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Wie steht es mit den Rechten der LGBTIQ in der Schweiz?

Drohungen und Gewalt gegen die LGBTQI-Community nehmen zu

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Diskriminierung und Angriffe gegen LGBT-Personen nehmen in der Schweiz zu. Copyright 2021 Keystone-sda. All Rights Reserved.

Die Offenheit gegenüber LGBTQI-Personen in der Schweiz nimmt zu. Doch gleichzeitig werden immer mehr Drohungen und Hassverbrechen gegen die Community registriert – Ziel der Attacken waren zuletzt auch eine Schule und eine Bibliothek.

Am Ende blieb nur noch die Absage: Am 11. Mai kündigte die öffentliche Sekundarschule Stäfa an, auf ihren für den 15. Mai geplanten «Gender-Tag» zu verzichten. 

Nach Tweets von Politiker:innen und Aktivist:innen seien Mitarbeitende der Schule bedroht worden, aus Sicherheitsgründen bleibe nur die Streichung der Veranstaltung, erklärte die Gemeinde am Zürichsee in einer Stellungnahme. 

Namentliche Kritik übte sie an Andreas Glarner. Der Nationalrat der rechtskonservativen SVP gilt über das linke Lager hinaus als geübter Provokateur und Brandstifter. Er hatte auf Twitter ein Bild der von der Schule verschickten Einladung zum Gender-Tag gepostet und beanstandet, dass die Teilnahme obligatorisch sei. Indirekt forderte er die Entlassung der Schulleitung.

Die lokale Behörde in Stäfa erklärte, dass es bei der Veranstaltung keineswegs darum gehe, jungen Menschen eine Meinung aufzuzwingen. Es gehe um «einen offenen Austausch und Dialog über gesellschaftliche Rollenbilder, über Stereotypen und Sexualität» – Themen, die durch den national verbindlichen Lehrplan vorgegeben seien.

Das Vorgehen von Glarner und anderen, die die Absage der Veranstaltung erzwungen hatten, sei ein «unerhörter Vorgang».

Tatsächlich war der Fall bis dahin einzigartig in der Schweiz und entsprechend gross waren die Schlagzeilen. Ein singuläres Ereignis sollte er aber nicht bleiben. Nur wenige Wochen später sorgte eine Lesung für Kinder in einer Zürcher Bibliothek für Gehässigkeiten und einen Medienrummel. Der Grund: Als Vorleser:innen agierten Drag-Performer:innen.

Flyer für die Draag Story Time, eine Leseveranstaltung in einer Bibliothek in Zürich.
Flyer für die «Draag Story Time», eine Leseveranstaltung in einer Bibliothek in Zürich. PBZ.ch

Da rechte Gruppierungen in den sozialen Medien Protest gegen die Veranstaltung angekündigt hatten, fand die Veranstaltung unter Polizeischutz statt. 

Zwischenfälle blieben zwar aus. Aber die Anti-Gender-Bewegung der Schweiz zeigte erstmals offen ihr Gesicht und Potenzial als neues Sammelbecken für reaktionäre und rechte Gesinnungen. Unter den Demonstranten liefen etwa die sogenannten Freiheitstrychler mit: bärtiger Männer in Wilhelm-Tell-Kutte mit Kuhglocken. Eine Gruppierung, die bei den Anti-Massnahmen-Protesten in der Pandemie erstmals prominent in Erscheinung getreten war.

LGBTQI-Organisationen sehen diese Aktionen der rechten Szene als politische Inszenierung im Vorfeld der nationalen Parlamentswahlen im Oktober. Die rechtskonservative SVP hat im Wahljahr den Kampf gegen die Genderpolitik ausgerufen, und kopiert dabei unverhohlen Rezepte wertkonservativer Republikaner:innen in den USA.

Was bedeutet LGBTQI?
LGBTQI steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, queere und intersexuelle Menschen.

Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink CrossExterner Link, dem Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer in der Schweiz, sagt gegenüber SWI swissinfo.ch: «Die SVP will mit ihrer Propaganda lediglich ihr konservatives Familien- und Rollenideal weiter stärken. Eigentlich geht es ihnen gar nicht um LGBTQI-Personen. Es wird nun lediglich auf unserem Buckel ausgetragen, weil Geschlecht und Sexualität Themen sind, welche die Menschen beschäftigen.»

Hassverbrechen nehmen zu

Die Angriffe auf sexuelle Minderheiten gehen über politische Kampagnen hinaus. Die Zahl der Fälle, in denen LGBTQI-Personen diskriminierenden Äusserungen und körperlicher Gewalt ausgesetzt waren, sind in den letzten Jahren gestiegen.

Laut einer Untersuchung, die von mehreren Organisationen zur Unterstützung sexueller Minderheiten durchgeführt wurde, erhielt die LGBTQI-Helpline, ein inländischer Beratungsdienst für LGBTQI-Personen, im vergangenen Jahr 134 Berichte über Angriffe und Diskriminierung durch andere. Dies ist der höchste Wert, seit die Statistik 2016 erstmals erhoben wurde. 

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In den meisten Fällen handelte es sich um Gewalt oder diskriminierende Äusserungen aufgrund der sexuellen Ausrichtung, wobei 45 Fälle auf der Strasse oder in anderen öffentlichen Räumen auftraten. LGBTQI-Organisationen warnen jedoch, diese Zahl sei nur die Spitze des Eisbergs, da viele Menschen keine Beratungsstellen aufsuchen würden.

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Zürich Pride im Juni 2022
Zürich Pride im Juni 2022. Die Zürich Pride ist die grösste Veranstaltung für LGBTQI-Personen, aber der Monat Juni verzeichnete auch die höchste Zahl an Hassverbrechen. © Keystone / Michael Buholzer

Transgender-Personen, deren biologisches und soziales Geschlecht nicht übereinstimmen, waren laut der Umfrage besonders betroffen. «Es ist zwingend, dass der Staat mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeitet und uns unterstützt, um der tagtäglichen Transfeindlichkeit entgegenzuwirken», appelliert Alecs Recher vom Transgender Network Switzerland (TGNS) in einer Stellungnahme. 

Trotz der Entwicklung der Infrastruktur

Ungeachtet der offenen Anfeindungen hat sich der Schutz der Rechte von LGBTQI-Personen in der Schweiz in den letzten Jahren deutlich verbessert: 2020 wurde die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe gestellt, 2022 wurde die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Beides wurde in Volksabstimmungen von über 60% der Stimmenden unterstützt.

Darüber hinaus ist es für LGBTQI-Menschen ab 2022 viel einfacher geworden, ihr Geschlecht und ihren Vornamen im Melderegister zu ändern.  

Auch in den Städten wird die Infrastruktur für LGBTQI-Menschen ausgebaut. Letztes Jahr beschloss die Stadt Zürich, ein Drittel der Toiletten in neuen öffentlichen Schulgebäuden geschlechtsneutral zu gestalten.

In der Stadt Zürich gibt es ein Projekte zur Schaffung von Gemeinschaftsgräbern für sexuelle Minderheiten, sowie ein ProjektExterner Link für eine Seniorenwohnanlage für LGBTQI-Personen.   

Warum nehmen Hassverbrechen zu, während die Gesellschaft LGBTQI-Menschen gegenüber offener wird? Heggli von Pink Cross sagt, LGBTQI-feindliche Menschen seien eine Minderheit in der Gesellschaft.

«Die steigende Akzeptanz in den letzten Jahren hat leider auch zu einer Gegenbewegung geführt, die momentan sehr laut ist. Nun ist es wieder salonfähig, im Fernsehen und der Politik die Daseinsberechtigung und Menschenrechte von queeren Personen in Frage zu stellen. Und das führt schlussendlich auch zu mehr Hassverbrechen.»

Was kann die Gesellschaft tun?

In verschiedenen Lebensbereichen, darauf weisen die genannten Organisationen hin, sind LGBTQI-Personen noch benachteiligt.

So stellte die  erste nationale Studie zu gesundheitlichen Ungleichheiten zwischen LGBT-Personen und der übrigen Schweizer BevölkerungExterner Link eine erhöhte Quote für Depressionen, Suizidgefährdung und Suizidversuche fest.

26% der insgesamt über 2000 Befragten gaben zudem an, im Gesundheitswesen aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Präferenz diskriminiert worden zu sein. 16% sagten aus, sie hätten aus Misstrauen gegenüber Ärzt:innen auf medizinische Konsultationen verzichtet. Der Wert ist doppelt so hoch viele wie bei Nicht-LGBT-Personen (6,9%).

Die Landesregierung hat Schritte unternommenExterner Link, um die Situation zu verbessern: Fragen rund um die Gleichstellung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, Trans- sowie intergeschlechtlichen Personen werden ab 2024 im Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann behandelt. Dafür werden zwei neue Stellen geschaffen. Es wird ausserdem ein «Nationaler AktionsplanExterner Link gegen LGBTQ-feindliche «hate crimes»» ausgearbeitet.

Für Heggli sind weitere strukturelle Massnahmen nötig, beispielsweise mehr Aufklärungen an den Schulen.

«Die Gesellschaft selbst kann mehr tun», sagt er. «Wenn alle Menschen sich wieder ein bisschen stärker bewusst werden, wie vielfältig unsere Gesellschaft und das Leben ist, führt das schlussendlich zu einer offeneren Gesellschaft. Das ist wichtig für alle, nicht nur für die queeren Person.»

Einige Länder der Welt haben Anti-LGBT-Gesetze erlassen.

Laut einem Bericht von CNNExterner Link wurden in den Bundesstaaten der USA seit Anfang Jahr mindestens 417 Gesetzesentwürfe gegen LGBTQ-Personen eingebracht. Nach Angaben der American Civil Liberties Union ist dies ein neuer Rekord und schon jetzt mehr als doppelt so viel wie im ganzen Jahr 2022.

In Russland wurde 2022 ein geändertes Gesetz verabschiedet, das das Verbot von homosexueller «Propaganda» verschärft. Es ist nicht mehr möglich, auf öffentlichen Plätzen, in Büchern, Filmen oder in sozialen Medien für Homosexualität oder Transsexualität zu «werben», und Verstösse können mit hohen Geldstrafen geahndet werden.

Ungarn hat 2021 ein Gesetz verabschiedet, das die Darstellung von Homosexualität und Transsexualität in Unterrichtsmaterialien für Minderjährige verbietet.  

Ugandas Präsident Yoweri Museveni hat kürzlich das sogenannt «härteste Anti-LGBTQI-Gesetz» der Welt unterzeichnet. Es sieht die Todesstrafe für sogenannt «schwere Homosexualität» vor, ein Begriff, der Sex mit Minderjährigen, Sex mit HIV-Positiven und Inzest einschliesst.

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