Die Mühleberger sehen es pragmatisch
Die Einwohnerinnen und Einwohner von Mühleberg, dem Dorf neben dem gleichnamigen Kernkraftwerk, erwarten nicht, dass sich etwas ändern wird. Die Ereignisse in Japan erschrecken sie jedoch.
Kurt Herren, der Gemeindepräsident von Mühleberg der Schweizerischen Volkspartei (SVP), sagte, er warte auf eine detaillierte Analyse der Schweizer Behörden, wenn man genauer wisse, was sich im japanischen Kernkraftwerk Fukushima nach dem Erdbeben und dem Tsunami ereignet habe.
«Uns erschreckt, was in Japan passiert ist. Ich finde es schade, dass sich die Meldungen nun auf die nukleare Bedrohung konzentrieren, wenn man sieht, was dort passiert ist. Dass vermutlich 10’000 Menschen gestorben sind, dass 100’000 Menschen obdachlos sind und dass bedrohliche Situationen mit Lebensmitteln und Wasser eingetreten sind», sagte Herren zu swissinfo.ch.
Der Name Mühleberg ist synonym zum Atomreaktor. Vor einem Monat stimmten die Stimmbürger im Kanton Bern in einer Konsultativabstimmung einem neuen Kernkraftwerk in Mühleberg zu. Es würde den 1972 in Betrieb gegangenen Reaktoren ersetzen. Im Kanton Bern stimmten 51.2 Prozent einem neuen Kernkraftwerk zu, aber in der Stadt Bern, die sehr nahe liegt, stimmten 65 Prozent dagegen.
Die richtigen Schlüsse ziehen
Herren erwartet jetzt, dass das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) und die BKW Energie AG, die den Reaktor betreibt, die Ereignisse in Japan auswerten und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
swissinfo.ch hat mit einigen Einwohnern über den Atomunfall in Japan gesprochen. Eine Hausfrau sagte, dass die Ereignisse ihr Leben nicht verändert hätten und dass sie keine Angst habe. «Was passieren soll, passiert. Wir müssen damit leben», sagte sie. Sie sei aber dennoch nicht sicher, ob ein neues Atomkraftwerk an der Aare gebaut werden solle.
Ein Gärtner drückte sich ähnlich aus: «Was in Japan passiert, gibt uns natürlich zu denken. Aber im Moment macht es keinen Unterschied.»
«Kein Problem für mich»
Ein Schreiner sagte, er vertraue den Behörden vollumfänglich und er kenne Leute, die im AKW arbeiteten.
«Einige davon sind meine Kollegen und Freunde. Es sind Leute, die ich vom Dorf her kenne und sie machen ihren Job. Wir arbeiten auch dort, wir haben Verträge, machen Schreinerarbeiten und wir wissen, wie es dort drin aussieht und wie die Sicherheitsvorkehrungen sind. Es ist kein Problem für mich», sagte er.
Er sei gegen neue Pläne für Mühleberg. «Aber wenn man in Betracht ziehe, dass wir Strom brauchen… Selbst wenn wir kein Atomkraftwerk in Mühleberg hätten, hätten wir immer noch die Werke in Deutschland und Frankreich um uns herum.»
Der Immobilienhändler Andreas Schlecht, ist im Gemeinderat für die Öffentliche Sicherheit zuständig, geht davon aus, dass der Unfall in Japan «einen gewissen Effekt haben wird. Es ist richtig, dass wir alles hinterfragen.»
Eidgenössische Abstimmungen: alles Wichtige während der Abstimmungsphase für Sie auf den Punkt gebracht. Abonnieren Sie unseren Newsletter.
Er fügt an: «Die Sicherheit des AKWs und die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse werden einbezogen, von den Leuten, die im AKW arbeiten, von den Leuten im Dorf und denjenigen, die für die Sicherheit verantwortlich sind. Nicht sofort, aber in einigen Wochen werden wir mehr über die Gründe wissen, so dass Vergleiche mit Mühleberg gemacht werden können.»
Schlecht äusserte sich auch über die Berichterstattung der Medien: «Ich denke nicht, dass die Medienberichte objektiv genug sind. Hier wird über die Börse geschrieben und über die Preise der Häuser. Wir leben zur Zeit in einem Paradies. Wir sollten lieber den Menschen helfen, die betroffen sind, als über rein hypothetische Möglichkeiten nachzudenken.»
Notfallmassnahmen
Die Bevölkerung scheint informiert zu sein, was sie in einem Notfall zu tun hätte. «Ja. Alle kennen das Alarmsystem und wissen, was zu tun ist. Es ist klar: Die Sirenen würden heulen und die Leute würden das Radio einschalten und abwarten, um zu erfahren, was zu tun ist», sagte der Schreiner.
«Wir haben Jodtabletten, die wir nehmen können. Aber ich denke nicht, dass sie viel helfen würden. Ich glaube es wirklich nicht.», sagte ein Autofahrer, der erneuerbare Energien unterstützt.
Herren, der Gemeindepräsident, ist allerdings nicht sicher, ob die Schweiz in naher Zukunft ohne Nuklearenergie auskommt. «Ich denke, dass wir in den nächsten 30 bis 40 Jahren noch mehr AKW brauchen, weil ich nicht glaube, dass Alternativenergien sie ersetzen können.»
Parallel weiterfahren
«Ich denke, wir sollten alternative Energien so gut als möglich fördern. Persönlich fahre ich ein Hybridauto und ich bin im Moment daran, eine Erdwärme-Heizung zu installieren. Dafür wird 193 Meter tief in die Erde gebohrt. Ich denke, wir sollten beide Energien parallel nutzen.»
Er erklärt, dass abgesehen von den Jodtabletten und dem Alarmierungssystem auch Schutzräume existierten. Eine Notfall-Übung sei letztes Jahr durchgeführt worden.
«Die Eidgenössischen Behörden, der Kanton und die Gemeinde sowie die Kraftwerkbetreiber waren alle in diese Übung einbezogen. Wir beobachteten, wie kommuniziert wurde und wie es geklappt hat. Wissen alle, was sie zu tun haben? Was fehlt? Wo sind die Lücken? Wir führen solche Übungen von Zeit zu Zeit durch.»
«Ich denke, wir sollten hier keine Angst haben. Der Reaktor ist nun seit 40 Jahren in Betrieb, und wir hatten keine grossen Probleme mit ihm», fügte er an.
Das Erdbeben der Stärke 9 und der darauf folgende Tsunami, eine Flutwelle von rund 10 Metern Höhe, zerstörten am Freitag, 11. März, weite Teile der Nordostküste Japans.
Schätzungen sprechen von möglicherweise über 10’000 Toten.
Landesweit sollen mindestens 300’000 Menschen in Sicherheit gebracht worden, sein, rund 5,5 Millionen Menschen müssten vorerst ohne Strom auskommen.
Das Kernkraftwerk von Fukushima ist schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Nach drei Explosionen in Reaktorgebäuden wurde eine mögliche Kernschmelze befürchtet.
Die Strahlenbelastung soll auch in der Region Tokio zugenommen haben.
Ab sofort sind Spenden möglich auf das Postkonto 10-15000-6, Vermerk «Japan» oder online.
Die Schweiz hat fünf Atomkraftwerke, die 40 Prozent des Stroms produzieren.
Ein grosser Teil des Rests wird in Wasserkraftwerken produziert.
Solarenergie, Wind, Biotreibstoffe und Biogas machen gemäss dem Eidgenössischen Energiedepartement 2 Prozent aus.
(Übertragung aus dem Englischen: Eveline Kobler)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch