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Die «Schweizer Schule» im Slum

Peter Baumgartner: Vom Journalisten zum Entwicklungshelfer. swissinfo.ch

Über zehn Jahre war Peter Baumgartner Afrika-Korrespondent des Zürcher TagesAnzeiger. Heute ist er Präsident einer Schule in den Slums von Nairobi.

Er habe inzwischen eine nüchterne Sicht auf Afrika, meint der ehemalige Journalist. Aber er hat doch die Hoffnung nicht aufgegeben – ein Besuch bei der Gentiana Primary School in Nairobi.

«Ich will nicht, dass die Kinder in der Schule vor weissen Besuchern tanzen und singen. Sie haben es für den Präsidenten der Eidgenossenschaft gemacht, aber das war eine absolute Ausnahme.» Wie viele Journalisten der älteren Generation nimmt Baumgartner kein Blatt vor den Mund. Seine Sprache ist direkt und manchmal etwas provokativ.

Die Schule, die Baumgartner präsidiert, kam vor kurzem zu grosser Ehre. Bundespräsident Moritz Leuenberger war dort im November zu Besuch. Die Gentiana Primary School liegt in der Nähe des Quartiers Kawangware, eine der grössten Slumsiedlungen von Nairobi.

Die Welt verbessern

Nach dem Studium der Geschichte und Politikwissenschaften in Zürich war Baumgartner während seiner ganzen beruflichen Karriere als Journalist tätig. Ein Beruf, den er mit Leidenschaft lebte: «Für mich war die Idee, die Welt verändern zu können, immer wichtig. Ich stehe für einen Journalismus, der klare Haltungen und Meinungen vertritt. Ein ich-bezogener, emotionaler Journalismus gefällt mir hingegen nicht. Ich glaube, nie in einem Artikel das Wort ‹Ich› verwendet zu haben.»

Während Baumgartner diese Gedanken ausspricht, schaut er seinen Interviewer ab und zu in die Augen. Ganz so, als wolle er den Effekt seiner Worte erkunden. Vielleicht aber auch, um zu verstehen, ob da wohl so ein junger Journalist steht, der eher an sich selbst denkt als an die Welt.

Bergwelt als Analogie zur Erklärung der Realität in Afrika

Peter Baumgartner hat sich zuerst beim TagesAnzeiger um Inland-Themen gekümmert, mit einem Schwerpunkt auf Umweltpolitik. In den 1980-er Jahren verfolgte er sehr intensiv die Bürgerbewegungen in den Tälern gegen den Bau der grossen Wasserkraft-Anlagen.

Wenn Baumgartner spricht, erwähnt er oft die Alpen. Die Bergewelt verwendet er als Analogie, um die Realität in Afrika zu erklären. Die Alpen gaben auch der Schule von Nairobi ihren Namen. Und an den Wänden der Gentiana Primary School hängen Poster vom Aletsch-Gletscher.

Von den Alpen nach Afrika

Bis zu Beginn der 1990-er Jahre schien die Karriere Baumgartners ausschliesslich in helvetischen Bahnen zu verlaufen. Doch interne Konflikte auf der Redaktion brachten ihn dazu, sich nach einem Posten als Korrespondent umzuschauen. «Mich interessierte eigentlich Lateinamerika wegen der Befreiungsbewegungen, aber dort gab es keinen Job. So ging ich nach Afrika.»

Im März 1994 kam er in Afrika an. Und am 8.April war er bereits in Ruanda, wo sich gerade der schreckliche Genozid ereignete. «Ich habe heute noch Mühe, in dieses Land zu reisen, und ich bin immer froh, wenn ich es wieder verlasse. Die Erinnerung an das grauenhafte Gemetzel ist sehr stark.»

Afrika intensiv bereist

Bis zu seiner Pension im Jahr 2005 hat Baumgartner den afrikanischen Kontinent intensiv bereist. In einem seiner unzähligen Artikel berichtete er über eine Schule, die 1994 von einer Gruppe von Frauen in Kawangware gegründet worden war.

Nach dem Erscheinen des Artikels in der Zeitschrift Wendekreis haben einige Leute Spenden angekündigt. «Das hat mich beflügelt, selber etwas zu tun.» Und so wurde Baumgartner Präsident der Schule.

Eine Schule im Slum

Der Schulunterricht fand anfänglich in Baracken aus Wellblech statt. Erst seit dem 9. Juli 2006 verfügt die Schule über feste Räumlichkeiten in einem Gebäude, die mit Hilfe einer Schweizer Stiftung erworben wurden. Dabei konzentriert sich die Schule in ihren Aktivitäten immer stärker auf Kinder mit Lernschwächen.

«Der Unterricht in Kenia verläuft in der Regel sehr traditionell: Der Lehrer sagt etwas vor, die Schüler müssen repetieren», sagt Baumgartner. Die Gentiana Primary School geht andere Wege. Die Klassen sind kleiner, die Schüler lernen in Arbeitsgruppen, jede Woche diskutieren Lehrer und Schüler über die Probleme der Schule.

Peter Baumgartner ist ein kritisch-kämpferischer Geist. Und er will, dass auch in der Schule jeder eine eigene Meinung vertritt. «Ich habe lange daran gearbeitet, dass die Lehrer mir auch mal widersprechen», betont er.

Ungewisse Zukunft der Schule

Doch der ehemalige Journalist sorgt sich um die Zukunft der Schule. Denn nach über zehn Jahren in Nairobi wird er selbst irgendwann in die Schweiz zurückkehren. Und die Erfahrungen in Afrika haben Spuren hinterlassen. Er ist skeptisch, dass das Projekt nachher alleine vorankommt.

Trotz dieser Skepsis teilt er die generelle Verurteilung der Entwicklungshilfe, wie sie in den letzten Monaten häufig in der Schweiz zu hören war, nicht. Baumgartner: «Afrika braucht vor allem Investitionen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen.»

Andrea Tognina, Nairobi
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Die Schule wird zur Zeit von 275 Schülern besucht. 13 Lehrer arbeiten dort sowie ein Abwart, zwei Nachtwächter und zwei Köche.

Dank finanzieller Hilfe durch die Schweizer Botschaft in Nairobi konnten die Lehrer alle eine Ausbildung absolvieren.

Neben dem Unterricht bietet die Schule weitere Dienstleistungen an: Sozialhilfe und Beratung für arme Familien; Unterstützung und Stipendien für Waisenkinder, deren Eltern an Aids starben; ein Lehrprogramm für Schüler, welche die Prüfungen für die weiter führende Schule nicht bestehen.

An der Schweizer Botschaft in Nairobi sind zur Zeit 770 Schweizer Bürger mit Wohnsitz in Kenia gemeldet.

Die Schweizer Gemeinschaft in Kenia besteht laut Botschaftsmitarbeiter Arthur Mattia aus drei Kategorien: Wirtschaftsvertreter, Mitarbeiter von Nichtregierungs-Organisationen (NGO) sowie Rentner, die vor allem an der Küste leben.

Die Schweizer Botschaft in Nairobi ist nicht nur für Kenia, sondern auch für Uganda, Burundi, Ruanda, Somalia und die Seychellen zuständig. Ausserdem repräsentiert sie die Schweiz bei den UNO-Vertretungen in Nairobi.

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