«Die französisch-schweizerischen Grenzgebiete sind riesige Lebensräume»
Die Region Auvergne-Rhône-Alpes beherbergt nicht nur die grösste Auslandschweizer:innen-Community in Frankreich, sie zählt auch die meisten Grenzgänger:innen, die in der Schweiz arbeiten. Der Schweizer Generalkonsul in Lyon, Pascal Bornoz, fördert den Dialog zwischen den Partnern des französisch-schweizerischen Lebensraums. Ein Interview.
SWI swissinfo.ch: Pascal Bornoz, wie sieht das Profil der Auslandschweizer:innen in der Region aus?
Pascal Bornoz: Das Konsulat in Lyon ist für die Regionen Auvergne-Rhône-Alpes und Bourgogne-Franche-Comté zuständig. Insgesamt sind dort über 112’000 Schweizerinnen und Schweizer registriert, davon 84’000 allein in der ersten Region. In ganz Frankreich leben insgesamt rund 206’500 Schweizer Staatsangehörige.
Die Gemeinschaft hat einen starken Zusammenhalt und im Alltag ist sie autonom und aktiv – es gibt mehr Erwerbstätige als Pensionierte. Man muss aber auch bedenken, dass 80% der Schweizerinnen und Schweizer, die hier leben, Doppelbürger:innen sind. Sie sind insgesamt gut integriert.
Welches sind die grössten Herausforderungen für die Auslandschweizer:innen in der Region?
Wie in jedem Land muss man sich auch in Frankreich an die örtlichen Regeln anpassen und sich mit den Verwaltungsstrukturen abfinden, die sich von denjenigen in der Schweiz unterscheiden. Aus diesem Grund halte ich es wichtig, dass das Konsulat einen guten Kontakt zu den Schweizer Vereinen vor Ort hat. Sie sind unser Bindeglied.
Sie betreuen Grenzregionen. Haben die Schweizer:innen in diesen Regionen ein Bedürfnis nach «Swissness», trotz der grossen geografischen Nähe zur Schweiz?
Ja, ganz klar. Das gilt sowohl für jene in den grossen Städten wie jene auf dem Land. Die Schweizerinnen und Schweizer, die hier leben, pflegen diese Verbindung zur Schweiz einerseits über die Medien und andererseits über verschiedene kulturelle Aktivitäten, die hier organisiert werden – sei es durch Privatpersonen, sei es durch das Konsulat.
Um unsere jüngeren Landsleute bei Laune zu halten, organisiert das Konsulat jährlich ein Treffen mit dem Namen «Nachmittag im Park der Residenz». Dabei handelt es sich um eine spielerische Entdeckungsreise durch die Schweiz. Anmelden können sich Schweizer Kinder im Alter von vier bis acht Jahren in Begleitung eines Freundes oder einer Freundin einer anderen Nationalität sowie eines Erwachsenen.
Im Herbst 2023 finden in der Schweiz Wahlen statt. Was erwarten die Schweizerinnen und Schweizer in Ihrer Region diesbezüglich?
Die diplomatischen Teams und ich versuchen, so weit wie möglich vorauszudenken, damit unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger gut informiert sind, damit sie wissen, wo sie Informationen finden können und wie sie vorgehen müssen.
Wir sensibilisieren die Gemeinschaft zudem durch unsere Newsletter. Wenn ich Veranstaltungen besuche, spreche ich die Wahlen systematisch an, auch ausserhalb der Wahlperiode. Wir versenden auch Briefe an junge Schweizer und Schweizerinnen, die im Laufe des Jahres volljährig werden, um sie auf ihre Pflichten und Rechte aufmerksam zu machen, darunter auch das Wahlrecht. Im Januar 2023 haben wir etwa 1500 solcher Briefe verschickt.
Welche Rolle spielt das Konsulat in Lyon für die Auslandschweizergemeinschaft und für Frankreich?
Das Konsulat hat mehrere Aufgaben. Erstens arbeitet es wie ein Rathaus und kümmert sich um alle administrativen Aspekte der Schweizer Gemeinschaft. Zweitens besteht seine Rolle darin, zuzuhören, vorauszudenken, Türen zu öffnen und Verständnis zu schaffen für Themen und Herausforderungen, welche die Schweiz und Frankreich betreffen. Aus meiner Sicht besteht die Rolle des Konsulats darin, zur Lösungsfindung beizutragen.
Wofür müssen Lösungen gefunden werden?
Themen sind Homeoffice, Energieversorgung und Mobilität. Es ist zum Beispiel einfach, in Bardonnex (Kanton Genf) den Zoll zu passieren oder mit einem Zug des «Léman Express» über die Grenze zu fahren, aber nur wenige Menschen wissen, was alles getan werden musste, damit es nun so ist.
Auf regionaler Ebene fördert das Konsulat den Dialog zwischen den betroffenen französischen und schweizerischen Stellen. Wenn Dossiers auf nationaler Ebene geregelt werden müssen, übernehmen die Schweizer Botschaft in Paris sowie die betroffenen Kantone und zuständigen Departemente die Führungsrolle.
Verfolgt das Konsulat in Lyon eine bestimmte Strategie für die Schweizerinnen und Schweizer in der Region?
Wir haben zwei Hauptziele. Erstens wollen wir sicherstellen, dass die Gemeinschaft der Auslandschweizer:innen Zugang zu den wichtigen Dienstleistungen hat – sowohl in Frankreich als auch in der Schweiz. Dies geschieht insbesondere durch die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden.
Zweitens wollen wir den Kontakt zwischen den Auslandschweizer:innen in der Region fördern. Ich geniesse es, meine Landsleute zu treffen. Es ist bereichernd, ihre Realität vor Ort zu erfahren.
Sind ihre Lebenswirklichkeiten mit der Ihren vergleichbar?
Ich erlebe meine Anwesenheit in Frankreich anders, weil ich quasi auf der Durchreise bin, im Gegensatz zu den meisten Schweizern und Schweizerinnen, die dauerhaft hier leben. Auch meine Funktion beeinflusst meine Sichtweise. Trotzdem glaube ich, dass ich ein gutes Verständnis für ihre Lebensrealität habe. Sie ist meiner eigenen am Schluss gar nicht so unähnlich.
Ein neues französisch-schweizerisches Abkommen zur Besteuerung der Arbeit im Homeoffice ist seit Dezember 2022 in Kraft. Sehen Sie die Auswirkungen?
Oh ja! Das Konsulat erhält jetzt viel weniger Anfragen zu diesem Thema, was ein Zeichen dafür ist, dass diese Regelung die Sorgen der Betroffenen zerstreut hat. Wir sprechen immerhin von 214’000 Grenzgänger:innen.
Für mich ist diese Einigung über die steuerlichen Aspekte von grenzüberschreitendem Homeoffice der Beweis dafür, dass man durch Dialog Lösungen finden kann.
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Gibt es andere Themen, die zwischen der Region und der Schweiz für Spannungen sorgen?
Es handelt sich eher um punktuelle Dämpfer in den Beziehungen, die auch hier den Dialog erfordern, um gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Meiner Ansicht nach ist dies ein Zeichen dafür, dass die Gespräche weitergehen und die Situation nicht in eine Sackgasse geraten ist.
Die französisch-schweizerischen Beziehungen sind gut und lebendig. Die Grenzgebiete sind riesige Lebensräume, daher müssen wir Kompromisse finden – und daran arbeiten wir täglich.
Editiert von Balz Rigendinger. Übertragung aus dem Französischen: Larissa Tschudi
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