall normalerweise die Investoren Kläger sind und der Gaststaat sich verteidigen muss. «Deshalb muss die Zivilgesellschaft Argumente haben, die sie im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung und der Rechte der Menschen anführen kann», erklärt Katja Gehne vom World Trade Institute gegenüber swissinfo.ch.

Ihre Kollegin Elisabeth Bürgi Bonanomi weist darauf hin, dass es Verteidigern oft an legalem Wissen und Kenntnis fehle. «Diese Länder anerkennen die internationalen legalen Standards, aber sie setzen sie nicht um. Es ist wichtig, dass die Anwälte diese Standards kennen, damit sie auch entsprechend argumentieren können.»

Agrobusiness

Andrea Ries von der Deza macht keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen bisherigen und neuen Investoren. «Wir sollten nicht sagen, dass China und Saudi-Arabien schlechte und europäische Unternehmen gute Investoren sind. Dem ist nicht so. Wir müssen beide unter die Lupe nehmen.»

Die Agro-Industrie sei eine sehr globalisierte Wirtschaft. «Wahrscheinlich braucht es ein neues Set von Richtlinien, ein neues Set für die Entscheidfindung. Dabei werden die lokalen Interessen sowie die internationalen Marktkräfte und Regulationen in Betracht gezogen werden müssen.»

Langfristig sieht Ries die Entwicklung eher optimistisch. Unternehmen aus Ländern wie Saudi-Arabien und China investierten in Agrarland, um mehr Kontrolle zu haben über eine strategische Industrie, wie dies auch andere internationale Unternehmen täten.

«Wenn man aus den Erfahrungen europäischer Agro-Investoren Lehren zieht, haben diese die Strategie verfolgt, lokal zu werden. Zum Beispiel Nestlé: Das Unternehmen hat lokale Märkte entwickelt, sich um lokale Bedürfnisse gekümmert, musste sich mit der lokalen Gesetzgebung und lokalen Interessen auseinandersetzen. Dies werden viele Unternehmen, die jetzt in neue Länder expandieren, auch lernen müssen», ergänzt sie.

«Die Konzerne werden sich auf lokale Akteure einlassen müssen. Wenn sie dies tun – und es wird ein schwieriger Lernprozess sein, mit vielen Stolpersteinen, werden sie einen positiven Beitrag leisten können.»

Julia Slater, Zürich, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Die jeweils drei wichtigsten Gastländer, nach Regionen:
Afrika:
– Sudan
– Ghana
– Madagaskar

Lateinamerika:
– Brasilien
– Argentinien
– Paraguay

Ostasien und Pazifik
– Indonesien
– Philippinen
– Australien

Die drei wichtigsten Investorenländer:
– China
– Grossbritannien
– Saudi-Arabien

Seit dem Boom von Agro-Treibstoffen und der globalen Nahrungsmittelkrise von 2008 ist das Interesse für Investitionen aus dem Ausland in Agrarland in Entwicklungsländern akut angestiegen.

Ausländische Investoren pachten oder kaufen Ackerland und sichern sich die Wasserrechte für landwirtschaftliche Produktion.

Bisher erfolgte ein Grosssteil der Vertragsabschlüsse im Geheimen, ohne Kenntnis der Öffentlichkeit oder der NGO.

Die mangelnde Transparenz erhöht die Gefahr von Korruption.

Wasser gilt als einer der Hauptantriebe für die Agrar-Investitionen.

In Afrika südlich der Sahara werden nur etwa 2% des Frischwassers zur Bewässerung genutzt – Investoren sehen ungenutztes Potential.

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