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Die Nordgrenze der Schweiz – aus nächster Nähe

John Harlin mit Rad und Kajak entlang der Schweizer Grenze im Norden und Westen. swissinfo.ch

Der US-Bergsteiger und Autor John Harlin hat den zweiten Teil seines Abenteuers entlang der Schweizer Grenze abgeschlossen: Er startete an der Grenze zu Liechtenstein, im Kajak den Rhein hinunter bis Basel, dann per Velo und zu Fuss dem Jura entlang.

In seinem digitalen Tagebuch beschreibt Harlin seine Erfahrungen.

Nächsten Frühling will er für die letzte Etappe seines Abenteuers zurückkommen, die ihn wieder in die Alpen führen wird.

Im folgenden Rückblick auf den nördlichen Grenzabschnitt berichtet Harlin über das moderne Leben, auf das er am Rhein stiess, oder auch über die wilden Schluchten des Doubs an der Grenze zu Frankreich.

Zweite Etappe geschafft!

Ursprünglich wollte ich vor etwa einem Monat in St. Gingolph eintreffen, hundemüde nach 100 Tagen entlang der Grenze. Es sollte der Höhepunkt einer epischen Reise sein.

Ich wollte dann noch nach Leysin wandern, wo alles begonnen hatte, um dort mit Familie und Freunden zu feiern. Das war der Plan.

Die Realität ist, dass ich einen Monat später in den Hafen von St. Gingolph paddelte – und mir zudem noch etwa 1000 Kilometer meiner Reise fehlen. Die schwierigen Kilometer.

Ich habe schon genug über meinen Unfall und meine geänderten Pläne geschrieben, werde also hier auf weitere Details verzichten. Aber für all jene, die mit meinem Grenzabenteuer nicht vertraut sind, hier eine kurze Zusammenfassung: Im Juni machte ich mich von Leysin aus, wo ich früher gelebt hatte, auf den Weg.

Nur gerade 10 Tage später löste sich beim Klettern ein Fels und ich stürzte etwa 15 Meter ab, brach mehrere Knochen in meinen Füssen und musste von einem Helikopter geborgen werden.

Drei Monate später waren meine Knochen soweit geheilt, dass ich wieder paddeln und Velo fahren konnte. Und so nahm ich den nördlichen Grenzabschnitt der Schweiz in Angriff, den relativ flachen.

Ich startete am 5. Oktober in Sargans, paddelte in einem Kajak den Rhein hinunter, folgte dem Grenzverlauf um Schaffhausen auf dem Mountain-Bike, ebenso entlang der Grenze zu Frankreich im Jura bis nach Genf, wo ich wieder ein Kajak bestieg und nach St. Gingolph paddelte.

Die Grenzabschnitte zu Österreich und Italien werden im nächsten Sommer folgen, wenn meine Füsse wirklich geheilt sind, der Schnee geschmolzen ist.

Über meine Gedanken zum Rhein-Abschnitt der Reise habe ich schon berichtet – wie die Gegend trotz all ihrer Schönheit völlig vom Menschen geprägt ist, ungeachtet der vielen alten Gebäude, die ihr eine gewisse Zeitlosigkeit geben – die Geschichte bewegt sich immer weiter. Alles ist im steten Wandel, wie schon immer.

Das Wort Wandel passt auch gut zum zweiten Abschnitt dieser Etappe meines Grenz-Abenteuers. Neue Freunde schlossen sich mir an, dieses Mal Amerikaner aus meiner Heimatstadt Hood River in Oregon.

Jay Sherred und Lee Greenwald hatten ursprünglich geplant, im Juli und August mit mir zu wandern und zu klettern. Glücklicherweise konnten beide ihre Flugtickets umtauschen – und mich statt dessen jetzt im Herbst auf dem Bike begleiten.

Unterwegs bei jedem Wetter

Unsere Strategie war, für einen Teil jedes Tages strikt dem Grenzverlauf zu folgen – auch in Wäldern mit engen, holprigen Pfaden – und den Rest auf der Strasse zu fahren, die der Grenze am nächsten lag – was uns ermöglichte, etwas rascher voranzukommen und uns in Kontakt mit der Kultur der Gegend brachte.

Schliesslich sind Waldpfade nur ein kleiner Teil dessen, was dieses Land prägt. Die Bauernhöfe und Dörfer erzählen viel mehr. Und sie sind viel exotischer für jemand wie mich, dessen Heim am Rande eines Waldes liegt.

Jeder Tag war ganz anders als der zuvor, sowohl vom Wetter als auch von der Landschaft her. Wegen der Furcht vor kaltem Herbstwetter und Regen hatten Jay and Lee etwas gezögert, bis sie sich verbindlich darauf einliessen, mich zu begleiten.

Schliesslich kriegten wir von Beidem etwas ab, sogar etwas nassen Schnee, doch die meiste Zeit war es schlicht wunderbar. Man hatte mir gesagt, dass ich im Jura nur auf immergrüne Pflanzen stossen würde, statt dessen fanden wir uns oft inmitten von goldfarbenen Laubbäumen, die sich auf den Winter vorbereiteten.

Der Inbegriff der Herbstpracht kam in der spektakulären Schlucht des Doubs, dem wir während zwei Tagen über Wanderwege und kleinere Strassen folgten. Die Umgebung am Doubs ist einzigartig, eine (relativ) naturbelassene und unbewohnte Welt am Fuss der Jura-Kalkfelsen.

Wir waren aus der höher gelegenen Welt in die Schlucht hinunter- und zwei Tage später wieder hochgestiegen – wie bei einem Berg, aber in umgekehrter Reihenfolge. Ich hatte vorher über Bemühungen gelesen, den Doubs zu schützen, die Wildnis und Schönheit zu bewahren.

Ich hoffe sehr, dass dies rasch geschieht – und grenzübergreifend, da die Nordseite auf französischem Boden liegt.

Unterwegs von Basel in südwestlicher Richtung hatte ich das Gefühl, auf bekanntes Territorium vorzustossen, obschon ich noch nie dort gewesen war. Der Grund war vor allem die Sprache, denn wir befanden uns nun in der französischsprachigen Region.

Auch in Leysin (wo Harlin einen Teil seiner Kindheit verbrachte, N.d.R.) wird Französisch gesprochen und ich kenne die Sprache noch gut genug, um ohne Übersetzer Gespräche zu führen. Es war ein wunderbar befreiendes Gefühl – und die Schweiz fühlte sich wieder mehr an wie die Heimat, an die ich mich erinnere.

Umwerfend schön

Es machte auch Spass, Dinge zu sehen, an die ich mich aus den Geografiestunden der dritten Klasse in Leysin erinnerte: Seen, in die ein Fluss fliesst, aber keiner heraus, oder Flüsse, die aus einem Loch im Boden entspringen. Es sind Besonderheiten, die zu diesem uralten, von Kavernen durchzogenen Kalkgestein gehören.

Der denkwürdigste Moment kam, als wir langsam die Flanke des Mont Dole hinauf pedalten und sich schliesslich auf der Passhöhe vor unseren Augen die ganze westliche Alpenkette erstreckte. Als ich auf dem Pass ankam, bin ich vor lauter Begeisterung fast von meinem Bike gefallen.

Diese Berge waren das Land, das ich gekannt hatte, bevor ich den nördlichen Grenzabschnitt in Angriff nahm. Sie sind Teil einer ganz anderen Welt, nicht besser oder schöner, einfach ganz anders.

Die Bauernhöfe, Dörfer und Wälder, durch die wir in den letzten Wochen kamen, sind reichhaltig, wunderbar, tiefgründig. Aber es lässt sich nicht leugnen, etwas so Umwerfendes wie eine schillernde Kette weisser Bergspitzen ist nur schwer zu überbieten.

Jeder Tag Paddeln auf dem Genfersee brachte mich schliesslich den Alpen näher. Und jetzt bin ich wieder am Ausgangspunkt, zurück in St. Gingolph und in Leysin, an der Grenze und im Herzen meiner Welt.

Besser geht es nicht

Aufgebrochen zu meinem Abenteuer war ich, indem ich der Silhouette folgte, die man von Leysin aus sieht: Entlang der Grenze zu Frankreich im Süden, bis diese am Mont Dolent an Italien stösst.

Und meine Reise ist noch lange nicht zu Ende: Zwischen Sargans und dem Mont Dolent liegt im nächsten Sommer eine Distanz vor mir, die ich heute viel besser zu würdigen weiss als beim Auftakt zu meiner Grenzumrundung. Aber ich freue mich darauf, denn etwas Besseres, als durch Berge zu wandern, sie zu besteigen, gibt es im Leben kaum.

Ich wünschte mir, berichten zu können, dass ich mich jetzt auf den Weg nach Hause mache, zu Adele und Siena. Aber als ich auf dem Rhein unterwegs war, bin ich eingeladen worden, meine Reise entlang der Schweizer Grenze am Internationalen Berg+Abenteuer-Filmfestival in Österreich zu präsentieren und in der diesjährigen Jury mitzumachen.

Die Einladung ist eine Ehre und die Zeit stimmt, die Pflicht ruft also. Adele und Siena: Ich werde bald zu Hause sein!

Und an alle, die meine Reise mitverfolgt haben: Ich hoffe, Ihr habt es bisher genossen – und kommt im nächsten Jahr zurück für mehr.

Der amerikanische Bergsteiger und Autor John Harlin hat sein Abenteuer «Swiss Border Stories» am 5. Oktober wieder aufgenommen.

Im Juli hatte er bei einem Absturz in den Alpen beide Füsse gebrochen.

swissinfo.ch hat Harlin seit Beginn seines Abenteuers begleitet, so auch auf der zweiten Etappe «Flüsse und Höhenrücken».

Dabei ist Harlin den Rhein heruntergepaddelt, um Schaffhausen herum gewandert und dem Grenzverlauf im Jura mit Mountain-Bike und zu Fuss gefolgt.

2011 will er für die letzte Etappe in den Alpen zurückkehren.

Während er entlang der Grenze unterwegs ist, sendet Harlin Berichte, Fotos und Videos über sein Mobil-Telefon.

Sie werden als Teil eines Online-Tagebuchs auf der englischsprachigen Site von swissinfo.ch. publiziert.

Mit Hilfe einer Funktion zur geographischen Referenzierung (Geotagging), kann man Harlins Bewegungen in Realzeit auf einer speziellen Schweizer Landkarte von Google Maps verfolgen und die Orte entdecken, über die er schreibt.

Harlins Fotos werden zudem auf Picasa aufgeschaltet und Tausende Fans können über ihre Facebook-Profile direkt auf dem neusten Stand bleiben.

«Swiss Border Stories» auf swissinfo.ch war eines der Projekte, die für den diesjährigen Prix Europa, den europäischen Medienwettbewerb, in der Kategorie «Emerging Media» nominiert worden waren.

Der Prix Europa wird jedes Jahr im Oktober in Berlin an die besten europäischen Fernseh-, Radio- und Emerging Media-Produktionen verliehen.

«Border Stories» wurde für den Einsatz von freien Online-Instrumenten wie Google Apps zum Weiterverbreiten des Abenteuers von John Harlin gelobt sowie für die Nutzung von Facebook, um ein grösseres Publikum anzuziehen.

Mit dem Projekt «Border Stories» versucht swissinfo.ch, zwei grundlegende Fragen zu beantworten, die sich heute allen Online-Medien stellen: Wie können relevante externe Inhalte ins Angebot miteinbezogen werden, und welchen redaktionellen Nutzen kann man aus neuen Technologien ziehen?

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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