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Der Schweizer John Sutter in Kalifornien: Einst Pionier, heute höchst umstritten (Schluss)

John Augustus Sutter 
John Augustus Sutter Wikimedia / Library of Congress

Im 19. Jahrhundert suchten viele arme Schweizer:innen ihr Glück in Kalifornien. Im Zusammenhang mit dem Goldrausch ist der Name des Schweizer Pioniers John Sutter in die Geschichte eingegangen. Er gab gar dem heutigen kalifornischen Sutter County seinen Namen. Doch war auch ein brutaler Sklavenhalter und skrupelloser Menschenhändler.

John Sutter war überzeugt, dass Weizenanbau, Viehwirtschaft, Schnapsbrennerei und Handwerk die Kolonie ökonomisch tragen können.

Zur Rückzahlung der Kredite, die er zur Finanzierung dieser Vorhaben bei den reichen Rancheros aufgenommen hatte, und zur Gewinnung von Arbeitskräften beteiligte er sich an der Versklavung der indigenen Bevölkerung und am Menschenhandel.

Daher stellte er eine Miliz von etwa 200 Männern auf, die sich hauptsächlich aus indigenen Soldaten zusammensetzte, und raubte Menschen aus den umliegenden Dörfern.

Die übrigen entführten Frauen und Männer wurden einem komplexen System der Ausbeutung unterworfen, das von vertraglichen Beziehungen bis hin zur Zwangsarbeit reichte.

Denkmal für John Sutter im Fort Sutter, das von ihm gegründet wurde
Denkmal in Form einer grossen Steinplatte mit Aufschrift für John Sutter im Fort Sutter, das von ihm gegründet wurde RSI

Schulden mit Sklav:innen beglichen

Vor allem Frauen und Kinder führte er seinen Gläubigern zu, die übrigen Frauen und die Männer unterwarf er einem vielschichtigen System der Ausbeutung, dessen Bandbreite von Kontraktverhältnissen bis zur Zwangsarbeit reichte.

Gemäss den Aufzeichnungen seines Aufsehers Heinrich Lienhard unterhielt Sutter auch sexuelle Beziehungen zu einheimischen Frauen.

Die Brutalität, mit der Sutter die indigene Bevölkerung unterwarf, verstiess gegen eine Klausel des Landschenkungsvertrags von 1840, die die respektvolle Behandlung der Indigenen vorschrieb.

Im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg (1846-1848) nahm das amerikanische Expeditionskorps von John C. Fremont das Fort Sutters ein und zwang diesen zur Kooperation. Er wurde zum US-Leutnant of Volunteers ernannt, um auf seinen Ländereien für Ruhe zu sorgen.

1847 stand Kalifornien schon weitgehend unter amerikanischer Kontrolle, befand sich aber in einem Zustand grosser rechtlicher Unsicherheit.

Gold!

1848 entdeckten dann Mitarbeitende Sutters die Nuggets auf seinem Land, die am Anfang des berühmten Goldrausches standen.

Die dadurch ausgelöste Massenzuwanderung von Goldsuchern aus den USA führte zur Okkupation vieler Besitzungen des hoch verschuldeten Koloniegründers, steigerte aber auch den Wert der diesem verbliebenen Gründe.

Sutter übertrug die Kolonie im Oktober 1848 seinem Sohn John A. SutterExterner Link, der im Umland des Forts die Stadt Sacramento plante, Land parzellierte und mit dessen Verkaufsertrag die Verbindlichkeiten des Vaters tilgte.

John Sutters Vater widmete sich derweil der Landwirtschaft und insbesondere dem Weinbau auf seiner Hock Farm, die etwa sechzig Kilometer weiter nördlich an den Ufern des Feather River lag: eine landwirtschaftliche Grosssiedlung mit Getreide, Vieh, Obst- und Weingärten. Die dortige territoriale Verwaltungseinheit wurde schon bald nach ihm Sutter County genannt.

Übers Ohr gehauen

Allerdings verlor Sutter im Laufe der Jahre den grössten Teil seines Reichtums an betrügerische Geschäftspartner, und die herrschende Anarchie machte seine Bemühungen zunichte, die Kolonie zurückzuerhalten.

Der Aufbau eines rechtsstaatlichen Rahmens vor allem nach dem Beitritt Kaliforniens zu den USA 1850 verwickelte ihn in einen bis zum Tod dauernden Kampf um sein Land.

Nach der Vernichtung seiner Farm 1865 durch Brandstiftung zog Sutter, immer noch auf eine Entschädigung durch die Bundesstaatsbehörden hoffend, nach Washington D.C. Zwischen1865 und 1875 richtete ihm Kalifornien eine Rente aus. Im Jahr 1871 ließ er sich schliesslich in Lititz, Pennsylvania, nieder, wo er nach seinem Tod 1880 beigesetzt wurde.

Grabplatte aus weissen Stein von General Sutter auf dem Moravian Friedhof in Lititz im Bundesstaat Pennsylvanien.
Grabplatte aus weissen Stein von General Sutter auf dem Moravian Friedhof in Lititz im Bundesstaat Pennsylvanien. RSI

Einst Mythos,…

Sutter bot bereits zu seinen Lebzeiten Stoff für Abenteuergeschichten, deren zum Teil phantasierte Inhalte in der Schweiz unkritisch tradiert wurden. Insbesondere die Vorstellungen von seinem Reichtum überstiegen die Realität bei Weitem.

Martin Birmann, der Vormund von Sutters Frau, schrieb 1868 das Buch General Johann August Suter, das den Grundstein für den Mythos legte. Aber er war nicht der Einzige: 1925 erschien der Roman L’Or. La Merveilleuse Histoire du Général Johann August Suter von Blaise Cendrars, in dem dieser erstmals zum Helden erhoben wurde.

Weitere literarische Bearbeitungen legten unter anderem Stefan ZweigExterner Link, Cäsar von ArxExterner Link, Traugott MeyerExterner Link oder noch 2016 Helen Liebendörfer vor, eine Verfilmung erfolgte durch Luis Trenker (1936).

Die von der Pro Helvetia mitfinanzierte und von den Schweizer Konsulaten organisierte Ausstellung Swiss in American Life, die 1977 bis 1983 an verschiedenen Orten in den USA gastierte, pries Sutter als “Grossen der Schweizer Geschichte” an.

Im Vorfeld der 1989 geschlossenen Städtepartnerschaft zwischen Liestal und Sacramento unterstützte die basellandschaftliche Regierung 1987 die Errichtung eines Sutter-Denkmals in Sacramento mit Mitteln aus dem kantonalen Lotteriefonds.

… heute demontiert

Neuere Forschungen in den USA ab den 1980er-Jahren beleuchteten die indigene, bis dato unsichtbare Perspektive des Sutter-Narrativs. Sie verlagerten den Schwerpunkt auf die Perspektive der indigenen Bevölkerung und gaben somit den Opfern der Eroberung des amerikanischen Westens Sichtbarkeit.

Laut Benjamin Madley förderten die unmenschlichen Praktiken des von den Rancheros und Sutter eingeführten Zwangsarbeitssystems die angloamerikanische Gewalt gegen die indigene Bevölkerung und bereiteten den Boden für die regionalen Genozide an den indigenen Gesellschaften Kaliforniens, die mit dem Beginn des Goldrausches 1848 einsetzten.

Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung 2020 wurde zudem die einseitige Erinnerungskultur bezüglich John Sutter in der Schweiz wie in den USA hinterfragt. In seinem Schweizer Heimatort Rünenberg verhüllten Demonstranten sein Denkmal mit einem blutigen Laken; in Sacramento wurde seine Statue vor dem Sutter Medical Center in der Innenstadt entfernt.

So bleibt der Eindruck einer sehr zwiespältigen Persönlichkeit, die sich aber wohl aus dem Kontext und der historischen Periode, in der er lebte, erklärt: Er war eindeutig ein Mann des 19. Jahrhunderts, der der damaligen Gesellschaft angehörte, die von grossen sozialen Konflikten, Kolonialismus, Ungerechtigkeiten und Unterdrückung verschiedenster Art geprägt war.

Übertragen aus dem Italienischen von Pierre-François Besson.

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