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Die vielen Hände, die den Skiurlaub erst möglich machen

Die Beschäftigten in Restaurants und Hotels des Wintersportorts Nendaz haben zu 75% nur einen Arbeitsvertrag während der Saison. swissinfo.ch

Das Überleben eines Wintersportortes hängt ebenso stark vom Schnee wie von den Saisonniers ab. Ohne diese aus dem Ausland importierten Arbeitskräfte würden Restaurants und Hotels geschlossen bleiben. Auch in den Skischulen arbeiten sie Hand in Hand mit den Einheimischen. Manche kommen wegen der guten Stimmung, andere wegen des Geldes. Eine Reportage aus dem Wintersportort Nendaz im Wallis.

Liliana Lopes und Luis Santana fahren nicht Ski. Trotzdem lebt das Paar inmitten eines Skigebietes mit rund 400 Kilometer Pisten. Am späten Nachmittag, wenn die letzte Gondel talwärts nach NendazExterner Link fährt, fängt für die zwei Portugiesen die Arbeit an, denn sie putzen das Restaurant Tracouet bei der Bergstation der Seilbahn. Nach drei bis vier Stunden Arbeit sind die Räumlichkeiten wieder für den Ansturm der Touristen bereit, die am nächsten Morgen hier eintreffen werden.

Auf 2200 Meter Höhe ist Ruhe eingekehrt. Liliana Lopes und Luis Santana sowie zwei weitere Saisonniers aus Italien sind nun allein, weit weg vom hektischen Nachtleben im Wintersportort. Nach dem Essen in der Angestelltenküche, zieht sich das Paar in ihr kleines Zimmer unterhalb des Restaurants zurück, wohin wir sie nicht begleiten dürfen. «Wir haben hier Internet, so können wir am Abend portugiesisches Fernsehen schauen», erzählen sie.

Der 29-jährige Portugiese bereitet in der Küche die bekannten «Walliser-Teller» vor. swissinfo.ch

Der nächste Morgen beginnt um 8 Uhr in der Küche. Während der ganzen Wintersaison bleibt die Arbeit dieselbe, Tag für Tag. Die Freitage nutzt das Paar, um im Kanton Waadt Verwandte zu besuchen. Es ist jedoch ratsam, am späten Nachmittag wieder zurück zu sein, um die letzte Gondel bergwärts nicht zu verpassen.


«Wir haben kein einfaches Leben hier, doch wir können viel Geld auf die Seite legen», erklären sie uns. Nach Abzug der Kosten für Kost und Logis bleibt ihnen ein Monatslohn von rund 3000 Franken. «Für die Krankenkasse müssen wir beide monatlich je 200. Franken bezahlen. Daneben geben wir hier wenig Geld aus», so Luis Santana.

Ende April freut sich das Paar auf ihre Rückkehr nach Portugal, wo beide in einem Fünfsternehotel arbeiten. «Die Arbeitsbelastung ist dort höher, der Lohn aber dreimal kleiner», sagt uns Liliana Lopes. Trotzdem würden sie lieber bei ihren Familien bleiben, als im Winter in die Schweiz zu kommen, vorausgesetzt, sie bekämen eine feste Anstellung.

Rund dreissig Angestellte des Restaurants sind Saisonniers. Der Geschäftsführer Damien Barberon schart immer das gleiche Team um sich. Auch er kam einst ins Wallis, um im Gastgewerbe als Saisonnier zu arbeiten. Dann verliebte sich der Franzose in die Gegend und blieb. «Den Dialekt spreche ich nicht, aber den Esprit habe ich übernommen», sagt er. Zwei kleine Schweizer Fahnen schmücken seinen Hemdkragen.

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Die Holländer fahren Ski

Aus den ersten Gondeln strömen Skilehrer – alle in Rot gekleidet. Sie kommen für eine Saison hierher, die meisten aus der Schweiz, doch gibt es auch einige, die von anderswo herstammen. Hak Walenkamp, 49-jährig, ist Holländer und kommt seit zehn Jahren jeden Winter nach Nendaz. Nichts liess in seinem früheren Leben darauf schliessen, dass der Flachländer und ehemalige Besitzer einer Immobilienfirma Skilehrer werden würde.

Nach einer Scheidung und der Finanzkrise von 2007, die seine Geschäfte beeinträchtigte, musste er sich beruflich neu orientieren und begann im Sommer an einem holländischen Strand zu arbeiten. «Ich brauchte nun noch eine Anstellung für die Wintersaison, und weil ich ein paar Kurven auf Skis fahren konnte, suchte ich eine Stelle in einem Wintersportort», erzählt er.

Mit den Jahren wurde der Holländer zur «Legende von Nendaz». «Man gab mir diesen Übernamen, weil ich um fünf Uhr in der Früh nach Hause ging und um neun Uhr bereits wieder auf der Piste war – mit einem Lächeln im Gesicht», präzisiert er. Auf seinem T-Shirt steht: «I’m a living legend» (Ich bin eine lebende Legende). 

Das Cliché, dass Saisonniers gerne feiern, ist also doch nicht ganz aus der Luft gegriffen?

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Hak Walenkamp kommt vor allem aus Leidenschaft nach Nendaz: «Ich habe das schönste Büro der Welt.» Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, setzt er vor allem auf den Sommer. Denn die Skilehrer, die im Stundenlohn arbeiten, müssen mit Schwankungen bei der Kundschaft rechnen, die sich finanziell auswirken. «Drei Wochen im Januar laufen die Geschäfte eher mässig, da muss man gut vorausplanen,» gibt der holländische Saisonnier zu bedenken.

Die Wohngelegenheiten in Nendaz sind in der Regel für die Angestellten erschwinglich und zentral gelegen, was in andern Wintersportorten oft nicht der Fall ist. Um die Kosten zu senken, entscheiden sich jedoch viele für Wohngemeinschaften. So auch Ludovic Delerue, Skifachmann in einem Sportgeschäft und Snowboardlehrer. Mit einer Gruppe von Freunden mietet er jedes Jahr die drei gleichen Chalets. «Dies erlaubt uns, über die Preise zu verhandeln und uns entsprechend einzurichten“, erklärt uns der Franzose aus Lille, der seinen sechsten Winter hier verbringt. So ist über die Jahre auch ein Vertrauensverhältnis zu den Chaletbesitzern entstanden, denn gewisse Immobilienfirmen fordern eine Garantie. «Im ersten Jahr hatte ich Mühe, eine Wohnung zu finden. Die Agenturen verlangen oft zusätzlich zur Kaution den gesamten Mietbetrag», beteuert Ludovic Delerue.

Der Snowboard-Fan verbrachte mehrere Sommer am Meer, bevor er nun auch in der Sommersaison in Nendaz eine Arbeit als Landschaftsgärtner fand. Für nichts auf der Welt würde er sein Leben als flexibler Saisonnier gegen eine feste Anstellung in einem Büro tauschen wollen. So kann er nämlich in der Nebensaison günstig auf Reisen gehen. «Das ist Freiheit», meint er.

Après-Ski, eine Gefahr fürs Portemonnaie

Wer hier oben seinen Lebensunterhalt bestreiten will, muss jedoch wachsam bleiben, denn die Versuchung, im Nachtleben viel Geld auszugeben, ist gross. «In der ersten Saison stand ich mit 6000 Franken Schulden da. Ich hatte nicht genug Snowboard-Kurse und bin immer ausgegangen», gesteht Ludovic Delerue. Auch wenn ihnen die Partystimmung in den Wintersportorten gefällt, über eines sind sich die Saisonniers, die wir getroffen haben, einig: Der Umgang mit dem Nachtleben verlangt eine gewisse Disziplin, sonst bleibt das hart verdiente Geld in den Bars.

Sobald sich die Pisten leeren und die Transportanlagen den Betrieb einstellen, beginnt das Leben in der Après-Ski-Bar «Igloo Gloo». Aus den Lautsprechern ertönt Musik und an der Bar drängt sich die Kundschaft, in Skianzügen und -schuhen. Das ist der etwas ungewöhnliche Arbeitsplatz von Reva Segonne, 35-jährig, die hier unermüdlich und mit einem Lächeln Getränke ausschenkt. Das ehemalige Model aus Tahiti machte bei den Miss-France-Wahlen von 2006 als Vertreterin der Region Poitou-Charentes mit.

Sie, die ihre berufliche Laufbahn im Finanzsektor begonnen hatte, schätzt die Atmosphäre des Walliser Skiortes. «Wir haben hier eine schöne Gemeinschaft aus Saisonniers und Einheimischen, das ist es, was mir vor allem gefällt.» Auch sie rechnet übrigens damit, in Nendaz für die Sommersaison eine Arbeit zu finden.

Reva Segonne aus Tahiti: Die ehemalige «Miss Poitou-Charentes» ist in einer Après-Ski-Bar des Wintersportorts angestellt. swissinfo.ch

Die Stützen des Gastgewerbes

Weiter unten empfängt das Hotel Edelweiss die Skifahrer in einer heimeligen Atmosphäre. Die Touristen kosten verschiedene belgische Biere, offeriert vom flämischen Gastgeber Filip Duvillier, der ursprünglich bloss für eine Saison als Snowboardlehrer angeheuert hat. «Vor fast zehn Jahren bin ich eines Abends per Autostopp hier im Dorf gelandet. Die Dame, die mich mitgenommen hatte, sagte mir, ‘Pass auf, wer hier ankommt, geht nicht mehr weg!’.»

«Allzu junge Leute stelle ich nicht mehr ein. Ich will vermeiden, dass sie bloss nur zum Skifahren und Partymachen herkommen.»
Filip Duvillier

Auch der Snowboardlehrer ist dem Charme des Wintersportortes erlegen und avancierte, zusammen mit seiner Freundin Sarah Garcia, zum Hotelier. Alle Angestellten sind Saisonniers, die meisten aus Frankreich oder Belgien. «Wir erhalten nie Bewerbungen von Schweizern», sagt er. Es gilt eine Auswahl zu treffen. «Allzu junge Leute stelle ich nicht mehr ein. Ich will vermeiden, dass sie bloss nur zum Skifahren und Partymachen herkommen.» Heute kann er auf ein gut funktionierendes Team zählen, in der Vergangenheit musste er sich auch schon von Leuten trennen. Die passenden Mitarbeiter möchte er für ein Engagement in der nächsten Saison motivieren, was aber nicht immer gelingt. Jeder Saisonbeginn ist immer wieder eine Feuerprobe für das Hotel. «Es ist schwierig, das Personal vorgängig auf den Vollbetrieb einzustellen, da es zu Beginn wenig Kundschaft hat. Und plötzlich, von einem Tag auf den andern, steigt die Zahl der Gedecke von 25 auf 150. Wir haben gerademal zwei Wochen, um alles vorzubereiten», erklärt Filip Duvillier. Auch seinem Küchenpersonal erteilt er Ratschläge, bevor der grosse Ansturm einsetzt.  Der Hotelier mietet jeweils zwei Wohnungen für die Angestellten, die so die Möglichkeit haben, in einer Wohngemeinschaft für 350 Franken im Monat zu leben.

In den Hotels, den Restaurants, auf den Pisten oder in den Geschäften sind es die helfenden Hände, oft von weit herkommend, die es möglich machen, dass eine Gemeinde von 6600 Einwohnern in der Nebensaison auf 30’000 in der Hauptsaison anwachsen kann. «Ohne sie würde der Wintersportort nicht funktionieren», unterstreicht Baptiste Constantin, Direktor von Nendaz Tourisme. 

(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

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