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Die Weltreligionen unter einem Dach

Gebetsräume für jede und jeden – mit einem Hindutempel, dessen Turm über das Dach reicht – und Gemeinschaftsräumen für den Dialog zwischen den Kulturen. Das ist das Konzept für das Haus der Religionen in Bümpliz. swissinfo.ch

Einmalig auf der Welt: Im multikulturellen ehemaligen Arbeiterquartier am Stadtrand von Bern wird ein Haus eröffnet, das fünf Kultstätten von  fünf verschiedenen Weltreligionen beherbergt -  ein Ort des Zusammenlebens, aber auch ein Ort des Dialogs und zugänglich für die Öffentlichkeit.

Der Künstler gibt mit seinem Spachtel der Rundung der Schulter von Ganesh den letzten Schliff. Die kleine Gottheit mit dem Elefantenkopf sitzt auf dem Knie von Shiva, einem der wichtigsten Götter des Hinduismus.

Unter dem Gerüst rührt ein Arbeiter den Mörtel an. Der Lärm der Maschine übertönt die tamilische Sängerin, die mit einem tragbaren Verstärker Stimmübungen absolviert. Im Hintergrund leuchten bereits einige geschmückte Altäre in lebhaften Farben. Doch dem Gopuram (Eingangsturm) beim Zugang zum Tempelareal bleibt vorläufig nur die Farbe des Zementes.

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Denn die Steinmetze und die Maler sind extra aus dem südindischen Bundesstaat Tamil Nadu angereist. «Es war ziemlich schwierig, ihre Visa zu beschaffen. Das Prozedere schien endlos, jeder Schritt entfachte einen neuen Papierkrieg,» erzählt Priester Sasikumar Tharmalinguam, der im Haus der ReligionenExterner Link die hinduistischen Gottesdienste leiten wird. «Endlos ist noch harmlos ausgedrückt…», widerspricht Brigitta Rotach, Verantwortliche der Kulturprogramms der Institution.

Heute können sie beinahe darüber lachen, der Tag der Eröffnung (am 14. Dezember) ist endlich gekommen. Die bürokratischen Schwierigkeiten sind vergessen, nun ist Zeit für das Fest, für die Begegnungen, für die Verwirklichung einer Vision, die vor fast 15 Jahren ihren Anfang nahm.

«Das Wunder von Bern»

«Dieses Projekt ist absolut überflüssig und wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit scheitern,» so die Antwort eines Beamten, dem die Väter des Hauses der Religionen Anfang 2000 die erste Idee unterbreiteten.

Tatsächlich war es nicht einfach, für den Bau die nötigen Mittel zu finden. Jede der Gemeinschaften errichtete ihre Kultusräume auf eigene Rechnung, doch die Lokalitäten und die gemeinsame Infrastruktur kosteten trotzdem rund 10 Millionen Franken. Mehr als hundert Stiftungen, Institutionen und Unternehmungen wurden angefragt, um die Summe zusammenzubringen.

Die grössten Beträge kamen schliesslich von der Stiftung Rudolf und Ursula Streit (2,75 Millionen Franken), vom Lotteriefonds des Kantons Bern (2,2 Millionen), von der Burgergemeinde Bern (900’000 Franken) und von verschiedenen Gönnern (2 Millionen Franken). Die zwei Landeskirchen (katholisch und reformiert) gewährten je einen zinslosen Kredit von einer Million Franken. 

Von der gemeinsamen Utopie zum eigenen Haus

Damals moderierte Brigitta Rotach, eine Zürcher Theologin jüdischer Herkunft, die Sendung «Sternstunde Religion» am Deutschschweizer Fernsehen. Dort lernte sie Hartmut Haas kennen, Pfarrer der evangelischen Herrnhuter Brüdergemeinde und langjähriger Geschäftsführer des Berner Vereins «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen»Externer Link. Haas hatte zuvor einige Jahre in Palästina gelebt, es war die Zeit kurz nach dem 11. September 2001, und die ganze Welt sprach vom «Zusammenprall der Kulturen». Er kam mit einem Iman und einem Rabbiner zusammen, zu dritt entwarfen sie die Utopie eines Hauses, unter dessen Dach die Religionen gemeinsam zu Hause sind.

Zu diesem Zeitpunkt sind sich die Väter dieser Idee sehr wohl bewusst, dass die Mauern nicht wie ein Wunder aus der Erde wachsen würden. Doch Hartmut Haas will nicht warten, bis das Haus da ist. Erster Begegnungsort ist die Küche seiner Privatwohnung, alsbald findet er ein Lokal in der Stadt, das bereits den Namen «Haus der Kulturen» trägt und wo die Religionsgemeinschaften bereits ein Restaurant betreiben, sowie Sprach-, Integrations- und Yogakurse anbieten. Dann zieht die Institution in eine Holzbaracke um. Die Hindus haben einen kleinen Tempel, die Buddhisten, die Aleviten (keine dogmatischen, ein Zweig der Schiiten) und die Herrnhuter Brüdergemeinde versammeln sich dort zum Gebet und zur Meditation.

Notwendigkeit als erstes Gebot

Das neue Gebäude am Europaplatz hat mit den alten Lokalitäten aus frühen Jahren jedoch nichts mehr gemein. Der brandneue Komplex beherbergt Wohnungen, ein Einkaufszentrum und als Herzstück das «Haus der Religionen». Dieses besteht aus einem grossen Gemeinschaftsraum und einer Reihe kleinerer Räume, die für gemeinsame Aktivitäten gedacht sind. Rundherum, auf zwei Stockwerken verteilt, befinden sich die Gebetsräume der fünf Religionen: Christen, Muslime, Hindus, Buddhisten und Aleviten.

Jeder nach seinem Glauben

Nach Angaben der letzten Volkszählung von 2012, veröffentlicht vom Bundesamt für Statistik, sind die über 15-jährigen Einwohner der Schweiz (in gerundeten Zahlen) zu:

71% Christen

21% konfessionslos

5% Muslime

0,3% Juden

 

Eine Studie des Schweizerischen Nationalfonds, die im Oktober 2014 publiziert wurde (befragt wurden 1229 Personen),  zeichnet ein differenzierteres Bild der religiösen Landschaft der Schweiz. Danach sind die Schweizer zu:

 

57% gläubig, aber nicht praktizierend

18% praktizierend

13% andern Glaubensgemeinschaften zugehörig

12% atheistisch

 

Nach einer Umfrage von Telecom-Anbieter Bluewin im Oktober 2014 bei 1253 Internetbenutzern sind die Schweizer zu:


58% ungläubig,

42% glauben an Gott oder an eine höhere Gewalt,

Die befragten Personen konnten auch mehrere Antworten geben und glauben auch:

an übernatürliche Kräfte (39%), an Engel (24%), an Wunder (20%), an Geister (9%), oder an den Teufel (6%).

Warum gerade sie und nicht andere? Da spielen lokale Gründe eine Rolle. Auch wenn das Haus der Religionen einen universellen symbolischen Wert darstellt, gibt es auch eine Geschichte, die in der bernischen Realität verankert ist. «Für die Wahl haben wir keine Rangliste der grössten Religionsgemeinschaften erstellt. Tatsache ist aber, dass jene, die nun im Haus einen Ort zum Beten haben, jene sind, die ihn auch am nötigsten haben», erklärt Brigitta Rotach. «Hier im Westen von Bern leben die meisten Immigranten, und es gibt nicht wenige, die ihre Kultusräume in Hinterhöfen, Industriehallen oder Kellern haben.»

Das heisst nicht, dass sich die andern Religionen nicht für das Haus interessieren. Jene, die keine eigenen Kultusräume haben, sind in einem Schaufenster und durch Animationen im gemeinsamen Raum trotzdem präsent, so die Juden, die Sikhs und die Bahai.

Bern – Hauptstadt der Toleranz?

Alle sind sich einig: Hartmut Haas und die Herrnhuter Brüdergemeinde sind die treibende Kraft in diesem bernischen Abenteuer. Der katholische Theologe Toni Hodel vermutet, dass es auch anders hätte enden können. «Doch wir pflegen hier schon seit langer Zeit den Dialog – in provisorischen Räumen, die dem Haus der Religionen vorausgegangen sind», präzisiert er.

Der albanische Imam Mustafa Memeti würdigt das Projekt mit lobenden Worten: «Es war Schicksal und der Wille Gottes, dass die fortschrittlichen Kräfte der verschiedenen Religionsgemeinschaften miteinander in beispielhafter und konstruktiver Art für die Realisierung dieses einzigartigen Projektes zusammenarbeiteten». Und Ralph Friedländer, Präsident der jüdischen Gemeinschaft von Bern, betont, dass ein Projekt, das die Verständigung und den Dialog fördert, «einen dauerhaften Beitrag zum Frieden und dem gegenseitigen Verständnis leisten muss.»

Für Körper und Geist

«Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass wir nicht die Welt retten werden», weiss Brigitta Rotach. «Doch das Haus der Religionen wird sein gesetztes Ziel erreichen und kann in Bern zumindest etwas dazu beitragen. Sollte jemand Berührungsängste haben mit andern Religionen, dann könnte schon eine Begegnung mit Andersgläubigen den Abbau von Vorurteilen fördern».

Ein Tisch ist der ideale Ort für Begegnungen, deshalb ist im Erdgeschoss des Hauses ein Restaurant untergebracht. Sasikumar Tharmalinguam steht hinter den Kochtöpfen und bietet ayurvedische Mahlzeiten an, eine «100%-ig vegetarische Küche, die Ihr Leben verlängert». Ein Teil des Gemüses kommt aus dem eigenen Garten des Hauses, die Frauen backen Kuchen für die Nachmittage und die Wochenenden.

Jedem seinen Glauben

Wer die Räume der Gemeinschaften besucht, wird feststellen, dass alle Religionen versuchen, ihre Eigenheiten zu bewahren. «Wir animieren zum Dialog, aber wir werfen nicht alle in einen Topf, unterstreicht die Kulturanimatorin. Es geht nicht darum, gleich zu sein und die Religionen auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren. Ich erinnere mich an junge Gläubige, die in Debatten vehement ihre Wahrheit verkündeten und zugeben mussten, nur mit Mühe die Wahrheit anderer akzeptieren zu können. Solche Diskussionen sind mir willkommen, sie wirken belebend, und es ist zu hoffen, dass sich ein Publikum einfindet, das mit Verve den eigenen Glauben verteidigt», so Rotach.

Auch jene wachsende Zahl von Menschen in der Schweiz, die einem Glauben immer weniger abgewinnen können, sind im Haus der Religionen willkommen und können von unseren Angeboten profitieren. «Das Restaurant, die Yogakurse, die Filmvorführungen werden Leute anziehen, und man kann ayurvedisch essen, auch ohne davon überzeugt zu sein. Wir müssen auch den Leuten etwas bieten, die sich nicht leidenschaftlich mit Fragen nach der Wahrheit beschäftigen», unterstreicht Brigitta Rotach.

(Übertragen aus dem Französischen von Christine Fuhrer)

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