Zersiedelung als Konsequenz der Selbstverwirklichung?
Viele Schweizer und Schweizerinnen träumen vom Eigenheim. Doch der Einfamilienhaus-Boom trägt nicht nur zur Zersiedelung des Landes bei. Diese Bauform ist auch sehr teuer.
Die dreijährige Shira zeichnet am Holztisch im Wohnzimmer. Noa, 1 Jahr alt, ist auf dem Arm von Vater Michael Halpern. Aviva ist noch in der Schule. Familie Halpern hat Glück: Sie konnte die Hälfte eines Doppel-Einfamilienhauses kaufen. Im Osten der Stadt Bern, in der Nähe von Kindergarten und Schule. Vater Halpern erzählt, dass er und seine Frau unbedingt einen Garten gewollt hätten. «Ein direkter Zugang zum Garten war uns wichtig», sagt der Familienvater.
Zudem schätzt Halpern die Freiheit, die das Einfamilienhaus biete. Spürbar war dies bereits beim Umbau des Hauses aus den frühen 1920er-Jahren. «Es hat etwas Gemütliches, sein eigenes Nest zu haben. Vielleicht könnte man das in einer Wohnung auch haben.»
Schon fast eine Million Einfamilienhäuschen
Nach diesem Bauchgefühl sehnen sich viele Menschen. Jedes Jahr entstehen neue Einfamilienhäuser. Zählte das Bundesamt für Statistik 1990 noch knapp 54 Prozent Einfamilienhäuser, waren es 2017 über 57 Prozent. Anders ausgedrückt: 2017 standen in der Schweiz mehr als 990’000 Einfamilienhäuser.
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Die Hausbesitzer
Für Fachleute spielen Einfamilienhäuser bei der Zersiedelung der Schweiz durchaus eine Rolle. ETH-Architekt Raffael Graf ist Mitinhaber des Berner Architekturbüros Bauart. Graf sagt: «Einfamlienhäuser spielen eine sehr grosse Rolle, weil es eine Bauform ist, die sehr grossen Landverbrauch nach sich zieht. Und die Kosten der öffentlichen Erschliessung sind eher hoch im Vergleich zu einer städtischen Überbauung.»
Klassische Einfamilienhäuser sind beliebt
Eine Umfrage des Bundesamts für Kultur aus dem letzten Jahr zeigt: Gut 60 Prozent von 1000 befragten Schweizerinnen und Schweizern möchten am liebsten in einem ländlich geprägten Dorf mit viel Grünem wohnen. Eine Mehrheit wünscht sich das klassische Einfamilienhaus mit Gibeldach.
Warum dies so ist, erklärt Felix Keller, Assistenzprofessor für Soziologie an der Universität St. Gallen. Er hat sich mit Siedlungsfragen und Utopien befasst. «Das Einfamilienhaus ist quasi die Mikro-Utopie eines autonomen Lebens. Soziologen sprechen auch vom Territorium des Selbst. Dahinter steckt die Idee, dass man sich ein selbstbestimmtes Leben einrichten kann und sich nicht in eine Abhängigkeit begibt.»
Das allerdings stimme so nicht, schränkt der Soziologe ein, es entstünden dafür andere Abhängigkeiten, zum Beispiel finanzielle, und man sei an die Wohngemeinde gebunden. Das Haus bestimme unter Umständen sogar, ob man einen bestimmten Arbeitsplatz wählen könne. Der Traum vom Eigenheim kann – so Keller – zum Alptraum werden.
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So wohnen Schweizer und Schweizerinnen
Ansprüche führen zu grossem Landschaftsverbrauch
Aber auch davon lassen sich offenbar viele Leute nicht überzeugen. «Der Wunsch, sich zu verwirklichen, ein autonomes, selbständiges Leben zu führen, ist in einer hochkomplexen Welt sehr verständlich. Das Problem liegt daran, dass die individuelle Rationalität zu einer kollektiven Irrationalität und zu einem grossen Verbrauch von Landschaft führt.»
Alternativen zum Einfamilienhaus gebe es, sagt Architekt Graf, zum Beispiel gestapelte Einfamilienhäuser. Dabei werde versucht, die Vorzüge des Einfamilienhauses nicht nur auf einer Parzelle zu realisierenm , sondern in einem grösseren linearen Gebäude. «Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass es eine Erschliessungsebene im zweiten oder dritten Obergeschoss gibt, wie ein Laubengang. Von dort könnte ich hochgehen in mein Reich.»
Das klassische Einfamilienhaus hingegen bleibt für viele Menschen sowieso ein Traum. Meistens scheitert er an der Finanzierung.
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