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Bestatter: Die vergessenen Corona-Helden

Bestatter
Ihr Gewerbe ist mit dem Tod verbunden. Eine unsichtbare Mauer scheint die Bestatterinnen und Bestatter vom Rest der Gesellschaft zu trennen. Keystone / Jean-christophe Bott

Bestattungsunternehmen stehen seit Ausbruch der Pandemie an vorderster Front, dabei sind ihre Mitarbeitenden potentiellen Risiken ausgesetzt. Und doch gab es für sie im ersten Corona-Jahr weder Applaus der Bevölkerung noch offiziellen Dank. Warum eigentlich?

Genau vor einem Jahr, am 25. Februar 2020, gab es den ersten laborbestätigten Coronavirus-Fall in der Schweiz: Ein 70-jähriger Tessiner hatte sich 10 Tage zuvor in Mailand angesteckt. Die Zahl der Infektionen stieg rasch an und bald musste der erste Todesfall verzeichnet werden. Die erste Person, die an Covid-19 in der Schweiz verstarb, war eine 74 Jahre alte Frau im Kanton Waadt.

Das war am 5. März 2020. Und es war nur der Anfang einer Pandemie, welche nach und nach den ganzen Planeten und somit auch die Schweiz erfasste. Die täglich aktualisierten Zahlen dokumentieren die Entwicklung eindrücklich.

Dauerhafter Stress

Hinter den nackten Zahlen verbergen sich nicht nur viele menschliche und familiäre Tragödien, sondern auch ein unermesslicher Einsatz im Gesundheitswesen sowie von Bestattungsunternehmen. Im Gegensatz zu den Pflegekräften wurde den Bestattern jedoch kein öffentlicher Dank gezollt. Dabei standen auch sie stets an vorderster Front, waren einer hohen Ansteckungsgefahr ausgesetzt und mussten zu jeder Tages- und Nachtzeit, an sieben Tagen in der Woche, ausrücken.

Die Pandemie stellte den normalen Arbeitsrhythmus der Bestatterinnen und Bestatter auf den Kopf. Sie mussten in einem Klima der allgemeinen Verunsicherung arbeiten. Das führte zu Stress und Erschöpfung, zu physischen und psychischen Belastungen. Doch sie verdrängten Ängste und Müdigkeit, um sich um die Toten und deren Angehörige kümmern zu können.

Nicht überrascht

Die Branche hat einen fundamentalen Beitrag zur Bewältigung der Krise geleistet. Gleichwohl blieb sie bei den öffentlichen Danksagungen an die «Helden des Alltags während der PandemieExterner Link» unerwähnt. Die direkt Betroffenen überrascht oder empört das nicht. «Wir sind das gewohnt. Es ist nicht üblich, sich bei den Bestattern zu bedanken», sagt Philipp Messer, Präsident des Schweizerischen Verbandes der Bestattungsdienste (SVBExterner Link).

Philipp Messer
Philipp Messer, Präsident des Schweizerischen Verbandes der Bestattungsdienste (SVB), führt in Biel ein eigenes Bestattungsinstitut. Ben Zurbriggen Fotografie

Man müsse sich nur die Todesanzeigen und Danksagungen von Angehörigen in normalen Zeiten anschauen: Sie folgten seit Jahrzehnten mehr oder weniger dem gleichen Muster. Und in diesem Muster komme ein Dank an die Bestatter nicht vor, meint Messer, der in Biel ein eigenes Bestattungsinstitut führt. «Da wundert es mich nicht, dass man unsere Arbeit auch in der Pandemie nicht verdankt», fügt er an.

Messer weist aber darauf hin, dass Journalistinnen und Journalisten seit Ausbruch der Pandemie regelmässig Kontakt mit Bestattungsunternehmen aufgenommen haben, um sich für Beiträge zu informieren: «Das war auch eine Form der Anerkennung für unsere Arbeit.»

Tabus und Aberglauben

Der Genfer Wissenschafter Nic Ulmi wundert sich nicht über diese fehlende Anerkennung. Er ist Autor des Buches «Au service du deuil» (Im Dienste der Trauer), in dem er das öffentliche Bestattungswesen in Genf unter die Lupe nimmt und anderthalb Jahrhunderte Geschichte dieser Branche nachzeichnet.

Nic Ulmi
Der Historiker Nic Ulmi hat ein Buch über die Bestattungsbranche geschrieben. © Magali Girardin

«Über die Arbeit der Bestatter wird gerne ein Schleier gelegt. Es gibt eine Art Tabu, eine Art Verleugnung. Sie sind beim Abschied von den Verstorbenen präsent, da sie unverzichtbar sind. Aber ausserhalb dieses Moments würden viele Menschen gerne so tun, als ob es die Bestatter nicht gäbe», meint der Historiker. Dabei verweist er auf die vielen Erfahrungsberichte, die er im Laufe seiner Forschungsarbeiten gesammelt hat.

«Angestellte eines Genfer Bestattungsdiensts haben mir erzählt, dass die Menschen in ihrer Umgebung oft so tun, als ob sie den Tod selbst für ansteckend hielten, und nicht die Krankheit, die ihn verursacht hat», erzählt er. Infolgedessen hätten viele Menschen Angst, sich anzustecken, wenn sie in sie sich in der Nähe von Personen befänden, die beruflich mit dem Tod zu tun hätten.

Eine Art unsichtbare Mauer trennt die Bestatterinnen und Bestatter vom Rest der Gesellschaft. Sie werden wie Verkörperung des Todes selbst gesehen. «Dazu kommt ein wenig Aberglaube, den niemand verliert, selbst eingefleischte Rationalisten nicht. Ich denke, diese innere Ablehnung ist immer noch tief verwurzelt», kommentiert der Genfer Historiker. Und fügt an: «Darüber hinaus ist das archaische und karikierende Bild von Totengräbern als Raubtiere, die das Unglück anderer ausnutzen, nie verschwunden, vor allem nicht gegenüber privaten Bestattungsunternehmern.»

Ulmi betont, dass er während der Pandemie keine Feldforschungen betrieben habe und somit nicht auf empirische Fakten verweisen könne. Gleichwohl habe er den Eindruck, dass sich dieses Negativbild noch weiter verfestigt habe. «Andererseits haben die hohe Zahl der Todesfälle sowie das Abstandhalten sicherlich dazu beigetragen, dass die Bestatter noch unsichtbarer geworden sind als sonst», meint er.

Der Schmerz der Angehörigen

Die Bestatter haben während der Pandemie selbst gelitten und fühlten sich alleingelassen. Dazu führte nicht nur die hohe Arbeitsbelastung, sondern auch die Auseinandersetzung mit der Trauer der Angehörigen. Die Familien waren aufgrund der Hygienevorschriften gezwungen, ihren Lieben in aller Eile die letzte Ehre zu erweisen, ohne die üblichen Trauerrituale. Den Familien nicht den gewohnten Beistand bieten zu können hat die Bestatterinnen und Bestatter selbst verunsichert.

Denn anders als man es sich gemeinhin vorstellt, befassen sich Bestattungsunternehmen nicht nur mit den Toten, sondern bieten den Angehörigen auch konkrete und moralische Unterstützung. Diese Dienstleistungen sind für den Trauerprozess von zentraler Bedeutung, wie Nic Ulmi betont.

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Tatsächlich ist nicht die Präparation der Leichname, die Bestattung oder Einäscherung der schwierigste Teil der Arbeit. «Man gewöhnt sich sehr schnell daran, Leichen zu berühren. Man gewöhnt sich hingegen nie an den Schmerz und die Trauer. Das bleibt eine anhaltende Herausforderung. Alle Mitarbeitenden in Beerdigungsinstituten haben mir das gesagt», erzählt Ulmi.

Die Situation ist laut Ulmi fast schon paradox: «Die Auseinandersetzung mit der Trauer ist der schmerzhafteste Teil der eigenen Arbeit, zugleich stiftete dieser Aspekt am meisten Sinn, weil die Bestatter als Trauerbegleiter eine psychologisch wichtige Rolle spielen.» Anders gesagt: Sie nehmen eine Schlüsselfunktion ein, die weit über ihre offizielle Rolle hinausgeht.

Philipp Messer ist als Präsident des Schweizerischen Verbands der Bestattungsdienste im Allgemeinen sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit bei der Bewältigung der Pandemie. Für eine gewisse Verbitterung sorgt jedoch der Entscheid der Schweizer Gesundheitsbehörden, Bestatter nicht in die Top-Prioritäten-Gruppe für die Covid-19-Impfung aufzunehmen. «Ich war enttäuscht, weil wir dem Risiko einer Infektion ausgesetzt sind», kommentiert Messer.

(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob) 

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