Der 18-Stunden-Spendentag für Haiti
Wie viel Geld am nationalen Sammeltag der Glückskette zusammenkommt, steht erst in der Nacht fest. Seit sechs Uhr morgens sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagiert bei der Sache. Ein Einblick.
«Schreibt man Ihren Namen mit Ypsilon?» fragt eine der Freiwilligen der Glückskette am Telefon. «Mit Ypsilon und E am Schluss, aha», sagt sie und schreibt den Namen auf einen Einzahlungsschein und auf die Liste daneben.
In einem grossen Saal mit roten Boden sitzen 20 Freiwillige an Tischen und telefonieren mit Kopfhörern. Die meisten sind Frauen, vom Alter her sind sie durchmischt. Die ausgefüllten Listen werden ab und zu von Vreni Reber, einer Mitarbeiterin der Glückskette, eingesammelt und zusammengezählt.
Es ist erst morgens um 7 Uhr. Vor einer Stunde hat der Spendentag der Glückskette für die Erdbebenopfer in Haiti begonnen. Im Raum herrscht geschäftiges Treiben, Namen und Gesprächsfetzen schwirren durch die Luft, praktisch ununterbrochen blinken die Telefone. Schon 1,5 Millionen Franken sind bis jetzt gespendet worden.
In Bern, Basel, Zürich, Chur, Genf und im Tessin sind Zentren eingerichtet, welche die Spendenankündigungen entgegennehmen. Die Haupt-Zählzentrale ist in Genf, wie Andreas Rüfenacht, der Delegierte der Glückskette für die deutsche und rätoromanische Schweiz sagt. Er ist für die Zahlen des Sammelortes Bern verantwortlich und übermittelt jede Stunde das neuste Ergebnis an die Zentrale. Das neuste Total wird via Teletext publiziert und auf die Wand im Saal projiziert.
50 Franken und 60 Rappen
«Wie alt bist du denn?», fragt eine Mitarbeiterin ins Telefon. «Wie hast du das Geld gesammelt?». Ein Mädchen habe angerufen, zehnjährig. Es hat 50 Franken und 60 Rappen gespendet. Das Geld habe es zusammen mit der Zwillingsschwester gesammelt, bei Verwandten und Bekannten.
Die ganz grossen Beiträge oder die, welche auf eine spezielle Art und Weise zusammengekommen sind, werden von Glückkette-Sprecher Roland Jeanneret namentlich im Radio erwähnt.
«Die Sammlung läuft gut, sie hat schon vor sechs Uhr morgens begonnen, und seither hat die Solidarität nicht mehr nachgelassen», hält der versierte Radiomann fest. «Die Spenden bei der Glückskette laufen über die Betroffenheit. Während andere Hilfswerke ihre Projekte erklären, spendet man bei uns vor allem aus spontaner Emotion heraus.»
Die ausgefüllten Einzahlungsscheine von den Tischen der Freiwilligen gelangen zu Esther Schmied und Suzanne Jeanneret. Dort werden sie verpackt, abgeholt und den Spenderinnen und Spendern zugeschickt.
«Ich helfe schon seit dreissig Jahren beim Sammeltag mit. Ich fange um 6 Uhr morgens an und höre um Mitternacht oder später auf», erzählt Esther Schmid. Sie mache das gerne.
Kein Problem mit den Freiwilligen
«Die Glückskette hat einen Pool, in dem freiwilligen Helferinnen und Helfer verzeichnet sind», erklärt Vreni Reber. Als die Glückskette mit den gezielten Spendentagen begonnen hat, hätten jeweils zwei Klassen der Telefonistinnen-Ausbildung die Telefone bedient. Diese Lehre gibt es zwar nicht mehr, aber Freiwillige findet die Glückskette immer ohne Probleme, es kämen auch ab und zu neue Leute dazu.
Für heute seien noch junge Frauen und Männer von der Wirtschaftsmittelschule zum Entgegennehmen der Spenden angemeldet, sagt Vreni Reber.
Viele Spenden und Anfragen via Internet sind schon in der Glückskette-Mailbox gelandet. Ein Pizzabäcker schlägt vor, für jede verkaufte Pizza 5 Franken der Glückskette zu spenden. «Eine gute Idee», findet Senta Graf, die die Online-Kommunikation betreut. Den Flyer muss der Pizzaiolo allerdings selber gestalten.
«Was die Leute uns alles vorschlagen», erzählt Graf mit einem Lächeln auf den Lippen, «Jemand fragte zum Beispiel, ob sie uns Pelzmäntel für Haiti spenden könne.»
Hilfswerke waren schon in Haiti
Pelzmäntel beinhaltet die Hilfe der Glückskette in Haiti jedoch nicht. «Die Schweizer Hilfe in Haiti ist sehr gut aufgestellt», sagt Roland Jeanneret. «16 der 30 Hilfswerke, mit denen die Glückskette zusammenarbeitet, waren schon vorher in Haiti tätig, vor allem in der Entwicklungszusammenarbeit. Dies garantiert einen möglichst raschen Einsatz der Spendengelder.»
Für die Soforthilfe werde der kleinste Teil des Geldes verbraucht, der grösste Teil, etwa 70 bis 80 Prozent, gehe in den Wiederaufbau und die Rehabilitation. «Es gibt Tausende von traumatisierten Kindern und Erwachsenen, die mitansehen mussten, wie ihre Angehörigen unter den Trümmern sterben. Die Glückskette hat Projekte, welche die Begleitung von traumatisierten Menschen beinhaltet.» Der dritte Teil des Geldes wird in die nachhaltige Entwicklung investiert.
Um zwanzig nach Acht erfüllt eine laute Fanfare den Raum. Die Mitarbeiterinnen klatschen. Der Grund: Die zwei Millionen Grenze ist überschritten. Für einige Momente ist es ruhig. Doch dann blinken die Telefone wieder. «Guten Tag, Herr Siegenthaler», sagt eine Freiwillige und nimmt den Betrag auf.
Wenn die Spendentelefone geschlossen sind, nach Mitternacht, wird die ganze Summe der angekündigten Spenden zusammengerechnet. «Meistens», sagt Vreni Reber, «verdoppelt sich die Summe noch. Viele Leute spenden später mehr, als sie uns heute am Telefon ankündigen.»
Eveline Kobler, swissinfo.ch
Die Glückskette organisiert am Donnerstag, 21. Januar 2010, einen nationalen Sammeltag «Haiti» zugunsten der Opfer der Erdbebenkatastrophe.
Dieser Aufruf geschieht in enger Zusammenarbeit mit 16 Partnerhilfswerke: Dem Schweizerischen Roten Kreuz, Terre des hommes – Kinderhilfe, HEKS, der Heilsarmee, Enfants du Monde, Medair, Médecins du Monde, Caritas Schweiz, Fastenopfer, Iamaneh, Nouvelle Planète, Helvetas, Terres des hommes Schweiz, Handicap International, ADRA und Ärzte ohne Grenzen Schweiz (MSF) .
Diese Organisationen sind zum Teil seit Jahren vor Ort tätig und können nun mit ihren lokalen Partnern sehr schnell reagieren.
Am Sammeltag am Donnerstag, 21. Januar 2010, können bis Mitternacht über die Gratis- Telefonnummer 0800 87 07 07 Spenden angemeldet werden.
Spenden sind auch jederzeit online oder auf das Postkonto 10-15000-6 (Vermerk «Haiti») möglich – Einzahlungsscheine der Glückskette liegen auf jeder Poststelle auf.
Ausserdem können Spenden auch via SMS überwiesen werden: SMS mit Vermerk Haiti (Betrag) an die Kurznummer 363 (0.20 CHF/SMS). Beispiel: Haiti 50 an 363.
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