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Ein Akt der Selbstvergewisserung

Keystone/Fabrice Coffrini

Ein Chaos, eine Zangengeburt, schliesslich ein Publikumserfolg: das war die Expo 02. Die Ostschweiz plant für 2027 eine Landes-Ausstellung. Das Land brauche wieder eine "Art kollektive Selbst-Vergewisserung", sagt der Philosoph Georg Kohler.

«Landesausstellungen sind eine schweizerische Spezialität. Sie sind gewissermassen ja auch eine Demonstration der momentanen geistigen Lage der Nation. Es gehört irgendwie zur Schweiz, dass man alle 25 bis 30 Jahre versucht, eine Art kollektive Selbstvergewisserung durchzuführen», sagt der emeritierte Professor für politische Philosophie, Georg Kohler, im Gespräch mit swissinfo.ch.

Die Schweiz setze sich aus «ganz verschiedenen Bereichen kultureller, sprachlicher und geographischer Art zusammen. Deshalb braucht es diese explizite Bemühung der Frage, was uns zusammenhält und wie man die kollektive Selbstbestimmung unter der Voraussetzung einer im Grunde genommenen kulturell gesehen fragilen Identität herstellt. Das gehört seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Schweiz».

Nach dem Fall der Berliner Mauer seien das Selbstbewusstsein und die als bewaffnet neutral und dem Westen zugehörige Definition des Landes «zerbrochen», so Kohler: «Dieses Selbstverständnis, das zwischen 1945 und 1990 gut funktioniert hat, passt nicht mehr zur Welt, wie sie nachher entstanden ist.»

Eine Landesausstellung sei auch deshalb nötig, «weil der Prozess der Neufindung der Schweiz für die Zeit nach 1990 noch längst nicht abgeschlossen ist».

Spannungen zwischen Romandie und Deutschschweiz

Der Wille, die nationale Kohäsion zu verbessern, markierte den Anfang dessen, was schlussendlich zur Expo 02 wurde. In einem Grundsatzentscheid hatte sich das Parlament zu Beginn der 1990er-Jahre für die Durchführung einer Landesausstellung im Jahr 1998 – zum 150-Jahr- Jubiläum des modernen Bundesstaates – ausgesprochen.

Kurz vorher hatte die Deutschschweiz die Romandie in der Frage eines Beitritts zum Europäischen Wirtschaftsraum überstimmt, die nationale Airline Swissair die Langstreckenflüge ab Genf gestrichen und der Kanton Zürich eine Diskussion über Englisch statt Französisch als erste Fremdsprache in der Primarschule lanciert. Das führte zu Spannungen zwischen den Sprachregionen.

Jede Landesausstellung war umstritten

Der Eröffnung der Expo 02 gingen ein jahrelanges Hin und Her, Querelen und Diskussionen voraus. Das Datum musste mehrmals verschoben, die gesamte Führungsriege ausgetauscht und das Budget gekürzt werden.

Trotzdem wurde der Grossanlass mit mehr als 10,3 Millionen Eintritten zu einem Publikumserfolg. Die Medien, die sich im Vorfeld mehrheitlich kritisch zeigten, lobten den Anlass als «Spiegelbild des Landes und des modernen Lebens», die spektakuläre Architektur und die Begegnungen zwischen Deutschschweizern und Romands.

Auch vorherige Landesausstellungen waren hoch umstritten. Die «Landi» 1939 etwa musste mehrmals verschoben werden, unter anderem darum, weil sich die Bauern damals wehrten, dass der Anlass in der «roten Stadt» Zürich stattfand. Sie ging schliesslich als patriotischer Höhepunkt  in die Geschichte ein.

Noch vage ist derzeit das Projekt für eine Landesausstellung im Jahr 2027 in der Ostschweiz. Konkret haben sich die Regierungen der Kantone Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen und Thurgau auf die Ausarbeitung eines Vorprojektes geeinigt. Bis Ende 2012 soll über eine Konkretisierung entschieden werden.

Schwieriges Festen

Gescheitert ist das Projekt des Tessiner Tourismus-Präsidenten Marco Solari und der Kantone Tessin, Wallis, Uri und Graubünden einer Landesausstellung rund um das Gotthard-Massiv.

Solari ortet die Gründe gegenüber swissinfo.ch in der «unterschiedlichen Interessenlage der involvierten Kantone und in der Vorsicht der Gebirgskantone gegenüber grösseren Initiativen».

Solari wollte die Ausstellung mit der Eröffnung der Eisenbahn-Alpentransversale durch den Gotthard verbinden, einem Jahrhundert-Bau von europäischer Bedeutung.

«Kaum ist der teure Tunnel gebaut, da beginnt das Ächzen und das Stöhnen, kommen die Einwände, wir hätten jetzt schon so viele Milliarden ausgegeben für den Bau und kein Geld mehr für ein Fest. Das Festen ist in diesem zwinglianischen etwas schwierig», sagt Solari: «Der Schweizer ist kein grosser Visionär. Er liebt das Praktische, das Pragmatische, das Kleinere.»

Er sei jedoch überzeugt, dass es eine weitere Landesausstellung geben werde, wenn die Ostschweiz das auch wirklich wolle. «Das würde auch Sinn machen. Dieses physische Zusammenkommen, das dann auch sehr vieles auslöst, das hat in einer Zeit, in der sich jeder hinter dem Computer verschanzt, eine grosse Bedeutung.»

Die Expo 02 war die 6. Schweizer Landesausstellung und fand vom 15. Mai bis zum 20. Oktober 2002 in der Region des Bieler-, des Neuenburger- und des Murtensees statt.

39 Ausstellungen und mehr als 13‘500 Veranstaltungen machten die Drei-Seen-Region während 159 Tagen zum kulturellen Zentrum der Schweiz.

Die Expo 02 war dezentral angelegt und bestand im Wesentlichen aus Ausstellungsgeländen in Biel, Neuenburg, Murten und Yverdon.

Die Infrastrukturen wurden eigens für den Anlass gebaut und nach dessen Ende wieder abgerissen.

Bei einem Gesamtbudget von 1,6 Milliarden Franken hinterliess der Anlass ein Defizit von 690 Millionen Franken.

Die Organisatoren zählten 10,3 Millionen Eintritte, was bedeutet, dass viele Schweizerinnen und Schweizer die Ausstellung mehr als einmal besucht haben und dass auch Besucher aus dem Ausland kamen.

65% der Besucher reisten mit dem Zug an, 30% mit dem Auto.

Austragungsorte der vorherigen Landes-Ausstellungen waren Zürich (1883 und 1939), Genf (1896), Bern (1914) und Lausanne (1964).

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